Umberto Eco, „Im Wald der Fiktionen“ oder: Wenn Dichter lügen dürfen (Mat7290)

Worum es hier geht:

Wir stellen hier einen Text vor, in dem ein bekannter Schriftsteller deutlich macht, was beim Lesen zum Beispiel eines Romans im Leser passiert.

Umberto Eco ist nämlich der Meinung, dass eine Art Vertrag geschlossen wird zwischen dem Autor und dem Leser. Der Autor macht deutlich, dass es sich um ein sogenanntes „fiktives“ oder „fiktionales“ Werk handelt – und der Leser ist bereit, sich darauf einzulassen. Wenn also der Roman von Ferdi Beispiel beginnt mit den Worten: „Ich bin zum Mörder geworden“ – muss man nicht gleich die Polizei zu ihm schicken. Vielmehr wartet man in Ruhe ab, was der Autor sich da ausgedacht hat.

Der Text von Umberto Eco in der gekürzten Form ist hier zu finden:
Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe. Nordrhein-Westfalen
Herausgegeben von Andrea Wagener und Angela Mielke,
1. Auflage, Cornelsen Verlag GmbH, Berlin 2024
ISBN 978-3-06-061033-4
S. 69 bis 70

  • Links der Autor,
    • der in seinem Kopf einen Ausdenk-Bereich hat.
    • und sich eine Geschichte ausdenkt
  • und die dann als Roman veröffentlichen lässt.
    • Der enthält den ausgedachten Text,
    • aber auch das klare Bekenntnis: Ich bin ein Roman, also ausgedacht.
    • Dahinter steckt ein Verlag, der dem Autor manchmal auch Stress macht.
  • Rechts der Leser,
    • der liest und sich dabei mehr oder weniger auf die Geschichte einlässt, vielleicht sogar Mitleid mit den Figuren hat, die es nie gegeben hat.
    • Das weiß er aber, aber zwischenzeitlich kann es verschwinden, man betritt eine Art Zwischenraum, leidet mit den Figuren mit, verliert sogar ein bisschen den Kontakt zur Wirklichkeit, zum Beispiel vergisst man einen Termin.
    • Aber letztlich weiß er, dass es sich um einen Roman handelt und wird nicht die Polizei rufen, wenn da von einem Mord die Rede ist.
  • Fazit: Es gibt keinen Vertrag, sondern man lässt sich auf einen Zwischenzustand ein zwischen Realität und Fantasie.
Zusammenfassung Abschnitt 1
  • Kurzfassung des 1. Abschnitts:
    Eco geht davon aus, dass man beim Lesen eines erzählenden Textes eine Art Vertrag mit dem Autor abschließt. Man verzichtet darauf, das Erzählte als Lüge zu betrachten, sondern lässt sich darauf ein, weiß aber stets, dass es nur im Kopf des Autors entstanden ist.
  • Ausführlichere Fassung:
    • Im ersten Abschnitt von
      „Die Grundregel jeder Auseinandersetzung“
      bis
      „wirklich geschehen“
      glaubt der Autor, dass jeder Leser bei der Beschäftigung mit einem Roman oder einer Kurzgeschichte stillschweigend eine Art Vertrag schließt. In ihm ist er bereit auf den normalen Unglauben oder Zweifel zu verzichten, wenn man etwas anscheinend nicht Reales hört oder liest.
    • Der Leser weiß, dass er keine Lüge präsentiert bekommt, sondern eben eine ausgedachte Geschichte – wie zum Beispiel ein Märchen.
  • Kritik:
    • Am Ende des Abschnitts hat Eco aber nicht ganz Recht:
    • Denn der Leser tut natürlich nicht so, als wäre das Erzählte wirklich geschehen.
    • Vielmehr lässt er sich auf die Geschichte ein,
    • weiß aber natürlich, dass sie nur im Kopf des Autors existiert hat.
Zusammenfassung Abschnitt 2
  • Im zweiten Abschnitt macht der Autor deutlich, wie wichtig es ist, zumindest einen Moment zu glauben, dass das, was im Rotkäppchen-Märchen passiert, tatsächlich geschieht. Nur so könnten wir uns erleichtert fühlen, wenn alles gut ausgeht.
  • Auch hier ist der Autor anscheinend so auf seine Vertragsidee fixiert, dass er gar nicht unterscheidet, zwischen
    • dem Kind, dem die Geschichte vorgelesen wird und die das Geschehen zumindest beim ersten Mal für real hält,
    • und dem Erwachsenen, der sich in dem oben beschriebenen Zwischenzustand befindet, bei dem es mal eher Richtung Mitfiebern und dann auch bewusste oder gar kritische Distanz geht.
  • Erstaunlich, dass ein Autor wie Eco nicht weiß, dass literarisches Lesen etwas anderes ist als Hören einer Geschichte, bei der man bereit ist, einem Freund auch bei einer ausgedachten Geschichte zuzuhören.
  • Recht hat der Autor natürlich mit seinem Hinweis, dass ein Märchen z.B. Elemente enthält, die man sich in der Realität nicht vorstellen kann, aber auch andere, die einfach nur mit einbezogen worden sind, aber durchaus vorstellbar sind.
  • Am Ende spricht Eco dann wieder von seinem Dogma des bewussten Verzichts auf Ungläubigkeit – aber das dürfte kaum der Erfahrung der meisten Lesenden entsprechen. Es wird einfach an den Haaren herbeigezogen.
Zusammenfassung Abschnitt 3
  • Dann bringt Eco erfreulicherweise ein Beispiel, nämlich den Anfang der Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka.
  • Hier hat man tatsächlich einen sehr fantastischen Einstieg.
  • Der Autor scheint gar nicht zu merken, dass seine ganze Vertragstheorie hier überhaupt nicht greift.
  • Jeder einigermaßen erfahrene Leser weiß, dass Kafka hier einfach einen ausgedachten Fall durchspielt.
  • Dann wird hervorgehoben, dass die konkrete Beschreibung von Gregors Situation eine fantastische Käfergrundlage hat, auf dieser Grundlage aber durchaus Nachvollziehbares präsentiert.
  • Recht hat Eco dann auch, dass im weiteren Verlauf der literarische Trick gerade darin besteht, dass das Fantastische innerhalb der Erzählung als Realität begriffen ist – und auf einen anderen Teil trifft, den wir durchaus als normale Realität nachvollziehen können.
  • Beides trifft aufeinander – und das macht in der „Novelle“ ihren dramatischen Kern aus.
  • Am Ende dann wieder eine völlig unnötige Überhöhung:
    Kurz gesagt, um eine absurde Welt zu erschaffen, hält Kafka es für nötig, sie auf dem Hintergrund der realen Welt einzuführen.“
  • Das kann man viel einfacher ausdrücken: Kafka schafft eine seiner traumartigen Fantasiegeschichten, in denen das Ungeheuerliche auf das Bekannte trifft und sich entsprechend reibt.
  • Es bleibt dem Leser überlassen, herauszufinden, was die Geschichte damit deutlich macht.
  • Gerade in dieser Erzählung schafft Kafka keine „absurde“ Welt, sondern er zeigt in der Käfer-Existenz ganz offen, was normalerweise nur einem sehr verständigen Blick sichtbar wird: Dieser Gregor ist am Ende – er hätte auch einen Schlaganfall bekommen können – aber Kafka hatte eben Freude daran, diese bildhafte Ausgangssituation zu wählen und dann die Konfrontation mit der Realität durchzuspielen.

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