Vergleich der Gedichte „Die zwei Gesellen“ von Eichendorff und „Reisen“ von Benn

Worum es hier geht:

  • Diese beiden Gedichte
    • Eichendorff, „Die zwei Gesellen“ und
    • Benn, „Reisen
  • sind insofern interessant, als sie beide das Reisen in Frage stellen – allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen.
Sehr gut als Klausurübung im Hinblick auf den Vergleich interessant.
Zunächst Eichendorff, „Die zwei Gesellen“
Die zwei Gesellen
  1. Es zogen zwei rüst’ge Gesellen
  2. Zum erstenmal von Haus,
  3. So jubelnd recht in die hellen,
  4. Klingenden, singenden Wellen
  5. Des vollen Frühlings hinaus.
  6. Die strebten nach hohen Dingen,
  7. Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
  8. Was Rechts in der Welt vollbringen,
  9. Und wem sie vorübergingen,
  10. Dem lachten Sinnen und Herz. –
  11. Der erste, der fand ein Liebchen,
  12. Die Schwieger kauft‘ Hof und Haus;
  13. Der wiegte gar bald ein Bübchen,
  14. Und sah aus heimlichem Stübchen
  15. Behaglich ins Feld hinaus.
  16. Dem zweiten sangen und logen
  17. Die tausend Stimmen im Grund,
  18. Verlockend‘ Sirenen, und zogen
  19. Ihn in der buhlenden Wogen
  20. Farbig klingenden Schlund.
  21. Und wie er auftaucht‘ vom Schlunde,
  22. Da war er müde und alt,
  23. Sein Schifflein das lag im Grunde,
  24. So still war’s rings in die Runde,
  25. Und über die Wasser weht’s kalt.
  26. Es singen und klingen die Wellen
  27. Des Frühlings wohl über mir;
  28. Und seh ich so kecke Gesellen,
  29. Die Tränen im Auge mir schwellen –
  30. Ach Gott, führ uns liebreich zu dir
Quelle: Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 90-91.
  • In dem Gedicht „Die zwei Gesellen“ von Eichendorff geht es um zwei junge Männer, die fröhlich und voller Optimismus in den Frühling aufbrechen,
  • dann trennen sich die Lebenswege,
  • der eine meint sein Glück zu finden in der Sesshaftigkeit, er gründet eine Familie und kann am Ende „behaglich“ auf sein Glück blicken.
  • Der zweite Geselle setzt sich den Abenteuern des Lebens aus, riskiert auch viel und muss am Ende feststellen, dass sein Lebensschifflein untergegangen ist.
  • Am Ende steht die Bitte des lyrischen Ichs, dass man den rechten Weg zu Gott findet.
  • Spannend ist hier die Frage, was dieses Gedicht wirklich aussagt. Es wäre zu prüfen ob die Behaglichkeitsvariante wirklich die allgemeine Empfehlung ist, die dieses Gedicht der Romantik ausspricht oder ob zum romantischen Leben nicht auch Abenteuer und Risiko gehören und hier aus anderem Grunde etwas schief gegangen ist.
  • Letztlich geht es in diesem Gedicht also um eine Lebensreise und zwar um eine, bei der hoffentlich nichts schief geht.
  • Hier kann man verständlicherweise sehr schön nach Beispielen suchen, bei denen mein Leben falsch abgebogen ist und im Unglück endete.
Dann Gottfried Benn, „Reisen“

Das Gedicht haben wir zum Beispiel hier gefunden.
Da es noch urheberrechtlich geschützt ist, überlassen wir es jedem, es sich für eine gründlichere Untersuchung herunterzuladen bzw. auszudrucken.

  • Was das Gedicht „Reisen“ von Gottfried Benn angeht, so präsentiert es eine einzige Infragestellung des Reisens.
  • Dabei geht es wohl vor allem um falsche Vorstellungen, die eher der Werbung entnommen sind als der Realität.
  • Als bessere Variante wird letztlich die Konzentration auf sich selbst empfohlen.
  • Das ganze Gedicht ist in seiner Schwarz-Weiß Malerei natürlich sehr plakativ angelegt
  • und so kommt es letztlich drauf an zu klären, warum man mitten in New York, einer Stadt, die angeblich vor lauter Aktivitäten und Unterhaltungsangeboten niemals schläft, doch Leere empfinden kann.
  • Und genau so kann man fragen, ob das Sich-Begrenzen auf das eigene Ich wirklich automatisch mehr als diese Leere produziert.
  • Es gibt ja auch die These, dass, wer tief in sich hinein blickt, erst eine wirkliche  Vorstellung vom Abgründigen bekommt.
Vergleich der beiden Gedichte
  1. Bei Eichendorff eine Geschichte, bei Benn eher Gedanken.
  2. Bei E. das Glück in der Sesshaftigkeit, bei B. ebenfalls, wenn auch nicht auf die Familie und das häusliche Glück bezogen, sondern auf das Individuum. Man kann schon von einer gewissen Egozentriertheit sprechen.
  3. Bei E. religiöse Transzendenz als Ziel, bei B. Rechtsreduktion auf das eigene Ich.
  4. Bei E. eher die Gefahren des Unterwegsseins beziehungsweise des Verlassens der sicheren Heimat, bei B. eher nur Warnung vor unerfüllten Hoffnungen
  5. Von daher sieht man deutlich, dass der Text von Eichendorff sehr viel traditioneller, sozialer und metaphysisch gesicherter angelegt ist als
    der Text von Benn.
  6. Das hängt natürlich mit den kulturhistorischen Gegebenheiten zusammen: Bei Eichendorff die Zeit der politischen Restauration und der Romantik, bei Benn die Moderne mit ihrer Auflösung aller Sicherheiten und Bindungen.

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