Wie auf einem Spaziergang eine Kurzgeschichte entsteht: Lars Krüsand, „Der Briefkasten als Kriegserklärung?“

Worum es hier geht:

Letztens kamen wir mit Lars Krüsand, unserem „Behelfsschriftsteller“ mal wieder ins Gespräch. Als wir ihn fragten, woran er gerade sitze, meinte er auf die für ihn typische schräge Art: Am Briefkasten des Nachbarn.

Er war aber dann doch bereit, uns auch eine vernünftige Erklärung zu geben. Er sei am Morgen bei einem Nachbarn vorbeigekommen, der er kennt. Der sei auf dem Weg zum Haus gegenüber gewesen, habe kurz in den Briefkasten geschaut und sei dann wieder umgekehrt.

Komisch – also einfach mal den lockeren Spruch loslassen: „Bei Behelfsschriftstellern müssen Sie immer damit rechnen, dass sie aus so etwas eine Geschichte machen.

Nach kurzem Nachdenken war dem Nachbarn klar, dass man seine Aktion auch missverstehen konnte. Aber locker, wie er drauf war, meinte er nur lächelnd: „Hauptsache, Sie erzählen mir später die Geschichte!“

Wie unser guter Lars so drauf ist – wittert er in allem die Chance für einen Text. Hier war er ja gewissermaßen sogar eine Verpflichtung eingegangen. Also Smartphone rausgeholt und die Geschichte in Etappen runterdiktiert. Wie ihm die Gedanken halt so kamen.

Zu Hause habe er sich dann an den Rechner gesetzt und aus dem Rohmaterial die folgende Geschichte gemacht.

Wir geben das hier mal weiter mit dem Vorschlag: Selbst mal drauf achten, wo etwas Seltsames geschieht – und sich dann eine interessante Erklärung ausdenken. Das muss ja nicht so schnell gehen wie bei Lars. Der ist froh, wenn die kreative Luft raus ist und wartet dann auf den nächsten Wink des Autoren-Schicksals.

Wir werden uns in den nächsten Tagen möglichst normal verhalten, damit es uns nicht trifft.

Die Geschichte

Lars Krüsand,

Wenn der Briefkasten zur Kriegserklärung wird

  1. Nachdem er am Sonntagmorgen wieder feststellen musste, dass sein Briefkasten bis zum Rand abgefüllt war mit Werbematerialien, die bestimmt nicht für diesen Zweck in seinen Briefkasten geworfen worden waren, fing er doch an, sich Gedanken zu machen.
  2. Immerhin waren da alle möglichen Angebote zu Weihnachten dabei und man hatte inzwischen fast Ende Januar. Die Weihnachtsbäume waren auch schon abgeholt worden. Was sollte dann Weihnachten in seinem Briefkasten?
  3. Aber wozu hatte man Nachbarn: Er würde jetzt einfach mal rübergehen und schauen, ob deren Briefkasten genauso aussah. Wie gedacht, so getan: Jacke an, zwanzig Schritte – und da war sie die die niederschmetternde Erkenntnis: Man hatte ihn ausersehen – für irgendetwas, was möglicherweise nichts Gutes bedeutete.
  4. Das ganze hatte vor zwei Tagen angefangen. Anfangs hatte er es noch für ein Versehen gehalten. Am nächsten Tag war ihm aufgefallen, dass die Einwurfmenge sich verdoppelt hatte. Er hatte immer noch gehofft, dass die entsprechenden Zusteller – bei dem Begriff musste er schmerzlich lachen – sollte es nicht lieber „Nachsteller“ heißen? Auf jeden Fall hatte er gehofft, dass der Übeltäter möglichst bald die Lust verliert.
  5. Heute Morgen allerdings war der Gipfel erreicht worden. Bis knapp unter den Rand war sein Briefkasten gefüllt gewesen. Obwohl er sich nicht viel Hoffnung machte, ging er noch mal zum Briefkasten der anderen. Allerdings merkte er, dass er nicht einfach gerade rüberging, sondern er schlich sich gewissermaßen ran – immer in der Hoffnung, dass ihn niemand beobachtete. Er hoffte, dass niemand von den Leuten der Gegend merkte, dass er hier möglicherweise anfing, Briefkästen zu kontrollieren. Das wäre nicht unbedingt imageförderlich. Besonders sein Nachbar zu rechten, dem er damals die Frau ausgespannt hatte, wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn schlecht zu machen.
  6. Er hatte sich schon so weit mit seinem Schicksal abgefunden, dass er gar nicht mehr über den eigentlichen Übergriff auf seinen Briefkasten nachdachte, sondern schon mehr über mögliche Motive oder auch Folgen. Vielleicht war er nicht mehr weit von Panikattacken entfernt. Er hoffte inständig, dass diese „Nachsteller“, der Begriff war schön, beruhigte ihn aber kaum, nicht noch irgendwelche Reste von Silvester hatten, die beim Hineingreifen in den Briefkasten explodierten.
  7. Am nächsten Tag musste er auf Dienstreise – eine gute Gelegenheit für ein Experiment. Er ließ den Briefkasten einfach gefüllt und wartete ab, was weiter geschah. Als er abends nach Hause kam, hatte sich nichts geändert. Er war erleichtert. Man konnte die Typen also stoppen.
  8. Die etwas bessere Laune verging ihm, als er den Anrufbeantworter abhörte. Sein Rechtsanwalt: Ob er schon die Unterlagen gelesen hätte, die man ihm geschickt hatte. Es ging um einen ziemlich unangenehmen Prozess und jetzt kam es langsam auf alles an.
  9. Also: Wieder zum Briefkasten. Hatte er was übersehen? Ja, er hatte. Der ganze Müll war etwas runtergedrückt worden im Vergleich zum Vortag. Offensichtlich hatte der Briefträger versucht, das Schreiben irgendwie doch noch unterzubringen. Aber von ihm war nichts zu sehen.
  10. Ihm wurde schwindlig: Hatte jemand den Brief vielleicht rausgenommen. Das konnte nur jemand gewesen sein, der wusste, dass er tagsüber weg war. War es vielleicht sein Nachbar zur Rechten. Der hatte letztens mal gefragt, ob er in Schwierigkeiten sei. Man munkele, es gebe Probleme mit dem Dienstherren. Er hatte natürlich alles weit von sich gewiesen. Aber das änderte nichts daran, dass jemand jetzt seine Unterlagen hatte. Langsam geriet er in Panik.

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