Entwicklung des Theaters im 18. Jhdt. in 10 Schritten (Mat8715-v10)

Worum es hier geht:

Wir entwickeln hier in 10 Schritten, wie sich das Theater in Deutschland im 18. Jhdt entwickelt hat.

Eine Kurzfassung in fünf Minuten gibt es hier:
https://schnell-durchblicken.de/5-minuten-tipp-entwicklung-theater-18-jhdt

Schritt 1: Die Regeln des Aristoteles

Bis ins 18. Jhdt. hinein galten die Prinzipien des altgriechischen Philosophen Aristoteles:

  • Ziel war eine „Katharsis“, die Reinigung der Gefühle in Richtung moralisches Verhalten.
  • Die sollte erreicht werden durch „Schrecken“ über das, was dem Helden auf der Bühne geschieht. Daraus sollte sich dann Mitleid als gewissermaßen positives Gefühl ergeben.
  • Für die Herstellung dieser Gefühle erschien Aristoteles die „Einfühlung“ der Zuschauer ins Geschehen als entscheidend.
    • Die wollte er durch natürliche Lebensnähe auf der Bühne erreichen.
    • Deshalb die Einheit des Ortes = kein Ortswechsel auf der Bühne
    • Dazu die Einheit der Zeit = an einem Tag
    • Und vor allem die Einheit der Handlung, also keine Nebenhandlungen.
  • Außerdem sollte das Schicksal in der Tragödie vor allem hohe Personen betreffen (Ständeklausel), damit deren Absturz noch mehr moralischen Eindruck bei den Zuschauern machte.
Schritt 2: Das französische „Regeldrama“ (nach Aristoteles)
  1. Die Prinzipien des Aristoteles wurden vor allem im klassischen französischen Theater umgesetzt (Corneille, Molière u.a.). In ihren Werken ging es um Klarheit, Ordnung und Regelhaftigkeit.
Schritt 3: Anpassung ans französische Theater bei Gottsched

Dieses Regeldrama wurde in Deutschland vor allem von Gottsched vertreten. Von dem gibt es eine Anleitung zum Schreiben eines Dramas, die sich wie ein heutiger Koch-Tipp anhört.

Schritt 4: Lessings Veränderung des Mitleid-Begriffs
  • Es war dann Lessing, der sich der Aristoteles-Nachfolge kritisch auseinandersetzte. Auch er setzte auf Gefühle, aber viel mehr auf ein Mitleiden, das durch Gleichrangigkeit zwischen Bühnenfiguren und den Zuschauern entsteht.
Schritt 5: Lessings Idee des bürgerlichen Trauerspiels
  • Deshalb entwickelte er das sogenannte „bürgerliche Trauerspiel“. Dort ging es nicht mehr um Könige und Heerführer, sondern um Menschen wie Du und Ich.
Schritt 6: Lessings Praxis des bürgerlichen Trauerspiels: Emilia Galotti
  • Das bekannteste Beispiel ist Emilia Galotti. Zwar gehört ihre Familie auch noch dem zumindest niederen Adel an – aber ihre Grundauffassungen sind bürgerlich – vor allem im Hinblick auf sexuelle Moral und Natürlichkeit. Sie stirbt lieber, als dass sie sich zur Geliebten des Fürsten machen lässt.
Schritt 7: Schillers Weiterentwicklung zum „Sturm und Drang“
  • „Kabale und Liebe“ von Schiller macht dann den nächsten Schritt: Hier ist es eine kleinbürgerliche Familie, deren Tochter Luise in eine besondere Art von Liebesbeziehung zu einem jungen Adligen gerät. Der ist Inbegriff eines Vertreters des Sturm und Drang. Aber die intensiven Gefühle verbinden sich bei ihm schon mit ausdrücklichem Widerstand gegen das herrschende Ständesystem und die Machenschaften seines Vaters, des Chefs der Regierung des herrschenden Fürsten.
Schritt 8: Der „Absolutismus der Liebe“ als „implizite“ Kritik
  • Eine Besonderheit dieses Dramas ist, dass Ferdinand, der adlige Liebhaber, zwar Gefühle für Luise hat, aber die stellen eine Art „Absolutismus der Liebe“ dar. Nur die Gefühle und Ziele des Mannes zählen – die Gefühle der Frau sind eher störend. Dementsprechend führt eine Kabale, eine konstruierte Intrige, bei ihm zu rasender Eifersucht. Die führt letztlich dazu, dass Ferdinand erst „seine“ Luise vergiftet und dann danach auch noch sich selbst.
  • Dieses Aufzeigen des „Absolutismus der Liebe“ im Denken und Handeln eines Adligen, der sich doch so modern antiständisch gibt, ist eine „implizite“ Aussage, eine, die im Drama steckt, aber nicht so offensichtlich ist wie das Gerede gegen Standesunterschiede und die Kritik an den Verbrechen des absolutistischen Systems.
Schritt 9: Schillers Idee der „schönen Seele“ in der Klassik
  • Schiller entwickelt sein Drama dann weiter in Richtung Klassik. Anfangs ist er begeistert gewesen von der Französischen Revolution. Als die in Terror ausartete, erkannte er, dass die Menschen noch nicht reif waren, die Politik in die eigenen Hände zu nehmen. So entwickelte er die Idee, dass das Theater die Menschen bessern kann – das erinnert an Aristoteles. Aber jetzt geht es nicht um Schrecken und daraus entstehendes Mitleid, sondern darum, dass man zur „schönen Seele“ wird. Gemeint ist damit, dass man sich selbst überwindet, sein Schicksal annimmt und damit zu einem besseren Menschen wird. Durchgespielt wird das zum Beispiel am Schicksal der englisch-schottischen Königin Maria Stuart.
Schritt 10: Goethes nicht-tragische Variante in „Iphigenie auf Tauris“
  • Goethe entwickelte dann eine ähnliche Variante der Selbstüberwindung des Menschen durch klassische Bildung in „Iphigenie auf Tauris“.
  • Dort macht eine verschleppte und als Priesterin eingesetzte Griechin erst mit bei Fluchtvorbereitungen, überwindet sich dann aber und erzählt dem „Barbaren“-König Thoas alles, spricht gewissermaßen in die Wahrheit.
  • Und der ist dann die eigentlich noch viel größere „schöne Seele“, denn er schenkt den Griechen die Freiheit – und bekommt am Ende nur ein „Lebewohl“.
  • Ein schönes Beispiel, das ein literarisches Werk eine noch etwas andere Aussage enthalten kann als das, was der Dichter hineinlegen wollte.

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