5-Minuten-Tipp zu Rilke , Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort (Mat8579)

Worum es hier geht:

Wir stellen hier ein Gedicht vor, das zeigt, wie sehr die Gedanken der Romantiker auch im 20. Jhdt. noch fortwirken – und bis heute von Bedeutung sind.

Gefunden haben wir den Text hier:
https://www.rilke.de/gedichte/ich_fuerchte_mich_so_vor_der_menschen_wort.htm

Wir präsentieren hier den Text in kursiver Schrift und unsere Anmerkungen eingerückt.

Rainer Maria Rilke

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

  • Das Gedicht beginnt mit einem Bekenntnis, das auf den ersten Blick ungewöhnlich klingt.
  • Dass man sich vor dem Wort eines Menschen fürchtet, etwa einem „Nein“ vor dem Standesbeamten, kann jeder nachvollziehen.
  • Aber warum soll man das Wort „der Menschen“ fürchten, also aller.
  • Das wird dann verdeutlicht: Ganz im Stil der Romantiker wendet sich Rilke hier gegen die klaren begrifflichen Konturen, die er überall sieht. Dem gegenüber steht die Liebe der Romantiker zu den Übergängen der Dämmerung und auch zur ständigen Weiterentwicklung im Rahmen der romantischen Ironie.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

  • Neben den scheinbar sicheren, zugleich aber auch einengenden Begriffen gibt es aber auch unernste Spiel, die leichtfertigen Wissensbehauptungen, die das Wunderbare der Welt ausgrenzt – auch hier ein deutlicher Hinweis auf die Romantik und ihre Bereitschaft, auch das Übersinnliche und das Irrationale anzuerkennen.
  • Dazu kommt schließlich noch eine Form von Transzendenz, die diese eigentlich ins Diesseits herabzieht.
  • Was man sich selbst in seinem Garten pflegt und an Gütern anhäuft, wird schon fast für göttlich gehalten.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

  • Am Ende dann die Warnung, der Versuch, dieses Verhängnis abzuwehren, zumindest sich selbst vom Leibe zu halten.
  • Dann eine Anspielung wohl direkt auf Eichendorffs „Wünschelrute“, wo die Dinge zu singen beginnen, wenn man das Zauberwort kennt.
  • Man muss die Elemente der Welt mit dem richtigen Wort ansprechen, sie nicht berühren im Sinne von betasten, messen, wiegen

Insgesamt ein wunderbares Gedicht, das die Mängel einer einseitig auf das Messbare beschränkten Welt anspricht. Aber es geht auch um die Selbstüberhebung der Menschen, die – um mit Dürrenmatt zu sprechen – die Furcht im Sinne von Ehrfurcht verlieren vor der unendlichen  Weite und Komplexität der Schöpfung, wenn man den Gottesbezug des Gedichtes hier mit einbeziehen will.

Hier noch kurz die Verweise auf die genannten Texte:

https://schnell-durchblicken.de/programm-der-romantik-novalis-eichendorff-tieck

https://www.schnell-durchblicken2.de/romantik-aktualitaet

„MÖBIUS
Ich bin Salomo. Ich bin der arme König Salomo. Einst war ich unermeßlich reich, weise und gottesfürchtig. Ob meiner Macht erzitterten die Gewaltigen. Ich war ein Fürst des Friedens und der Gerechtigkeit. Aber meine Weisheit zerstörte meine Gottesfurcht, und als ich Gott nicht mehr fürchtete, zerstörte meine Weisheit meinen Reichtum. Nun sind die Städte tot, über die ich regierte, mein Reich leer, das mir anvertraut worden war, eine blauschimmernde Wüste, und irgendwo um einen kleinen, gelben, namenlosen Stern kreist, sinnlos, immerzu, die radioaktive Erde. Ich bin Salomo, ich bin Salomo, ich bin der arme König Salomo.
Er geht auf sein Zimmer.“

Aus Dürrenmatt, „Die Physiker“, S. 86 der E-Book-Ausgabe:
Die Physiker: Eine Komödie in zwei Akten von Friedrich Dürrenmatt
https://amzn.eu/3kYSWYD

Bezüge zur Sprachskepsis um 1900

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