Baustein: Lessing, „Nathan der Weise“ – Sammlung von kritischen Punkten (Mat5148-kritik)

Worum es hier geht:

Wir sammeln hier mal Punkte, die man in eine kritische Stellungnahme zu Lessings Toleranzdrama „Nathan der Weise“ aufnehmen könnte.

  1.  Kritik an der oberflächlichen Betrachtung von Religionen in der Ringparabel:
    • Es ist nur die Rede davon, dass sie „angenehm“ machen vor Gott.
    • Die Details und damit die Glaubensbekenntnisse werden ausgespart.
    • Das sieht man besonders gut, wenn man das „apostolische Glaubensbekenntnis“ vergleicht mit den Zielvorstellungen in „Die Erziehung des Menschengeschlechts“.
    • Bezeichnenderweise geht es da auch nur um Moral – so etwas wie Transzendenz scheint Lessing, immerhin ein getaufter evangelischer Christ, überhaupt nicht zu kennen.
  2. Naive Vorstellung von den Menschen – ohne Bewusstsein für anthropologische Grundphänomene
    • nicht überzeugendes Happy End (statt Liebe – nur Geschwisterbeziehung)
    • kein Weiterdenken
      • einmal der Parabel: Vater-Lösung führt zu Streit auch und gerade nach dem Richterspruch
      • dann der Handlung:
        • Fehlende Einbeziehung religiöser Autoritäten, die sich mit der „Märchen“-Lösung nicht zufriedengeben werden
        • aber auch der Gläubigen, die sich nach langer religiöser Praxis fragen, warum sie jetzt auf aufgeklärte Menschlichkeit reduziert werden sollen
        • mit unklarem Gottesbezug.
  3. Fehlverhalten Nathans
    • Er beraubt Recha ihrer Glaubensgrundlagen, ohne dass das überhaupt thematisiert würde.
    • Hypothese: Das hängt damit zusammen, dass Lessing in diesem Drama nicht das geringste Verständnis für die Religionen zeigt, die er doch vereinen will.
    • Erziehung im Gegensatz zu Kants Definition von „Aufklärung“. Er fixiert sie in der Erziehung ganz auf sich, lehnt Bücher sogar ab.
    • Er treibt mit den Menschen Spiele:
      • Zum Beispiel ist er nicht offen für das Anliegen und die Nöte des Tempelherrn, als der ihn als Vater bezeichnet und ihn um die Hand seiner Tochter bittet.
      • Er bezieht ihn nicht ein in die für ihn doch elementar wichtige Frage seiner und Rechas Herkunft.
      • Ganz schlimm in der Schluss-Szene, wo er nur, um eine effektvolle Show abziehen zu können, den Tempelherrn und Recha zappeln lässt und sie dann brutal überrascht.
  4. Aber auch Anerkennung für den eigentlichen Kern des Dramas: nämlich den Hinweis auf die soziale und kulturelle Gebundenheit einer jeden religiösen Sozialisation
  5. Ausblenden des gesamten Kontextes in der Schluss-Szene. Diese Menschheitsfamilie dürfte wohl anschließend in große praktische Schwierigkeiten kommen.
    • Leider hat Lessing nur den Patriarchen als mögliche Gegengewalt einbezogen.
    • Daja als einzige überzeugte einfache Christin wird völlig außen vor gelassen, dabei war sie doch die beste Freundin Rechas.
    • Die muslimische Geistlichkeit wird dem Sultan ganz schön Ärger machen.
    • Außerdem sind da noch die Tempelritter.
  6. Die Schattenseiten des Theater-Auswegs
    Einige der Schwächen des Stücks hängen einfach damit zusammen, dass die Theaterbühne kein optimaler Ort für die Erörterung einer Sachfrage ist.

    1. Literatur verkündet in der Regel keine Wahrheiten, sondern stellt sie zur Diskussion. Das ist aber bei diesem Drama nicht offensichtlich, sonst würde es nicht so einseitig als „Toleranzstück“ gefeiert.
    2. Nathan verhält sich weder tolerant gegenüber Recha (Religionslüge am Anfang) noch gegenüber dem „Tempelherrn“ (du musst noch auf den Bruder warten).
    3. Auch die einseitige Fokussierung auf den Patriarchen als Symbol für alle, die Religion für Machtinteressen missbrauchen, spricht nicht für Ausgewogenheit.
    4. Ärgerlich, dass dann auch Daja mehr oder weniger bestraft wird für ihre Ehrlichkeit. Nathan erpresst sie, Recha ist sauer, dass Daja sie aus diesem Lügenhaus befreien will und einen Platz am Ende auf der Familientribüne bekommt sie auch nicht.
    5. bei Nathan hätte seine Lügerei und seine Heimlichtuerei auch leicht dazu führen können, dass er am Ende nicht mehr am Leben geblieben wäre. Mit ein bisschen mehr „Rächerglück“ hätte der Patriarch sogar Nathan ziemlich übel mitspielen können.

      Ausführlicher gehen wir auf diesen Gattungsaspekte hier ein:
      https://schnell-durchblicken.de/lessing-nathan-der-weise-die-schattenseiten-des-theater-auswegs
Fazit:

Insgesamt ein Theaterstück, das genauso unrealistisch erscheint wie Lessings Vorstellungen von einer einfachen Verständigung zwischen den Religionen. Aber daran ist natürlich Lessings Landesherr Schuld, der eine normaler argumentative Auseinandersetzung mit einem Publikationsverbot verhindert hat.

Weitere Infos, Tipps und Materialien

Themenseite: „Nathan “
https://textaussage.de/nathan-der-weise-infos-materialien

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