Worum es hier geht:
Auf der Seite
https://schnell-durchblicken.de/klausur-goethe-werther-analyse-und-interpretation-brief-am-21-junius
haben wir eine Klausuraufgabe mit dem zugehörigen Text vorgestellt:
Die Aufgabe
- Analysieren Sie den Brief vom „21. Junius“ aus Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“, indem Sie
- den Textauszug zunächst mit Angabe des Themas in einem Einleitungssatz vorstellen,
- dann mit Blick auf den Textauszug die Situation klären, in der Werther sich am Anfang des Briefes befindet,
- als nächstes einen Überblick über die Erzählstruktur des Briefes geben
- und dann seine Intentionalität (Aussagen) herausarbeiten
- sowie am Ende schließlich zeigen, mit welchen sprachlichen und rhetorischen Mitteln die Aussagen des Textauszugs unterstützt werden.
- Erörtern Sie anschließend, was diesem Brief als „Selbstkundgabe“ im Sinne des Kommunikationsmodells von Schulz von Thun entnommen werden kann und formulieren Sie abschließend eine eigene, nachvollziehbare Stellungnahme dazu.
Nun die Lösungselemente
Wir präsentieren hier die eigentliche Klausurlösung immer in kursiver Schrift, dazwischen eingerückt unsere Anmerkungen. Die Zeilenangaben beziehen sich auf die unten abgedruckte Textfassung.
Beispiel für Einleitungssatz – erst mal ohne Thema
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um einen Auszug aus Goethes Roman “Die Leiden des jungen Werther”. Und zwar geht es um den Brief vom 21. Juni.
Thema nachträglich eingefügt
Thema ist die Frage, wie Werther unmittelbar nach seiner intensiven Begegnung mit Lotte mit seiner Situation umgeht.
Klärung der Voraussetzungen – Ausgangssituation
Um die Situation Werthers zu Beginn dieses Briefes zu verstehen, muss man die Begegnung mit Lotte im Rahmen eines Tanzfestes vor Augen führen, die in den Briefen vorher geschildert worden ist.
Dazu ist es gekommen, weil Werther – beim Versuch, sich innerlich von einer unglücklichen Liebe zu befreien – zufällig nach Wahlheim gekommen ist.
Dort hat er dann im Rahmen eines Tanzfestes mit Lotte die Tochter eines Amtmannes kennengelernt, die sich nach dem Tod der Mutter rührend um ihre Geschwister und den gesamten Haushalt kümmert.
Werther ist von Lotte zunehmend fasziniert und hat während des Festes fast nur noch Augen für sie, führt mit ihr auch intensive Gespräche. Dass Lotte so gut wie verlobt ist, hat ihn anfangs überhaupt nicht interessiert, später blendet er es auch.
Erläuterung der Erzählschritte
In dem zu analysierenden Brief nun wird Lotte nur einmal kurz angesprochen (vgl. 4). Dann geht es um den Ort Wahlheim, mit dem Werther die „reinsten Freuden des Lebens“verbindet. Entscheidend ist dabei wohl der im Hintergrund bleibende, aber sehr stark einwirkende Bezug zu Lotte.
Im zweiten Abschied (6-8) blickt Werther noch einmal verwundert auf die Erfahrung zurück, dass ein Ort plötzlich für ihn so „nahe am Himmel“ (7) liegt.
Es folgt eine allgemeine Reflexion des Phänomens, dass Menschen mal den Drang haben, „sich auszubreiten“ (9), dann aber auch – im Gegensatz dazu – wieder den „inneren Trieb, sich der Einschränkung willig hinzugeben“ (10f). Werther hat hier keine Probleme damit, „auf dem Gleise der Gewohnheit“ (11) zu sein, was ja im Sturm und Drang nicht die angestrebte Normalität war. Interessant ist, dass das noch ergänzt wird um die Bereitschaft, „sich weder um rechts noch um links zu bekümmern.“ (12)
Im vierten Abschnitt (13-23) wird dann ausführlich die Wirkung des Ortes auf Werther geschrieben. Es geht dabei um eine Anziehung, die bis zum Wunsch führt, sich in die Hügel und „vertraulichen“ Täler zu „verlieren“ (16).Damit ist ein Ausmaß an Annäherung bezeichnet, das schon fast romantische Züge zeigt – ins Endlose hinein, ins Unbedingte, in gewisser Weise ins Totale.
Es folgt ab Zeile 17 dann aber auch die Erfahrung, dass die Annäherung in der Realität nicht das bringt, was die Fantasie sich erhofft hat. Das führt dann wieder zu allgemeinen Reflexionen, was die „Ferne“ genauso betrifft wie die „Zukunft“, also die zeitliche Ferne. Dann wird es wieder ziemlich romantisch, wenn ein „dämmerndes Ganzes“ aufgeführt wird, dann „verschwimmt“ eine Empfindung und dann ist auch noch von Sehnsucht die Rede. Am Ende dann „ausfüllen“ – wieder ein Beispiel für das Element der Totalität, das diesen Brief kennzeichnet. Am Ende dann wieder ein Rückfall in den Klageton, der sich erstaunlicherweise mit „Armut“ und „Eingeschränktheit“ verbindet, während vorher ja das Lokale noch zum Gipfel der Freuden des Lebens führte. Man hat hier den Eindruck eines raschen Gefühlswechsels. Auch das Bild „lechzt nach entschlüpftem Labsale“ zeugt nicht gerade davon, dass Werther wirklich in Thalheim alles hat, was er braucht.
Typisch ist dann das, was im nächsten Abschnitt (24-26) folgt, nämlich der völlig unrealistische Vergleich mit einem Vagabunden, der die Familie allein gelassen hat und jetzt einfach davon ausgeht, dass er dort nach seiner Rückkehr wieder begeistert aufgenommen wird.
Im sechsten Abschnitt (27-34) wendet sich Werther fantasievoll dann der Sagenwelt Homers zu und er sieht sich gewissermaßen im Kreis der Männer, die in Abwesenheit von König Odysseus um dessen Frau werben. Völlig ausgeblendet wird dabei, dass alle diese Männer bald – von den Pfeilen des zornigen Odysseus tödlich getroffen – ihre irdischen Aktivitäten beschließen.
Erwähnenswert ist hier noch das Verb „verweben“, mit der Werther deutlich machen will, dass die archaische Welt und seine eigene sich harmonisch zu einem Ganzen zusammenfügen.
Am Ende (35-39) dann wieder die Rückkehr aus der Ferne der Fantasie zur konkreten Vorstellung, wie jemand in der Situation Werthers sich über die Ergebnisse einfacher Landarbeit freut.
Zusammenfassung der Aussagen
- Wenn man die inhaltlichen Signale des Textes zusammenfassen will, kann man feststellen:
Dieser Brief zeigt das große Glück, welches Werther an diesem Ort in der Nähe von Lotte empfindet und das er fast schon in einen religiösen Zusammenhang stellt. - Wichtig ist für Werther ganz offensichtlich die Erläuterung und auch die Legitimation einer speziellen Art von Heimatgefühl.
- Eine große Rolle spielt die Natur, deren Beziehung zu den Menschen und die Wirkung auf sie ausführlich geschildert wird.
- Der Schlussteil des Briefes ist dann gekennzeichnet durch den Versuch, die eigene Situation zu verstehen, indem Vergleiche angestellt werden, einmal allgemein zu einem heimkehrenden Vagabunden, dann aber auch mit einem Blick auf die archaische Gesellschaft der Welt Homers.
- Es ist bezeichnend, dass Werther am Ende sich aus dieser fantasievollen Ferne gewissermaßen wieder zurückzieht, in den Vergleich mit einem einfachen Landmann hinein, der die Früchte seiner Arbeit genießt.
- Alles in allem kann man feststellen, dass Werther in diesem Brief sein Erlebnis mit Lotte einfach nur mit dem entsprechenden Anregungs- und Glückspotenzial nutzt, ohne es weiter zu befeuern.
Hervorhebung von sprachlichen und rhetorischen Mitteln zur Unterstützung der Aussagen
- Was sprachliche Mittel im Einzelnen angeht, so fallen vor allem Wörter und Wendungen auf, die eine Art Totalität bezeichnen.
Beispiele sind etwa:- 2: „die reinsten Freuden des Lebens“ (Superlativ)
- 3: „völlig etabliert“
- 4/5: „alles Glück, das dem Menschen gegeben ist“
- 7: „alle meine Wünsche“
- 19: „unser ganzes Wesen hinzugeben“
- 20: „mit aller Wonne“
- 20: „eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls“
- Das geht so weit, dass Werther sich am liebsten bis zur Selbstauflösung hingeben möchte.
- 11: „willig zu ergeben“
- 16: „mich in ihnen verlieren“
- 19: „unser ganzes Wesen hinzugeben“
- 33: „ausfüllte“
- 37: „all die guten Tage … alle in einem Augenblick wieder mitgenießt“
- Eine verstärkende Wirkung haben Reihungen, die zum Teil auch den Charakter einer Steigerung (Klimax) annehmen.
evtl. genauer- 24/25: „in seiner Hütte“, „an der Brust seiner Gattin“, „in dem Kreise seiner Kinder“, „in den Geschäften“
- 28: „pflücke“, „hinsetze“, „abfädne“, „lese“
- 32: „schlachten, zerlegen und braten“
- 37: „all die guten Tage“, „den schönen Morgen“, „die lieblichen Abende“
- Parallelisierungen:
- 13: „wie“, „wie“
- 14/15: „Dort“, dort“
- 16/17: „O“ (Ausruf)
- 19/20: „ach“
- 27/29: „wenn“
- Personifizierung
- 18: „dämmerndes Ganze ruht“
- Gottesbezug, zum Teil Übertreibungen:
- 1: „wie sie Gott seinen Heiligen aufspart“
- 7: „nah am Himmel läge“
- Gegensätze
- 9: „auszubreiten“, „Einschränkung“
- 21: „Dort“, „Hier“
- 24/26: „Heimat“, „weite Welt“
- Bilder/Metaphern:
- 11: „Gleise der Gewohnheit“
- 34: „verweben“
- Fazit: Die sprachlichen/rhetorischen Mittel betonen zum einen
- Gegensätze zwischen nah und fern, jetzt und Zukunft mit der Konzentration auf die aktuelle Örtlichkeit und die Jetztzeit
- die Weite/Ferne erscheint eher unbefriedigend, selbst der Vagabund kehrt reumütig zurück.
- Die Bedeutung der konkreten Gegenwart wird vor allem durch Reihungen deutlich,
- verbunden mit einer Sehnsucht, ganz darin aufzugeben.
- Dazu kommt eine Gefühlsintensität, die sich vor allem in Ausrufen zeigt.
Erörterung der „Selbstkundgabe“ Werthers
- Es ist kein Wunder, dass angesichts der Situation von Werther dieser auch viel von sich selbst verrät.
- Dazu gehören Stellen, in denen er eine enge Beziehung zu Gott durchscheinen lässt. Das kann man in einem Zusammenhang sehen mit der Vorstellung des Künstlers als einer Art zweiter Gott in seinem Schöpfertum.
- Dazu kommt ein hohes Maß an Egozentrik. Das wird am besten deutlich an der Beschreibung des Vagabunden, dessen Verhalten ganz eindeutig von Verantwortungslosigkeit und eben Ich-Bezogenheit geprägt ist.
- Eine besondere Rolle spielt auch eine fast schon romantische Anverwandlung der Natur bis hin zur Bereitschaft, in ihr und in den von ihr ausgelösten Gefühlen regelrecht aufzugehen, geradezu sich aufzulösen.
Eigene Stellungnahme zu Werthers Selbst-Präsentation in diesem Brief
- Was meine persönliche Beurteilung Werthers angeht, gehe ich aus von der Ich-Bezogenheit, die er in diesem Brief zeigt.
- Das bringe ich in Verbindung mit seinem völligen Desinteresse an der Situation der angeblich geliebten Lotte.
- Obwohl Werther weiß, dass sie in festen Händen ist, nimmt er darauf nicht die geringste Rücksicht.
- Der Höhepunkt eines schon fast gewaltsamen Eindringens in eine vorhandene Beziehung ist seine Feststellung, dass Albert, als er zurückkehrt, auf Werthers Gefühle Rücksicht nimmt und seine Braut nicht auf eine für den Aspiranten provozierende Art und Weise küsst.
- Man könnte die These vertreten, dass Werther einiges erspart geblieben wäre, wenn Albert ihn rechtzeitig aus dem Haus gejagt hätte.
- Dann wäre es vielleicht Werther genauso gegangen wie Goethe, der eine vergleichbare Liebeserfahrung ja durch rechtzeitige Entfernung und Schreiben des Werther-Romans überwunden hat
- und damit die Chance hatte, über 80 Jahre alt zu werden, statt sich in jungen Jahren eine Kugel in den Kopf zu jagen und andere Unglückliche noch zur Nachahmung zu verleiten.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Die Leiden des jungen Werther
https://textaussage.de/werther-themenseite
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos