Brockes, „Die kleine Fliege“ – mal ein entspannt-fröhliches Barockgedicht (Mat6229)

Worum es hier geht:

Wir präsentieren hier ein Barockgedicht, das deutlich macht, wie auch kleinste Elemente der Natur letztlich zu Gott führen.

Von hier aus kann man sehr gut unseren heutigen Umgang mit der Natur oder der Welt allgemein diskutieren.

Gefunden haben wir das Gedicht hier.

https://www.gedichte7.de/die-kleine-fliege.html

Barthold Heinrich Brockes

Die kleine Fliege

  1. Neulich sah ich, mit Ergötzen,
    • Das Gedicht beginnt im Rhythmus des Trochäus, wobei auf eine betonte immer eine unbetonte Silbe folgt.
    • Wie für die Zeit des Barock üblich, wird dieser Rhythmus beibehalten.
    • Geprüft werden könnte, ob dieser Unterschied zum meistens verwendeten Rhythmus des Jambus in der Barockzeit etwas mit dem Inhalt zu tun haben könnte.
    • Im Sinne von: Hier nur fröhliche „Vergnügtheit“ statt der sonst vorkommenden großen Ernsthaftigkeit.
  2. Eine kleine Fliege sich,
  3. Auf ein Erlen-Blättchen setzen,
  4. Deren Form verwunderlich
  5. Von den Fingern der Natur,
  6. So an Farb′ , als an Figur,
  7. Und an bunten Glanz gebildet.
    • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung eines Erlebnisses durch das lyrische Ich.
    • Es geht um eine kleine Fliege, die sich auf ein Blatt gesetzt hat.
    • Die Form der Fliege erscheint dem lyrischen Ich „verwunderlich“ in der Art und Weise, wie sie von „den Fingern der Natur“ „gebildet“, also hergestellt und geformt worden ist.
    • Hervorgehoben werden die Farbe, die Figur und vor allem der bunte „Glanz“.
    • Leserlenkung:
      • Man fragt sich hier, worauf das hinausläuft. Bisher ist das „verwunderlich“ das stärkste Signal in Richtung Aussage des Gedichtes.
      • Was das bedeutet, bleibt erst mal offen.
  1. Es war ihr klein Köpfchen grün,
  2. Und ihr Körperchen vergüldet,
  3. Ihrer klaren Flügel Paar,
  4. Wenn die Sonne sie beschien,
  5. Färbt ein Rot fast wie Rubin,
  6. Das, indem es wandelbar,
  7. Auch zuweilen bläulich war.
    • Im zweiten Abschnitt wird dann das, was wie ein Wunder vorkommt, genauer beschrieben.
    • Es geht dabei vor allem um Farben.
  8. Liebster Gott! wie kann doch hier
  9. Sich so mancher Farben Zier
  10. Auf so kleinem Platz vereinen,
  11. Und mit solchem Glanz vermählen,
  12. Daß sie wie Metallen scheinen!
    • Anschließend wendet sich das lyrische Ich – typisch für die Barockzeit an Gott, der als „Liebster“ angeredet wird – ein besonderes Maß an Vertrauen und Beziehung.
    • Das „verwunderlich“ wird ein wenig präzisiert, dass sich eben „so mancher Farben Zier“ auf so „kleinem Platz“ verbinden kann.
    • Hervorgehoben wird, dass es „wie Metallen“ scheint.
  13. Rief ich, mit vergnügter Seelen.
  14. Wie so künstlich! fiel mir ein,
  15. Müssen hier die kleinen Teile
  16. In einander eingeschränkt,
  17. durch einander hergelenkt
  18. Wunderbar verbunden sein!
    • Es folgt ein Ausruf der Bewunderung für dieses Phänomen der Natur – oder der göttlichen Schöpfung.
    • Dieser Zusammenhang wird angedeutet, aber so (noch?) nicht eindeutig benannt.
  19. Zu dem Endzweck, daß der Schein
  20. Unsrer Sonnen und ihr Licht,
  21. Das so wunderbarlich-schön,
  22. Und von uns sonst nicht zu sehn,
  23. Unserm forschenden Gesicht
  24. Sichtbar werd, und unser Sinn,
  25. Von derselben Pracht gerühret,
  26. Durch den Glanz zuletzt dahin
  27. Aufgezogen und geführet,
  28. Woraus selbst der Sonnen Pracht
  29. Erst entsprungen, der die Welt,
  30. Wie erschaffen, so erhält,
  31. Und so herrlich zubereitet.
    • Hier wird im Unterschied zur modernen Evolutionslehre dem ganzen ein „Endzweck“ unterstellt.
    • Der besteht offensichtlich darin, dass dem „forschenden Gesicht“ des Menschen etwas sichtbar gemacht wird, was sonst nicht so auffällt.
    • Das soll dazu führen, dass „unser Sinn“ von soviel „Pracht“ „gerühret“, also in Bewegung gebracht wird.
    • Dann schließlich wird der Bogen zum Schöpfer geschlagen, indem das kleine Wunderwerk der Fliege auf die gleiche Ebene gehoben wird wie „der Sonnen Pracht“.
    • Gott hat die Welt nicht nur „erschaffen“ und „herrlich zubereitet“, er „erhält“ sie auch.
  32. Hast du also, kleine Fliege,
  33. Da ich mir an die vergnüge,
  34. selbst zur Gottheit mich geleitet.
    • Dann der kompakte Schluss, der voll auf der Linie der Barockgedichte liegt:
    • Über die Verwunderung und das daraus entstehende Vergnügen fühlt sich das lyrische Ich „zur Gottheit“ „geleitet“.

Das Gedichtd zeigt:

  1. Zunächst einmal Aufmerksamkeit, heute auch „Achtsamkeit“ genannt auch für kleine Dinge,
  2. Die genau wahrgenommen und beschrieben werden.
  3. Dann zeigt das Gedicht aber auch die enge Verbindung der Vorstellung der Natur mit der Idee der Schöpfung Gottes,
  4. Wodurch letztlich ein – hier allerdings nur zart angedeuteter – Glaubensimpuls entsteht.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich mehrere Reflexions- und Diskussionsmöglichkeiten.

  1. Zum einen die Frage, wann wir selbst das letzte Mal etwas zunächst Unscheinbares in seiner ganzen Verwunderlichkeit wahrgenommen haben
  2. Und dann die anschließende Frage, wie wir uns selbst positionieren zwischen Evolution und Schöpfung, ganz gleich, was man darunter verstehen mag. Es geht letztlich um die Frage von Evidenz (wissenschaftliche Erforschung in ihren Grenzen und Transzendenz (im Sinne von Überschreitung dieser Grenzen).
  3. Hier kann man an religiöse Bezüge denken oder aber auch an die romantische Vorstellung, dass in allen Dingen auch noch etwas schläft, was von uns geweckt werden kann (Eichendorff, „Wünschelrute“)
    https://schnell-durchblicken.de/programm-der-romantik-novalis-eichendorff-tieck

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