Die Figur des Architekten im Roman „Heimsuchung“ und sein Verhältnis zur Natur (Mat8630-fig-arc)

Worum es hier geht:

Eine wichtige Rolle im Roman „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck spielt der Architekt, weil er die Welt der bearbeiteten und damit veränderten Natur repräsentiert.

Hier die wichtigsten Punkte dazu:

Die Zitate entsprechen der E-Book-Ausgabe
btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München.
Copyright © 2007 by Eichborn AG, Frankfurt am Main
ISBN 978-3-641-13477-8

  1. Der Architekt sieht das Land und die Natur in erster Linie als Raum, der gestaltet und genutzt werden kann, um ein „Heim“ zu schaffen. Sein Beruf ist „Heimat planen“ (EB38), was er als das Einschließen eines Stücks Luft durch Mauern beschreibt: „ein Stück Luft sich mit steinerner Kralle aus allem, was wächst und wabert, herausreißen, und dingfest machen. Heimat.“ Für ihn bedeutet Bauen, „sein Leben an die Erde“ zu kleben, dem Bleiben einen Körper zu geben und ein Inneres zu schaffen, indem man dort aushöhlt, wo nichts ist. Das Haus ist dabei die „dritte Haut, nach der Haut aus Fleisch und der Kleidung“.
  2. Beim Gestalten des Grundstücks geht es dem Architekten und seinem Vetter, dem Gartenarchitekten, darum, „den Blick zu lenken“. Sie sprechen davon, die „Wildnis bändigen und sie dann mit der Kultur zusammenstoßen lassen“. Die Kunst liege darin, „sich der Schönheit, unabhängig davon, wo man sie findet, zu bedienen“.
  3. Dieser Ansatz zeigt sich in der Umwandlung des Kiefernwaldes in einen Garten. Dabei werden Bäume gefällt, Mutterboden aufgeschüttet, neue Pflanzen gesetzt und Wege angelegt. Sogar am feuchten Ufer des Sees werden Bäume gefällt und das Gebiet trockengelegt, um Platz für eine Werkstatt und einen Holzschuppen zu schaffen. Er möchte, dass das Haus aussieht, „als sei es hier gewachsen, wie etwas Lebendiges“ (EB42), und verwendet dafür lokale Materialien wie Feldsteine, Stroh und Reibeputz.
  4. Der Architekt sieht das Land auch als eine Form der Investition: sein Geld war buchstäblich „als Eichen, Erlen und Kiefern hier verwurzelt“ (EB41). Er hatte gelernt, „Geld in unruhigen Zeiten in beständigen Werten anzulegen“, was er durch den Kauf des Grundstücks tat. Diesen Kauf tätigte er unter Ausnutzung der Zeitumstände, indem er das Grundstück den jüdischen Vorbesitzern zu einem halben Preis abkaufte und eine „Entjudungsgewinnabgabe“ (EB60) zahlte. Das Grundstück nannte er immer noch „Scholle“.
  5. Ein Moment der Unsicherheit im Umgang mit der Natur zeigt sich, als der Architekt vor seiner Abreise Wertgegenstände im Garten vergräbt. Er vergräbt Zinnkrüge zwischen den Wurzeln der großen Eiche, Meißner Porzellan unter einem Tannenbusch und Silberbesteck im Rosenbeet. Er fragt sich dabei, ob aus diesen Dingen wohl neue Zinnkrüge, Teller oder Besteck wachsen werden, „aufschießend zwischen den Rosen“ (EB35).
  6. Weitere Aspekte seines Umgangs mit dem Land und der Natur sind die funktionalen Ergänzungen wie ein Bienenhaus zur Steigerung des Baumertrags und zur Honiggewinnung sowie ein Holzschuppen. Die Gestaltung des Hauses selbst bezieht die Umgebung ein, etwa durch die Terrasse mit Blick auf den See. In einem historischen Kontext wird erwähnt, dass der Architekt Mitglied der „Gruppe Albert Speer, Germania Projekt“ (EB180) war, was auf eine Beteiligung an größeren städtebaulichen Plänen im Rahmen des NS-Regimes hindeuten könnte.

Zusammenfassung

  1. Zusammenfassend betrachtet der Architekt die Natur pragmatisch und gestaltbar, primär als Grundlage für sein Bauvorhaben und die Schaffung eines kultivierten Raumes, der seinen Bedürfnissen und ästhetischen Vorstellungen entspricht.
  2. Er möchte die Natur kontrollieren und in seine Pläne einbinden, wobei er auch deren Schönheit nutzt.
  3. Gleichzeitig zeigen sich in der Handlung des Vergrabens von Wertgegenständen und der Feststellung, weniger zu wissen als früher, Momente der Unsicherheit oder des Bruchs in seiner Beziehung zur „Wirklichkeit“.

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