Durs Grünbein: Nullbock – Subjektivität als Egozentrik (Mat9461)

Egozentrik im Gedicht der neuen Subjektivität

Die 50er und vor allem die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren eine Zeit des politischen Anstürmens der sogenannten 68er Studentenbewegung.

Das hatte sich in den 70er und 80er Jahren  danach zunehmend erschöpft. Man besann sich wieder auf sich selbst – und so beginnt in der Literatur die Epoche der sogenannten „neuen Subjektivität“.

Während das Gedicht „Einen jener klassischen“ von Rolf Dieter Brinkmann

https://schnell-durchblicken.de/rolf-dieter-brinkmann-einen-jener-klassischen

noch plötzlich aufkommendes Interesse an dem Besonderen zeigt, sieht das in diesem Gedicht ganz anders aus. Man ist offensichtlich einen Schritt weiter – nur noch in die Richtung des eigenen Selbst.

Gefunden haben wir das Gedicht hier:
Lyrik nach 1945, Erarbeitet von Norbert Schläbitz, Schöningh 2007, S. 96 – ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3140223799

Entstehung und Thematik

  • Veröffentlicht wurde das Gedicht Nullbock von Durs Grünbein 1988, ist aber wohl schon früher entstanden.
  • Es handelt sich um ein modernes, freies und vor allem auch optisch gestaltetes Gedicht, das eine Momentaufnahme aus dem städtischen Alltag beschreibt.
  • Das Thema ist eine scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber der Umgebung und dem Kontrast zwischen Lässigkeit und tragischem Geschehen.

Äußere Form

  • Das Gedicht besteht aus 13 Versen ohne klassische Stropheneinteilung.
  • Dafür sind allerdings mehrere Zeilen offensichtlich mit Absicht eingerückt worden.
  • Ein Reimschema gibt es genauso wenig wie ein regelmäßiges Metrum.
  • Die Darstellung wirkt reduziert, was der fehlenden Anteilnahme entspricht, die das Verhalten der präsentierten Menschen entspricht.

Inhaltsbeschreibung

Inhaltliche Analyse

  • Im ersten Block (1-3) geht es um eine Szene an einem Sonntag im Prenzlauer Berg  in Berlin.
  • Hervorgehoben werden  die drückende Schwüle und die durch Autos verstopften Straßen (Z. 1–3).
  • Im nächsten Abschnitt (3ff) wendet sich eine Art lyrische Kamera einem Jungen in Jeans zu, der ein Mädchen beiläufig beim Telefonieren streichelt.
  • Der Hinweis auf zersplittertes Glas an einer Hauswand (Z. 7), könnte auf vergangene Gewalt oder Vernachlässigung hindeuten.
  • Wichtig ist die Feststellung des Jungen „Nichts los heut’“ , was wohl die allgemeine Lage bedauernd beschreibt. Aber auch das Mädchen löst bei dem Jungen keine Begeisterung aus – es bleibt bei lässigem Streicheln, was auf Desinteresse oder Teilnahmslosigkeit hindeutet.
  • Auf geradezu brutale Weise wird die Bemerkung des Jungen zur allgemein langweiligen Lage verbunden mit der Hinwendung in die Richtung, aus der ein Kinderschrei kommt.
  • Offenbar hat es einen Unfall gegeben, denn da liegt ein Kind ausgestreckt vor einem zerquetschten Ball. (Z. 9–13).
  • Hier muss man allerdings vorsichtig sein, denn es wird nicht mehr auf das weitere Geschehen eingegangen. Auf jeden Fall ist nicht von Erschrecken oder einer ähnlichen Reaktion die Rede.
  • Man könnte das so deuten, dass sogar ein Unfall hier niemanden mehr vom Telefonieren abhält. Das würde natürlich die Aussage verstärken, die oben in der Thematik schon angesprochen worden ist.

Aussagen

  1. Das Gedicht macht deutlich, dass Gleichgültigkeit und Sensationslosigkeit den urbanen Alltag prägen.
  2. Trotz eines potenziellen Unglücks (ein verunglücktes Kind) bleibt das Hauptaugenmerk auf Banalitäten wie Telefonieren und beiläufiger Zärtlichkeit.
  3. Die Distanz zwischen Individuum und Umwelt wird spürbar – ein zentrales Motiv moderner Großstadtdichtung.

Sprachliche und rhetorische Mittel

  • Elliptischer Stil : Durch Verkürzungen und abrupte Zeilenumbrüche (z. B. „Sagt / Nichts los heut’“) entsteht eine knappe, abgehackte Erzählweise, die Teilnahmslosigkeit widerspiegelt.
  • Bildhafte Sprache : „Dunstige Schwüle“, „zersplittertes Glas“, „zerquetschter Ball“ verstärken die visuelle Eindringlichkeit der Szene.
  • Kontrast : Die Lässigkeit des Jungen steht im starken Gegensatz zu dem dramatischen Hintergrund des verletzten Kindes.
  • Ironie : Die Floskel „Nichts los heut’“ (Z. 7) ist sarkastisch zu verstehen, da gerade in diesem Moment etwas Dramatisches passiert.

Zusammenfassung

  • „Nullbock“ ist ein wirkungsvolles Gedicht,
    • das mit wenigen,
    • aber prägnanten Worten
    • eine Atmosphäre dichte schafft.
  • Durch seinen minimalistischen Stil und die plötzliche Kontrastierung von Alltag und Katastrophe kann es lange im Gedächtnis bleiben.
  • Insgesamt steht dieses Gedicht für einen besonderen Aspekt moderner Lyrik.

Weitere Infos, Tipps und Materialien