Gedichtinterpretation: Wie erklärt man eine Textstelle methodisch sicher? (Mat7240)

Worum es hier geht:

  • Das Besondere an Gedichten ist u.a., dass sie verkürzt sind und manchmal nur Andeutungen machen.
  • Wir wollen am Beispiel einer Textstelle aus dem Gedicht „Am Turme“ von Annette von Droste-Hülshoff zeigen, wie man damit „sicher“ umgeht.
    • „Sicher“ heißt dabei, dass man mindestens die möglichen Punkte bekommt, vielleicht sogar noch einen Zusatzpunkt.
    • Das geht, wenn man methodisch sauber vorgeht.
    • „Sauber“ heißt hier, dass man
      • zeigt, dass man weiß, was man tut, nämlich sich auf einer bestimmten Ebene der Analyse bzw. Interpretation bewegt
      • und dass man möglichst gut begründet, warum man bestimmte Lücken-Füll-Ideen für hilfreich zum Verständnis des Gedichtes hält.
Ein Beispiel

Das ganze Gedicht haben wir hier vorgestellt.

https://schnell-durchblicken.de/klausur-interpretation-droste-huelshoff-am-turme

Wer sich das Folgende lieber im Video erklären lassen möchte:

Videolink

Dokumentation ohne unsere Bemalung während der Video-Präsentation

Mat7240 pcfr Analyse-Versicherung Am Turme Walross

Wer es lieber sich noch mal bemalt ansehen möchte:

Mat7240 bem Analyse-Versicherung Am Turme Walross

Hier geht es um die folgende Passage:

Und drunten seh‘ ich am Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch
Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht‘ ich hinein alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Walroß, die lustige Beute!

Und die Frage lautete
(sie ist hier sprachlich angepasst worden)
  1. Was die Verszeile mit dem „Walroß“ angeht:
    Ist das im übertragenen Sinne gemeint?
    Also, also dass sie (mit den Hunden) noch etwas Bestimmtes Konkretes oder Abstraktes jagen möchte?
    Zum Beispiel Glück, Freude oder Freiheit …
  2. Oder hat die Zeile gar keine tiefere Bedeutung – und das lyrische Ich will sich einfach mit den Hunden ein bisschen austoben und jagen  – Man könnte das auch im Sinne der Gesamtaussage des Gedichtes verstehen als sich ein bisschen wild verhalten und ausleben im Kontrast zu den Erwartungen, die an das lyrische Ich gestellt werden?
Überlegungen zur Lösung:

Wir versuchen hier mal eine Lösung, wie wir sie an der Stelle nutzen würden:

  1. Das lyrische Ich sieht hier die Wellen am Strand als Ort der Freiheit, des Abenteuer, echten Lebens.
  2. Deutlich wird, dass sie daran teilhaben möchte – und zwar im Sinne eines Sprungs, was immer auch mit einem gewissen Risiko verbunden ist.
  3. Bleibt die Frage, was das lyrische Ich dann will:
    „Und jagen durch den korallenen Wald
    Das Walroß, die lustige Beute!“
  4. Die einfachste Erklärungsebene ist, darauf hinzuweisen,
    • dass das lyrische Ich hier einfach eine Fantasie entwickelt.
    • Dabei werden Elemente verwendet, die man irgendwo gehört oder gelesen hat.
    • Es kommt nicht darauf an, ob ein Walross wirklich in einem Korallenwald zu finden ist.
    • Auch wird überhaupt nicht überlegt, ob die Beute das lustig findet, dass sie gejagt und dabei ja wohl getötet wird.
    • Es kann sich natürlich auch um eine Art Spiel handeln – aber auch da ist fraglich, ob ein natürliches Walross da mitmacht.
    • Also: Alles Fantasie – und das ist auch in Ordnung.
  5. Nun die Frage nach einer höheren Bedeutung. Hier kommt man als Leser oder als Leserin ins Spiel. „Kunst entsteht im Auge des Betrachters“ – auf diesen Satz können wir nicht oft genug hinweisen. Das heißt: Das Gedicht liefert nur einen Teil, nämlich eine gewisse Aussage: Das lyrische Ich möchte …
  6. Und dann kommen wir zur Sinn-Ebene: Was bedeutet das. Hier darf man eigene Überlegungen anstellen – sie sollten nur zum Kontext und möglichst auch zum ganzen Gedicht passen.
  7. Nun zurück zu den Ideen in der Fragestellung:
    1. Am sinnvollsten ist es, erst mal nahe an der Gedicht-Ebene zu bleiben:
      Und da passt natürlich:
      Die einfachste Erklärung ist, dass das lyrische Ich sich einfach mit den Hunden ein bisschen austoben und jagen will.
    2. Wenn man dann aber das gesamte Gedicht hinzunimmt, spricht alles dafür, dass dieses lyrische Ich nicht nur kurz mal mit den Hunden raus will.
      Hier passt dann besser:
      Es will „Glück, Freude oder Freiheit“.
      Wir würden nur den Gedanken des Abenteuers mit aufnehmen – und das ergäbe dann die folgende Reihenfolge:
      Freiheit, Abenteuer, Freude/Glück.
      – Besonders interessant und unbedingt aufzunehmen wäre noch:
      „ein bisschen wild verhalten und ausleben im Kontrast zu den Erwartungen, die an das lyrische Ich gestellt werden“.
Und nun eine kurze Lösung, die man  auch schafft 😉

Das lyrische Ich sieht hier die Wellen am Strand als Ort der Freiheit, des Abenteuer, echten Lebens. Deutlich wird, dass es daran teilhaben möchte – und zwar im Sinne eines Sprungs, was immer auch mit einem gewissen Risiko verbunden ist.

Im Gedicht selbst wird nur ein Fantasie-Ziel präsentiert.

Aber wenn man das gesamte Gedicht hinzunimmt, dann ist hier wohl gemeint, dass das lyrische Ich Freiheit will, verbunden mit Abenteuer, weil es nur so meint, glücklich werden zu können.

Wichtig dabei ist der damit verbundene Ausbruch aus den gesellschaftlichen Zwängen.  Und der findet hier wenigstens in der Fantasie statt.

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