Gellert, „Der Bauer und sein Sohn“ – überzeugende „Aufklärung“ ?
- Die Epoche der Aufklärung wollte genau das tun, was der Name aussagt, nämlich Menschen aufklären und letztlich bessern.
- Deutlich wird das auch in Gellerts Gedicht „Der Bauer und sein Sohn“.
- Allerdings ob das eine gute Methode ist, jemanden durch eine noch größere Lüge vom Lügen abzuhalten, darüber kann man gut diskutieren.
- Vor allem auch über mögliche Alternativen.
Wir stellen das Gedicht hier inhaltlich vor.
Auf der folgenden Seite haben wir uns konstruktiv-kritisch mit dem Verhalten des Vaters auseinandergesetzt:
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Christian Fürchtegott Gellert
Der Bauer und sein Sohn
- Ein guter dummer Bauerknabe,
- Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm,
- Und der trotz seinem Herrn mit einer guten Gabe,
- Recht dreist zu lügen, wieder kam:
- Ging kurz nach der vollbrachten Reise
- Mit seinem Vater über Land.
- Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand,
- Log auf die unverschämt’ste Weise.
- Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt.
Zeilen 1–9: Einführung und Lügen des Sohnes
Der Sohn, Fritz, hat eine Reise hinter sich und ist für seine Vorliebe zum Lügen bekannt. Er beginnt, seinen Vater mit einer übertriebenen Geschichte über einen riesigen Hund zu beeindrucken. - »Ja, Vater«, rief der unverschämte Knabe,
- »Ihr mögt mir’s glauben oder nicht:
- so sag‘ ich’s Euch und jedem ins Gesicht,
- Dass ich einst einen Hund bei – Haag gesehen habe,
Erklärung:
Fritz behauptet, einen riesigen Hund nahe Haag gesehen zu haben, einer Stadt, die als geografische Anspielung erwähnt wird. Für Schüler: Er versucht, seine Lüge glaubwürdig erscheinen zu lassen, indem er einen realen Ort einfügt. - Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt,
- Der – ja, ich bin nicht ehrenwert,
- Wenn er nicht größer war als Euer größtes Pferd.«
- »Das«, sprach der Vater, »nimmt mich wunder;
- Wiewohl ein jeder Ort lässt Wunderdinge sehn.
- Wir zum Exempel gehn itzunder
- Und werden keine Stunde gehn:
- So wirst du eine Brücke sehn,
- (Wir müssen selbst darüber gehn)
- Die hat dir manchen schon betrogen;
- (Denn überhaupt soll’s dort nicht gar zu richtig sein)
- Auf dieser Brücke liegt ein Stein,
- An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen,
- Und fällt und bricht sogleich das Bein.«
- Zeilen 10–27: Die Warnung des Vaters vor einer gefährliche Brücke, die angeblich jeden bestraft, der an dem Tag gelogen hat.
Diese – gewissermaßen erzieherische – Lüge soll den Sohn zum Nachdenken über sein Verhalten bringen.
- Der Bub‘ erschrak, sobald er dies vernommen.
- »Ach!« sprach er, »lauft doch nicht so sehr!
- Doch wieder auf den Hund zu kommen,
- Wie groß sag‘ ich, daß er gewesen wär‘?
- Wie Euer großes Pferd? Dazu will viel gehören.
- Der Hund, itzt fällt mir’s ein, war erst ein halbes Jahr;
- Allein das wollt‘ ich wohl beschwören,
- Dass er so groß, als mancher Ochse, war.«
- Zeilen 28–35: Die erste Relativierung (Verkleinerung des Lügenobjektes)
Fritz beginnt, die Größe des Hundes herunterzuspielen, da ihn die Geschichte über die Brücke einschüchtert.
- Sie gingen noch ein gutes Stücke;
- Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt‘ es anders sein?
- Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
- Er sah nunmehr die richterische Brücke
- Und fühlte schon den Beinbruch halb.
- »Ja Vater«, fing er an, »der Hund, von dem ich red’te,
- War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte:
- So war er doch viel größer als ein Kalb.«
- Zeilen 36–43: Weitere Verkleinerung des Lügenobjektes
Je näher sie der Brücke kommen, desto kleiner wird der Hund in Fritzens Erzählung. Schließlich beschreibt er ihn nur noch als „größer als ein Kalb“.
- Die Brücke kommt. Fritz! Fritz! wie wird dir’s gehen!
- Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind.
- »Ach Vater!« spricht er, »seid kein Kind
- Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen.
- Denn kurz und gut, eh‘ wir darüber gehen:
- Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind.«
- Zeilen 44–49: Geständnis
Kurz vor der Brücke gesteht Fritz, dass er gelogen hat, und gibt zu, dass der Hund in Wirklichkeit eine normale Größe hatte.
- Du musst es nicht gleich übel nehmen,
- Wenn hie und da ein Geck zu lügen sich erkühnt.
- Lüg‘ auch, und mehr als er, und such‘ ihn zu beschämen:
- So machst du dich um ihn und um die Welt verdient.
Erklärung:
Der Gedicht-Erzähler schlägt ironisch vor, Lügner durch noch größere Lügen zu übertrumpfen, um sie bloßzustellen. Für Schüler: Das ist ein humorvoller Hinweis darauf, dass Übertreibung Lügen entlarven kann.
- Zeilen 50–53: Moral
Die abschließende Moral fordert auf, Lügner durch übertriebene Lügen bloßzustellen und damit auf den Wert der Wahrheit hinzuweisen.
Quelle: Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 120-121.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004806301
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Gedichte der Aufklärung – kurz vorgestellt
https://textaussage.de/gedichte-der-aufklaerung-ueberblick-und-beispiele - Infos, Tipps und Materialien zur deutschen Literaturgeschichte
https://textaussage.de/deutsche-literaturgeschichte-themenseite
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
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