„Der Wanderer“, ein Reisegedicht von Georg Trakl
Ein Gedicht, das zwar expressionistische Züge zeigt, sich aber an einigen Stellen auch der Romantik annähert.
Das Besondere ist die ungewöhnliche Form, die teilweise an Prosa erinnert.
Gefunden haben wir das Gedicht z.B. hier.
Zum Titel und zur Strophe 1
Georg Trakl
Der Wanderer
Immer lehnt am Hügel die weiße Nacht,
Wo in Silbertönen die Pappel ragt,
Stern‘ und Steine sind.
- Die erste Strophe präsentiert insgesamt den Blick und die entsprechenden Vorstellungen des lyrischen Ichs in einer – wie sich herausstellt – mondhellen Nacht.
- Das erklärt dann auch, dass diese Nacht als „weiße“ beschrieben wird.
- Der Blick zoomt dann an Einzelheiten heran, eine Felswand, vielleicht auch ein Gebäude.
- Seltsam ist auf jeden Fall die Verbindung von Sternen und Steinen, das ist zwar eine schöne Alliteration, aber normalerweise sind diese beiden Objekte nicht nahe beieinander. Möglicherweise ist damit die Silhouette eines Hauses oder einer Stadt gemeint und dann eben der darüber liegende Sternenhimmel.
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Zur Strophe 2
Schlafend wölbt sich über den Gießbach der Steg,
Folgt dem Knaben ein erstorbenes Antlitz,
Sichelmond in rosiger Schlucht
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- Die zweite Strophe wendet dann den Blick einem noch konkreteren Objekt zu, nämlich einem sogar namentlich genannten Bach und dem darüber führenden Steg. Das Ganze wird als „schlafend“, also als ruhig, unbeweglich wahrgenommen.
- Die nächsten beiden Zeilen lassen sich am besten so verstehen, dass ein Junge über diesen Steg geht ujnd hinter ihm der „Sichelmond“ zu sehen ist – vor einem entsprechend gefärbten Abendhimmel.
- „Schlucht“ verstärkt als Signal den Eindruck, dass es sich hier um eine Berglandschaft handelt und die Steine als Felsen dazu gehören.
- Typisch für den Expressionismus ist, dass das lyrische Ich dem Mond den Tod zuordnet, der dabei auch noch vermenschlicht wird, was eine enge Beziehung andeutet.
- An dieser Stelle kann mal wieder deutlich gemacht werden, wie sehr Gedichte besonders des Expressionismus angewiesen sind auf die Interaktion mit dem Leser. Wichtig ist deshalb, hier möglichst viel Freiraum zu lassen und nicht zu schnell eine verbindliche Interpretation festzulegen.
Zur Strophe 3
Ferne preisenden Hirten. In altem Gestein
Schaut aus kristallenen Augen die Kröte,
Erwacht der blühende Wind, die Vogelstimme des Totengleichen
Und die Schritte ergrünen leise im Wald.
- Hier verlagert sich die Beschreibung wieder in innere Vorstellungen, wie sie typisch sind für den Expressionismus. Äußere Eindrücke werden zum Ausdruck innerer Vorstellungen verarbeitet, bei denen es nicht auf Logik ankommt, sondern eben auf Wirkung.
- Am ehesten kann der Hirte mit dem Mond in Verbindung gebracht werden.
- Die Kröte ist dann wohl nur als innere Vorstellung zu verstehen.
- Dann kommt Bewegung ins Gedicht, indem der Wind zunimmt, blühend passt nicht so ganz zur Nacht, aber in der inneren Vorstellung ist alles erlaubt.
- Anschließend wird das wieder mit dem Tod in Verbindung gebracht.
- Den Schluss bildet die Vermischung des Wanderns und des möglicherweise gerade beleuchteten Weges, wobei das Gras grün schimmert.
Zur Strophe 4
Dieses erinnert an Baum und Tier. Langsame Stufen von Moos;
Und der Mond,
Der glänzend in traurigen Wassern versinkt.
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- Die nächste Strophe drückt dann auch ganz offen aus, dass es hier um Assoziationen im Sinne von Erinnerung geht.
- Der zweite Teil dieser Strophe besteht nur aus der Beschreibung von Teilen der Natur, verbunden mit entsprechenden Empfindungen. Offensichtlich geht der Mond real oder durch eine entsprechende Perspektive in einer Wasserfläche unter.
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Zur Strophe 5
Jener kehrt wieder und wandelt an grünem Gestade,
Schaukelt auf schwarzem Gondelschiffchen durch die verfallene Stadt.
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- Hier wird deutlich, dass das Verschwinden des Mondes wohl nur eine Sache der Perspektive ist, so dass er jetzt direkt wiederkommen kann.
- Deutlich ist die Vermenschlichung des Himmelsgestirns mit einem eher hoch angesetzten Begriff für die Bewegung, denn man verbindet „wandeln“ eher mit Göttern als normalen Wanderern.
- Den Schluss bildet wieder das Todesmotiv, erkennbar an der schwarzen Farbe und der verfallenen Stadt.
Aussagen des Gedichtes / Intentionalität
Das Gedicht präsentiert
- eine nächtliche Sicht auf eine mondbeschienene Landschaft,
- die stark mit inneren Assoziationen verbunden wird.
- Eine zentrale Rolle spielen die Motive von Untergang bzw. Verfall und Tod.
Gesamteinschätzung
Insgesamt ist es ein typisches Gedicht des Expressionismus, das es dem Leser nicht leicht macht, den recht subjektiven Assoziationen des lyrischen Ichs zu folgen.
Im Unterricht sollte dieses Gedicht deshalb nur eingesetzt werden, wenn Schüler wissen, dass sie nur genau hinsehen müssen, ansonsten aber durchaus mit eigenen Einfällen und Assoziationen spielerisch auf den Text reagieren dürfen.
Möglichkeit des Vergleichs
- Vergleichen kann man das Gedicht mit „Der verspätetete Wanderer“ von Eichendorff.
Ü3 Weitere Infos, Tipps und Materialien
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