Kafka, „Der Prozess“ – Auswertung wichtiger Textstellen zur Frage der Schuld (Mat2080-zfsa)

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haben wir die wichtigen Textstellen aus dem Roman „Der Prozess“ zusammengestellt, die für die Klärung der Frage der Schuld von Josef K. wichtig sind.

Hier nun eine zusammenfassende Auswertung der Textstellen:

  • In Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ steht die Frage nach der Schuld Josef K.s von Beginn an im Mittelpunkt und begleitet sowohl den Protagonisten als auch den Leser durch die gesamte Erzählung.
  • Der Romantext legt nahe, dass K. anfänglich – und auch bis zum Ende – seine Schuld bestreitet, während das Gerichtssystem eine undurchsichtige und unerbittliche Logik verfolgt, die die Schuld als gegeben oder sogar als Anziehungspunkt betrachtet.

Die anfängliche Verwirrung und Behauptung der Unschuld

  • Der Roman beginnt mit der abrupten Verhaftung Josef K.s, die für ihn unerklärlich ist: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“.
  • Diese Eingangsaussage etabliert K.s grundlegende Haltung: Er hat nichts Böses getan und ist unschuldig.
  • Die Wächter verweigern ihm jede Erklärung für seine Verhaftung und behaupten, die hohen Behörden würden nicht aktiv nach Schuld suchen, sondern „von der Schuld angezogen“.
  • Dies deutet auf eine mysteriöse, von vornherein vorhandene Schuld hin, die dem Gericht angeblich bekannt ist. K. tut diese Erklärungen als das Gerede „niedrigster Organe“ ab, deren Sicherheit auf ihrer Dummheit beruhe.
  • K.s erste direkte Konfrontation mit dem System erfolgt durch den Aufseher, der ihn ermahnt, „keinen solchen Lärm mit dem Gefühl Ihrer Unschuld“ zu machen, da dies den sonst nicht schlechten Eindruck störe.
  • K. selbst beharrt darauf: „Ich bin angeklagt, aber nicht die geringste Schuld auffinden kann, wegen deren man mich anklagen könnte.“.
  • Doch der Aufseher bestätigt nur die Verhaftung, nicht die Anklage selbst.
  • Selbst Frau Grubach, K.s Vermieterin, betrachtet die Verhaftung als „etwas Gelehrtes“, das man nicht verstehen müsse, und unterscheidet K.s Verhaftung von der eines Diebes, was die ungewöhnliche Natur des Prozesses unterstreicht.
  • K.s Frage an Fräulein Bürstner, ob sie ihn für schuldlos halte, und ihre zögerliche Antwort zeigen, dass die Frage der Schuld von Anfang an im Raum steht, aber schwer zu fassen ist.

K.s Widerstand und die Absurdität des Gerichts

  • Bei seiner ersten Untersuchung ist K. entschlossen, die ganze Sache schnell zu beenden.
  • Er erkennt das Verfahren nur aus „Mitleid gewissermaßen“ an und sieht sich nicht als Einzelfall, sondern als Stellvertreter für viele Unschuldige, die von einer „korrupte[n] Bande“ von Beamten verfolgt werden.
  • Seine anfängliche Verachtung für das Gericht äußert sich in seinem Ausruf: „Ihr Lumpen, ich schenke euch alle Verhöre“.
  • Er vermutet, dass man nicht nur unschuldig, sondern auch unwissend verurteilt wird, und glaubt, der Prozess werde aus „Faulheit oder Vergeßlichkeit oder vielleicht sogar infolge Angst der Beamtenschaft“ bald abgebrochen.
  • Seine Weigerung, jemanden zu bestechen, ist ein weiterer Ausdruck seines Widerstands gegen die Korruption.
  • Als K. entdeckt, dass seine unbedachte „Klage“ beim Untersuchungsrichter zu einer Bestrafung der Wächter führt, ist er gequält.
  • Er versucht, die Schuld von den Wächtern abzulenken und argumentiert, die „Organisation“ und die „hohen Beamten“ seien schuldig, nicht die niederen Ränge.
  • Dies zeigt eine Entwicklung in K.s Verständnis: Er beginnt, die Schuld nicht bei einzelnen Personen, sondern im System zu verorten, auch wenn er sich dann wieder selbst von der Verantwortung für das Scheitern der Bestechung freispricht.

Die undurchdringliche Logik der Schuld

  • Mit der Zeit erfährt K. mehr über das Gerichtssystem, was seine anfängliche Einschätzung der Schuld auf den Kopf stellt.
  • Sein Onkel kritisiert K.s Verhalten und meint, so verhalte sich kein „unschuldig Angeklagter, der noch bei Kräften ist“, was den Druck der sozialen Erwartung auf K. offenbart.
  • K. lehnt einen Landaufenthalt ab, da dies „Flucht und Schuldbewußtsein“ bedeuten würde.
  • Der Anwalt Huld enthüllt die Geheimhaltung des Verfahrens und die Unzugänglichkeit der Akten, wodurch K. die Anklagepunkte nie erfahren kann.
  • Huld betont, dass die Verteidigung nur „geduldet“ sei und persönliche Beziehungen zu Beamten wichtiger als tatsächliche rechtliche Schritte. Angesichts dieser Ausführungen beschließt K., selbst einzugreifen und „jeden Gedanken an eine mögliche Schuld von vornherein ablehnen.
  • Es gab keine Schuld.“. Er betrachtet den Prozess nun als „ein großes Geschäft“.
  • Ein entscheidender Moment ist das Gespräch mit dem Gerichtsmaler Titorelli. K.s direkte Versicherung, er sei „vollständig unschuldig“, wird von Titorelli zwar mit „Wenn Sie unschuldig sind, dann ist ja die Sache sehr einfach“ beantwortet.
  • Doch K. widerspricht vehement und erkennt: „Meine Unschuld vereinfacht die Sache nicht [….] Zum Schluß aber zieht es von irgendwoher, wo ursprünglich gar nichts gewesen ist, eine große Schuld hervor.“.
  • Titorelli bestätigt, dass das Gericht „fest von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist und von dieser Überzeugung nur schwer abgebracht werden kann“ – ja, „niemals […] abzubringen“ ist.
  • Die Möglichkeit eines „wirklichen Freispruchs“ ist laut Titorelli praktisch nicht existent; er hat „nicht einen einzigen wirklichen Freispruch erlebt“.
  • Die einzig möglichen Wege sind die „scheinbare Freisprechung“ oder die „Verschleppung“, die beide eine Verurteilung verhindern, aber auch die „wirkliche Freisprechung“ unmöglich machen.
  • Hier wird deutlich, dass das Gericht nicht auf der Suche nach Schuld ist, sondern von ihr ausgeht und den Angeklagten in einem Zustand der latenten Verurteilung hält.

Die universelle Schuld und K.s innere Wandlung

  • Die tiefste Erkenntnis über die Natur der Schuld erhält K. im Dom vom Gefängniskaplan, der selbst „zum Gericht“ gehört.
  • Der Geistliche konfrontiert K. direkt: „Man hält dich für schuldig. […] Man hält wenigstens vorläufig deine Schuld für erwiesen.“. K.s leidenschaftliche Entgegnung – „Ich bin aber nicht schuldig, es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.“ – wird vom Geistlichen auf erschreckende Weise umgedeutet: „Das ist richtig […], aber so pflegen die Schuldigen zu reden.“.
  • Damit wird K.s Leugnen der Schuld paradoxerweise zum Beweis seiner Schuld im Sinne des Gerichts. Das Urteil ist kein plötzliches Ereignis, sondern das Verfahren selbst geht „allmählich ins Urteil über“.
  • Leni hatte K. bereits geraten, ein Geständnis abzulegen, um „die Möglichkeit zu entschlüpfen“ zu erhalten, was die Schuld nicht als moralische Kategorie, sondern als strategisches Mittel im Gerichtsprozess erscheinen lässt.
  • Auch Kaufmann Block, ein anderer Klient, ist durch seinen Prozess vollständig zermürbt und warnt vor Aberglauben unter Angeklagten, die aus dem Gesicht den Ausgang des Prozesses lesen wollen, wobei viele K. eine baldige Verurteilung voraussagen.
  • Ein von Block zitierter Rechtsspruch besagt, dass „der, welcher ruht, kann immer, ohne es zu wissen, auf einer Waagschale sein und mit seinen Sünden gewogen werden“.
  • Dies deutet auf eine immerwährende, unbewusste Schuld hin, die jeden Menschen belasten könnte.
  • Am Ende des Romans, als K. seiner Hinrichtung entgegengeführt wird, erkennt er die „Wertlosigkeit seines Widerstandes“.
  • In diesem Moment der Resignation vollzieht sich eine innere Wandlung.
  • Er bereut seine frühere Haltung, mit „zwanzig Händen in die Welt hineinfahren“ zu wollen „und überdies zu einem nicht zu billigenden Zweck. Das war unrichtig.“.
  • Diese Aussage ist die einzige Stelle, an der K. eine Art eigene Schuld oder zumindest eine Fehlhaltung in seinem Leben eingesteht.
  • Er reflektiert, dass es seine Pflicht gewesen wäre, „das Fleischermesser selbst zu ergreifen und sich einzubohren“, aber ihm die nötige Kraft versagt wurde.
  • Dennoch bleibt die externe, konkrete Anklage unklar.
  • K. stirbt mit der unbeantworteten Frage: „Wo war der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht, bis zu dem er nie gekommen war?“.

Fazit des Romans

  • Die Frage der Schuld in „Der Prozess“ bleibt letztlich mehrdeutig. Während Josef K. bis zuletzt seine faktische Unschuld beteuert, konstruiert das Gericht eine Schuld, die nicht nachweisbar ist, aber als gegeben vorausgesetzt wird.
  • K.s Reise durch den Prozess ist eine Reise der Erkenntnis über die Absurdität und Allmacht dieses Systems, das die Schuld nicht sucht, sondern schafft, oder sie als universelle, existenzielle Bedingung des Menschseins ansieht.

Unsere Interpretation geht über den Roman hinaus:

  • Wir vergleichen das Schicksal von Josef K. zum Beispiel mit der Erzählung „Der Schlag ans Hoftor“, die viele Parallelen aufweist.
  • Vor allem objektive Schuldlosigkeit, die trotzdem in das Verhängnis führt, das Ausgeliefertsein an eine geheimnisvolle, höhere Macht, die vielleicht aber auch nur aus Willkür handelt.
  • Auch hier empfiehlt sich eine Lesart, die einfach davon ausgeht, dass Kafka auf besondere Weise das Schicksal des Menschen allgemein in der Welt darstellt.
  • Das passt zu Goethes Gedicht „Das Göttliche“, das auch die Willkür des Schicksals betont. Aber als Klassiker vertraut Goethe auf den Menschen und „das Göttliche“ in ihm, das ihm die Möglichkeit gibt, „edel, hilfreich und gut“ zu sein.

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