Worum es hier geht:
- Frauen spielen in Kafkas Roman „Der Prozess“ eine wichtige Rolle.
- Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang Fräulein Bürstner, denn sie taucht sowohl im Zusammenhang mit der Verhaftung von K. auf als auch im Umfeld seiner Hinrichtung.
- Im Folgenden zeigen wir, wie man eine wissenschaftliche Arbeit zu dem Thema auswerten kann.
- Zu finden ist sie im Internet auf der Seite:
https://docplayer.org/24862094-Die-bedeutung-der-frauenfiguren-in-franz-kafkas-der-process.html - Geschrieben wurde die Arbeit von der Studentin Vera Meuret an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in einem Hauptseminar im Deutsches Seminar bei Prof. Dr. Fred Lönker. Thema der Arbeit war: „Die Bedeutung der Frauenfiguren in Franz Kafkas Der Proceß“
- Wir kümmern uns hier um eine Auswertung der Seiten 4-11, in denen Fräulein Bürstner als „die potentielle Liebhaberin“ behandelt wird.
Fräulein Bürstner als „potentielle Liebhaberin“
- Für die Verfasserin macht Fräulein Bürstner zunächst „den Anschein einer braven und naiven jungen Frau, die jeglichen gesellschaftlichen Ansprüchen genügt“.
- Bald präsentiert sie sich dann aber ganz anders: „Sie begegnet Josef K. mit einem exemplarischen Selbstbewusstsein und auffallender Prägnanz“.
- Wichtig wird dann, dass diese Frau sich vor allem für „Angelegenheiten des Gerichtes“ interessiert, da sie selbst auch später in dem Bereich arbeiten will. Damit ist schon mal ein besonderer Anknüpfungspunkt mit K. gegeben.
- Im weiteren Verlauf stellt sie dann zum einen K. zur Rede, weil er mit dem Zutritt zu ihrer Wohnung ihre Privatsphäre verletzt hat, andererseits aber deutet für die Autorin „ihr gelegentliches Lachen eine unnatürlich erscheinende Koketterie an, die offenkundig mit der Eitelkeit […] korreliert“ [zusammengehört].
- Betont wird, dass diese junge Frau offensichtlich Männern gefallen will, was bei K. seine „männliche Triebhaftigkeit“ anspricht.
- Zusammenfassend wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben: „Fräulein Bürstner stellt in der Tat eine potentielle Liebhaberin und gleichwertige Partnerin dar, die Josef K. darüber hinaus in ihrem Intellekt ebenbürtig erscheint.“
- Die Verfasserin sieht aber auch eine entsprechende Gegenseite bei K: „Der Reiz, der von ihrem souveränen Auftreten und ihrem ausgeprägten Wissensdrang an Gerichtsangelegenheiten ausgeht, wirkt auf Josef K. sehr betörend, sodass er sich ereifert, ihre Gunst zu erlangen. Seine ihr geltende Begierde geht mit einer selbst konstruierten Strategie zur Verdrängung seines Prozesses konform, welche er unterbewusst nur durch die Eroberung Fräulein Bürstners erzielen kann.“
- K.s anschließende Übergriffigkeit, bei der er sich wie ein „durstiges Tier“ (so im Roman) verhält, lässt Fräulein K. „unbeteiligt über sich ergehen, um sich ihm danach enttäuscht für immer zu entziehen“.
- Zusammenfassend wird das Verhalten des Fräuleins so beschrieben: „Fräulein Bürstner repräsentiert die Überlegenheit eines Frauentyps 10, deren Unabhängigkeit allen Verführungen widerstrebt. Sie nimmt daher in Bezug auf den Versuch der körperlichen Kontaktaufnahme von Seiten Josef K.s eine bewusst gewählte aktiv-resignative Rolle ein.“
- Unabhängig davon spielt das Fräulein für die Verfasserin „eine zentrale Rolle“ im Roman, die immer wieder direkt oder auch indirekt auftaucht: „Dahin gehend kann ihr eine bedeutende Rolle zugesprochen werden, vermutlich weil Fräulein Bürstner in dem Roman eine Ausnahme darstellt, da sie die einzige Frau im Roman [ist], die in direkter, d.h. nicht über ein intimes Verhältnis zu einem einflussreichen Mann vermittelter, Beziehung zum Gericht steht.“ Dem kann man aber nicht ganz folgen, da die junge Frau ja nur Interesse am Gericht zeigt, bisher offensichtlich aber noch nichts mit ihm zu tun hat und der größte Teil der Begegnung dann eher von versteckter und schließlich auch offener Erotik geprägt ist.
- Wichtig ist die Feststellung der Autorin im Hinblick auf die Rolle, die das Fräulein im Zusammenhang des Todes von K. spielt:
Das Schlusskapitel
- „Im Angesicht des Todes von Josef K. tritt sie schließlich im letzten Kapitel latent wieder in Erscheinung,
- durch ihre Präsenz begreift K. seine existent desolate Lage und die [ ] Wertlosigkeit seines Widerstandes kam ihm gleich zu Bewusstsein (S. 208).
- Mit dieser Begegnung beginnt die Reflexion seines Erkenntnisprozesses kurz vor seiner Hinrichtung, er [hat] nicht mehr die Kraft, sich gegen seine Hinrichtung zu wehren
- Insofern ist die permanente Konfrontation Josef K.s mit dem Prozess und der Gerichtsinstanz abgeschlossen.
- Die Versinnbildlichung von Fräulein Bürstner am Anfang und am Ende des Romans unterstreicht die besondere Affinität, die Fräulein Bürstner zu dem Helden als auch zum Gericht aufweist.“
Anmerkung: Das bleibt hier aber zu sehr auf der Thesenebene. Man wünscht sich näher ausgeführt.
Untersuchung von Waldemar Fromm
Abschließend wird von auf eine Untersuchung von Waldemar Fromm verwiesen. Dieser
- „interpretiert ihre Wiederkehr in Relation zu der Handlung im ganzen Roman als eine Tat der verlorenen Geliebten Josef K.s,
- dessen Liebesbestreben um sie im ganzen Romanverlauf,
- ausgelöst durch den Vampirkuss,
- nun endgültig der Niederlage geweiht ist.“
Kritisch merkt die Verfasserin aber an:
„Ob dieser Kuss als Zeichen einer wahren Zuneigung zu werten ist in der Umgebung einer gefühlskalten und berechnenden Gerichtswelt, deren unergründlichen Habitus sich K. gleichermaßen immer mehr aneignet, gilt es meines Erachtens als kritisch zu bewerten.“
Zusammenfassung: Was bringen die Ausführungen in dieser Seminararbeit?
- Zunächst einmal wird deutlich, dass Fräulein Bürstner eine Sonderrolle spielt, weil sie sich K. intellektuell und vom Verhalten her als durchaus gleichwertig präsentiert
- und sie auch die offensichtlich verdrängte Sexualität bei diesem verklemmten Mann hervorlockt, dann aber auch bremsen kann.
- Insgesamt erscheint sie K. also überlegen zu sein.
- Inwieweit das Fräulein aber bei K. während des gesamten Romans ein „Liebesbestreben“ auslöst, muss genauso kritisch geprüft werden wie die These, dass ihr Erscheinen am Ende K. seine desolate Lage und die „Wertlosigkeit“ von Widerstand deutlich macht.
- Kritisch angemerkt worden ist ja schon, dass Fräulein Bürstners Beziehung zum Gericht eindeutig überschätzt wird. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie eben eine besondere Rolle spielt. Letztlich dürfte sie aber eher ein Teil-Element bzw. ein Teil-Indikator eines verborgenen Schuldkomplexes sein, der K. offensichtlich auszeichnet und von dem das Gericht ja angezogen wird. Hier noch mal das wichtige Zitat, das sich in der Reclam-Ausgabe des Romans auf S. 12 findet. Dort erklärt einer der Männer, die K. verhaften:
„Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen und muß uns Wächter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo gäbe es da einen Irrtum?“
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Franz Kafka, „Der Prozess“: Inhalt, Schlüsselzitate, Detail-Interpretation
https://schnell-durchblicken.de/kafka-prozess-inhalt-zitate-interpretation
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- Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos
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