Klausurbaustein: Natur und Zivilisation im Roman „Heimsuchung“ (Mat8630-knz)

Worum es hier geht:

Viele Schülis möchten wissen, wie sie bestimmte Aufgaben in Klausuren am besten lösen und vor allem darstellungstechnisch am besten bewältigen.

Deshalb präsentieren wir sogenannte „Klausurbausteine“, die einem helfen, so etwas zu trainieren. Und aus eigener Erfahrung können wir nur den Rat geben: Am meisten lernt man optimales Schreiben durch Nachahmung.

Also einfach sich diese Lösungen mal öfter durchlesen, dann eine eigene „nachahmend“ oder auch besser erstellen – und dann gewöhnt sich das Gehirn daran – und die Synapsen sind in der Klausur keine Feldwege mehr, sondern gut ausgebaute Schnellstraßen.

Unser aktuelles Beispiel: Klausur zum Roman „Heimsuchung“

Stellen wir uns vor – eine solche Klausuraufgabe wird gestellt:

Klausur

Aufgabenstellung:

  1. Analysieren Sie den angehängten Textausschnitt aus dem Roman „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck (EB29-31), indem Sie
    1. ihn in den Roman einordnen und die Gesamthematik bestimmen
    2. dann den Inhalt des Ausschnitts zusammenfassend beschreiben und seinen Anteil an der Gesamtthematik klären,
    3. aus dem Abschnitt herausarbeiten, wie hier mit der Natur umgegangen wird
    4. und deutlich machen, mit welchen sprachlichen und sonstigen Mitteln die  Aussagen unterstützt werden.
  2. Klären Sie unter Einbeziehung des Prologs, der Rolle des Gärtners und des Schlusses, welche Gesamtaussage sich dem Roman im Hinblick auf das Verhältnis von Natur und Zivilisation entnehmen lässt.

Formulieren Sie abschließend kurz, aber begründet, Ihre eigene Einstellung gegenüber dem Verhältnis von Natur und menschlicher Zivilisation

Die erste Aufgabe bezieht sich den Textteil ab S. 29 in der E-Book-Ausgabe und beginnt so:

„„Gartenarchitekt ist der Vetter des Hausherrn selbst, der im benachbarten Kurort wohnt und nun täglich hinüberkommt, um mit dem Hausherrn und dem Gärtner die Pläne durchzusprechen und die Arbeiten zu beaufsichtigen. Auf der oberen ebenen Fläche zwischen Haus und See soll der Kiefernwald gerodet und Mutterboden aufgeschüttet werden, damit der Rasen gut anwächst. Eingefaßt werden soll der linke, kleinere Teil der Wiese, direkt vor dem Haus, von Nadelgehölzen und schwarzem Holunder, ein Rosenbeet nur wird ihn von der Terrasse trennen.“

Es geht dann bis S. 31 und endet mit:
„Die beiden Männer stehen auf der Terrasse und blicken von da aus nach unten auf den See, der zwischen den rötlichen Stämmen der Kiefern hindurch glänzt und schimmert. Der Gärtner schiebt die nächste mit Erde gefüllte Karre heran und leert sie aus. Die Wildnis bändigen und sie dann mit der Kultur zusammenstoßen lassen, das ist die Kunst, sagt der Hausherr. Genau, sagt sein Vetter und nickt. Der Gärtner verteilt mit der Kante der Schaufel die Erde gleichmäßig auf dem Beet. Sich der Schönheit, unabhängig davon, wo man sie findet, zu bedienen, sagt der Hausherr. Genau.“

Hier geht es um Bausteine zu den Aufgaben 2 und 3.

Aufgabe 2:
„Klären Sie unter Einbeziehung des Prologs, der Rolle des Gärtners und des Schlusses, welche Gesamtaussage sich dem Roman im Hinblick auf das Verhältnis von Natur und Zivilisation entnehmen lässt.“

Unser Baustein zu Aufgabe 2

Die nachfolgende Ausarbeitung soll die in Aufgabe 1 angelegte Analyse des Gartenkapitels vertiefen, indem das Verhältnis von Natur und Zivilisation im Gesamtroman betrachtet wird – unter Einbeziehung des Prologs, der Figur des Gärtners sowie der letzten Kapitel.

Der Prolog schildert eine geologische Zeitreise, in der das Eis über Jahrtausende hinweg die Landschaft formt. Natur erscheint hier als eine gewaltige, eigenständige Kraft, die langsam, aber unaufhaltsam wirkt – ohne menschliches Zutun. Diese Perspektive rahmt den Roman und relativiert alle menschlichen Bemühungen um Gestaltung, Besitz und Beherrschung.

Im Gegensatz dazu steht das Gartenkapitel, in dem Natur gezielt gestaltet und durch menschliche Planung und Technik überformt wird. Der Hausherr spricht davon, ‚die Wildnis zu bändigen‘ und ‚mit der Kultur zusammenstoßen zu lassen‘. Die Natur wird also nicht nur genutzt, sondern bewusst inszeniert. Die ‚Bühne‘ der Wiesen steht exemplarisch für diese Ästhetisierung und Kontrolle.

Der Gärtner hingegen verkörpert ein anderes Verhältnis zur Natur. Er ist wortkarg, handelt aber im Einklang mit natürlichen Rhythmen. Seine Arbeit ist geprägt von handwerklicher Sorgfalt und Respekt gegenüber den Bedingungen des Bodens, des Lichts und der Jahreszeiten. So wird er zur Vermittlerfigur zwischen Natur und Zivilisation – einer, der beide Seiten kennt, ohne eine zu dominieren.

Das Schicksal des Architekten macht in einem ersten Schritt die Vergänglichkeit alles menschlichen Tuns deutlich. Er muss das Haus, in das er so viel investiert hat, verlassen. Der Architekt begräbt sein Silberbesteck und fragt sich, ob daraus neue Löffel wachsen werden – ein ironischer Hinweis auf die Vergänglichkeit kultureller Artefakte und die Überlegenheit der Naturzyklen.

Noch deutlicher ist der Schluss im Epilog: Am Ende heißt es: „…gleicht die Landschaft für einen kurzen Moment wieder sich selbst.“ Damit ergibt sich leiser, aber bedeutungsschwerer Bogen zurück zum Prolog. Die Natur, die über Jahrtausende das Land geformt hat, bleibt im Hintergrund aktiv – geduldig, unbeeindruckt von Besitzwechseln, Krieg und Bauplänen. Für einen Wimpernschlag lang, wenn das Haus verschwunden und noch kein neues errichtet ist, kehrt sie sichtbar zurück. Es ist ein Moment der Wahrheit – nicht für die Natur, sondern für uns. Vielleicht zeigt sich dort, wie wenig notwendig wir der Welt sind – und wie viel wir ihr dennoch abverlangen.

Klausurbaustein zu Aufgabe 3

Die folgende Reflexion bezieht sich auf Aufgabe 3 der Klausur und soll deutlich machen, welche Spielräume der Roman für eine begründete eigene Stellungnahme zum Verhältnis von Natur und Zivilisation eröffnet. Dabei werden zwei kontrastierende Positionen entfaltet, die jeweils auch die Argumente der Gegenseite berücksichtigen.

Position A: Der Mensch als Gestalter – mit Verantwortung

Aus dieser Sicht ist es sinnvoll und notwendig, dass der Mensch die Natur nutzt, verändert und zähmt. Wer würde etwa behaupten, dass Mücken die gleichen Lebensrechte genießen wie Menschen? Es gibt gute Gründe, Sümpfe trocken zu legen, Hochwassergebiete zu schützen, Flüsse zu regulieren und Städte zu planen. Die Zivilisation ist Ausdruck menschlicher Kreativität – und vielerorts auch Schutz vor der „Unerbittlichkeit“ der Natur, wie Goethe sie in seinem Gedicht „Das Göttliche“ beschreibt: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Die Natur ist eben nicht immer so.

Gleichzeitig erkennt diese Position an, dass Eingriffe in die Natur Konsequenzen haben – ökologisch, klimatisch, ethisch. Wer auf technologische Lösungen setzt, muss auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen – und Grenzen zu respektieren, wenn es etwa um Artenvielfalt, Grundwasser oder den Umgang mit Ressourcen geht.

Position B: Die Natur als überlegene Kraft – mit eigenem Recht

Andere Stimmen sehen in jeder menschlichen Zähmung der Natur eine Anmaßung. Sie erinnern daran, dass kein Mensch je einen Baum gebaut, einen See erschaffen oder ein Ökosystem erfunden hat. Der Mensch ist Gast in einer Welt, die lange vor ihm existierte und vermutlich auch nach ihm weiterbesteht. Im Roman wird deutlich: Selbst das Haus, das mit so viel Aufwand gebaut, gepflegt und schließlich abgetragen wird, verschwindet – aber die Landschaft gleicht sich wieder sich selbst.

Aus dieser Perspektive wirkt jeder Eingriff in die Natur wie eine vorübergehende Verzerrung. Der Gärtner, der schweigend handelt, statt zu gestalten, ist das heimliche Vorbild dieser Haltung: Er bewahrt, pflegt, begleitet – aber er entwirft keine Bühnenbilder.

Gleichwohl muss auch diese Sicht anerkennen, dass der Mensch auf den Schutz durch Technik und Ordnung angewiesen ist. Ein völliger Rückzug aus der Naturgestaltung würde nicht nur zum romantischen Rückfall führen, sondern auch zu konkreten Problemen: hungernde Städte, zerstörte Infrastrukturen, gefährdete Menschenleben.

Fazit: Zwischen Verantwortung und Bescheidenheit

Die Wahrheit liegt – wie so oft – nicht im Schwarz oder Weiß, sondern in der Kunst, beide Seiten zu hören. Der Roman „Heimsuchung“ legt dabei keinen Standpunkt fest, sondern öffnet einen Denkraum: Vielleicht ist nicht entscheidend, ob wir gestalten, sondern wie. Wer gestaltet, muss wissen, dass sein Werk vergänglich ist. Und wer schützen will, darf nicht die menschlichen Bedürfnisse ausblenden.

Weitere Infos, Tipps und Materialien