Wie kann man eine Kurzgeschichte weiterschreiben – am Beispiel von Borchert, „Das Brot“ (Mat7438)

Worum es hier geht:

  • Grundsätzlich ist es eine reizvolle Aufgabe, eine Kurzgeschichte versuchsweise mal weiterzuschreiben.
  • Man muss nämlich dann verstanden haben, inwiefern in der Geschichte ein Wendepunkt beschrieben wird,
  • von dem aus man so oder so weiter erzählen kann.
  • Wichtig ist auf jeden Fall, auf der Linie der Geschichte zu bleiben.
  • Wir zeigen das mal am Beispiel von Borcherts Kurzgeschichte „Das Brot“.

 

    • Das Brot
    • Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so!
    • In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still.
    • Es war zu still. Als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer.
    • Das war es, was es so besonders still gemacht hatte; sein Atem fehlte.
    • Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche.
    • In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei.
    • Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht.
    • Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche.
    • Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte.
    • Das Messer lag noch neben dem Teller, und auf der Decke lagen Brotkrümel.
    • Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend.
    • Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da.
    • Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch.
    • Und sie sah von dem Teller weg. „Ich dachte, hier wäre was“, sagte er und sah in der Küche umher.
      • Auswertung für das Weiterschreiben:
        Es ist eine Notsituation da – und der Mann hat Hunger und nimmt sich etwas heimlich vom gemeinsamen Brot.

        Die Frau erwischt ihn dabei, tut aber so, als würde sie es übersehen.
  • „Ich habe auch was gehört“, antwortete sie, und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah.
  • So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus.
  • Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus.
  • Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei Frauen liegt das nachts immer an den Haaren.
  • Die machen sie dann auf einmal so alt. „Du hättest Schuhe anziehen sollen.
  • So barfuß auf den kalten Fliesen. Du erkältest dich noch.“
  • Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log.
  • Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren –
  • „Ich dachte, hier wäre was“, sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere,
  • „ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was.“
  • „Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.“
  • Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke.
  • „Nein, es war wohl nichts“, echote er unsicher.
    • Auswertung für das Weiterschreiben:
    • Die beiden alten Leute sind sich sehr vertraut, nehmen sich auch wahr, versuchen, gut zu dem anderen zu sein.
    • Sie tun beide so, als wäre hier nichts geschehen, was ihre Gemeinsamkeit berührt.
  • Sie kam ihm zu Hilfe: „Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen.“
  • Er sah zum Fenster hin. „Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.“
  • Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie.
  • Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. „Komm man“, sagte sie und machte das Licht aus,
  • „das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand.
  • Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.“
  • Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer.
  • Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
  • „Wind ist ja“, meinte er. „Wind war schon die ganze Nacht.“
  • Als sie im Bett lagen, sagte sie: „Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.“
  • „Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.“
  • Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
  • Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log.
  • „Es ist kalt“, sagte sie und gähnte leise, „ich krieche unter die Decke. Gute Nacht.“
  • „Nacht“, antwortete er noch: „ja, kalt ist es schon ganz schön.“
  • Dann war es still.
    • Auswertung für das Weiterschreiben:
    • Das Verhalten des Verschweigens und der Bereitschaft zur rücksichtsvollen Mit-Vertuschung setzt sich weiter fort.
    • Sie merkt aber auch, wie unecht seine Stimme beim Lügen klingt.
  • Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute.
  • Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war.
  • Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.
  • Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin.
  • Sonst hatte er immer nur drei essen können.
  • „Du kannst ruhig vier essen“, sagte sie und ging von der Lampe weg.
  • „Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss doch man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut.“
  • Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte.
  • Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
  • „Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen“, sagte er und blickte auf seinen Teller.
  • „Doch, abends vertrage ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man.“
  • Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.
    • Auswertung für das Weiterschreiben:
    • Die Frau nimmt weiter Rücksicht und kann dabei sogar einschlafen, sie leidet also nicht dran.
    • Sie gibt ihm von ihrem Brot – und lügt dabei eigentlich auch, aber es ist eben eine gute Lüge,
    • mit der man den anderen nicht betrügt, sondern ihm helfen will.
    • Dem Mann ist das peinlich – und sie merkt das.
    • Sie kann sich erst nach einiger Zeit zu ihm unter die Lampe setzen, da es hell ist.
    • Das ist eigentlich der Moment, wo man gut weiterschreiben kann.

Vorschlag für eine Fortsetzung der Kurzgeschichte:

  • Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin.
  • Sonst hatte er immer nur drei essen können.
  • „Du kannst ruhig vier essen“, sagte sie und ging von der Lampe weg.
  • „Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss doch man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut.“
  • Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte.
  • Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
  • „Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen“, sagte er und blickte auf seinen Teller.
  • „Doch, abends vertrage ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man.“
  • Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.
  • Als der Mann mit dem Essen fertig war, blickte er auf und sagte zu ihr:
  • „Danke. Weißt du, was wir jetzt machen? Wir gehen rüber zum Schneider – ich habe gehört,
  • dass er sich ein paar schöne Tücher besorgen konnte.
  • Da ist bestimmt etwas dabei, was dir gut steht. Und ich könnte ihm helfen beim Wegräumen des Schutts.“
  • Kurz darauf waren sie unterwegs – Arm in Arm.

Anmerkung zur Lösung:

  • Der Kern ist, dass man das Schuldbewusstsein des Mannes aufnimmt
  • und ihm die Möglichkeit gibt, es aktiv abzuarbeiten,
  • ohne neue Peinlichkeiten zu erzeugen, die beide vermeiden wollen.
  • Die Idee mit dem Tuch passt zu dem Hinweis am Anfang der Geschichte:
  • „Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus.
  • Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei Frauen liegt das nachts immer an den Haaren.
  • Die machen sie dann auf einmal so alt.“
  • Der Mann möchte jetzt aus Dankbarkeit, dass seine Frau sich wohler fühlt –
  • und das geht in diesen Notzeiten zumindest über ein neues, vielleicht schön buntes Tuch.
  • Damit wäre der Mann am Ende sein Schuldbewusstsein los und könnte sich bei der Frau
  • für ihr Mitgefühl und ihr Verständnis bedanken, ohne dass sie lange über unangenehme Dinge reden müssten,
  • was die Frau ihm ja gerade ersparen möchte.

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