Lars Krüsand, „Das Göttliche heute“ – ein Gedicht, das Goethe mit Dürrenmatt verbindet (Mat7497-kgh)

Worum es hier geht:

Goethes Gedicht „Das Göttliche“ hat aus der Perspektive seiner Zeit beschrieben, worin die Rolle des Menschen bestehen sollte:
https://textaussage.de/goethe-das-goettliche

Dürrenmatt hat in „Die Physiker“ am Ende deutlich werden lassen, was passiert, wenn die Menschheit die „Gottesfurcht“ verliert, was wir eher im Sinne von Albert Schweitzer als „Ehrfurcht vor dem Leben“ begreifen.
https://textaussage.de/duerrenmatt-physiker-themenseite
und speziell die Stelle mit der „Gottesfurcht“
https://schnell-durchblicken.de/5-minuten-tipp-zu-rilke-ich-fuerchte-mich-so-vor-der-menschen-wort

Lars Krüsand hat in seinem Gedicht beides verbunden und gewissermaßen Goethes Ansatz um etwas Entscheidendes erweitert.

Lars Krüsand

Das Göttliche (heute)

  1. Edel sei der Mensch,
  2. hilfreich und gut.
  3. Denn das allein
  4. kann ihn
  5. als Krone der Schöpfung
  6. davon abhalten,
  7. sein Herrschertum
  8. ultimativ auszuüben
  9. und einen Knopf
  10. zu drücken,
  11. der unseren Planeten
  12. in einen Glutball verwandelt
  13. und alles Leben auslöscht.
  14. Machen wir es
  15. wie die Götter
  16. im Guten Menschen
  17. von Sezuan
  18. und hoffen auf den,
  19. der die Menschheit
  20. endgültig von dieser
  21. finstersten aller
  22. Perspektiven.

Reddit-Post, der das Gedicht mit seinen Inspirationsquellen verbindet

  1. Das Gedicht fängt harmlos an, denn es geht von wahrscheinlich Bekanntem aus, dem Gedicht von Goethe.
  2. Da ist man jetzt gespannt, wie viel von Goethe erhalten bleibt. Der wollte ja darauf hinweisen, dass es für uns keine sichtbaren Götter mehr gibt, aber etwas von ihrem (allerdings im Hinblick auf die alten Griechen) stark idealisierten Wesen in uns übrig geblieben ist, nämlich Fähigkeiten, die der Besserung der Welt und der Menschheit dienen, zumindest im uns zugänglichen Einzelfall.
  3. Dann aber eine andere Begründung, nämlich nicht die, dass das „Göttliche“ im Sinne Goethes die fehlende Fairness bei den häufig willkürlich erscheinenden Entscheidungen des Schicksals ausgleicht.
  4. Vielmehr geht es hier um eine unglückselige Kombination von menschlicher Hybris und rotem Knopf für das Auslösen des atomaren Ernstfalls.
  5. Dann wird auf das Theaterstück von Brecht verwiesen, wo etwas armselige Göttergestalten auf die Erde kommen, um sich das dortige Elend, dessen Klagen zu ihnen gedrungen sind, mal anzuschauen.
  6. Sie würden sich damit begnügen, wenn sie nur einen einzigen „guten Menschen“ finden, denn dann kann ihrer Meinung nach jeder auch so gut sein – und sie können das den Menschen überlassen.
  7. Brecht müsste nicht Brecht sein, wenn er das diesen Göttern durchgehen lassen würde. Dementsprechend zeigt er, wie das Gutsein von Shen Te, übrigens einer Prostituierten, die sich nur so durchbringen kann, bald dem Untergang geweiht ist. Es gibt einfach zu viele, die von den Göttern keine 1000 Silberdollar als Startkapital bekommen haben. Also versuchen sie, ihr Schicksal zu verbessern, indem sie sich an ihrer Gönnerin bereichern und diese damit verarmen lassen.
  8. Dann kommt auch noch das Problem der Liebe dazu, die zwar schön ist, aber beim Partner auch zu viel Egoismus finden kann.
  9. Shen Te sorgt dann dafür, dass dieses Gegenüber einem kapitalistischen Erziehungsprogramm ausgesetzt wird, was auch funktioniert.
  10. Am Ende keine Lösung, das Publikum soll sich selbst den rettenden Schluss suchen, vorher war aber auch von so etwas wie Revolution die Rede. Da ist Brecht natürlich überzeugter Marxist, wenn er dessen Rettungsideen uns auch nicht aufdrängt. Allerdings hat er nicht Büchners „Dantons Tod“ einbezogen, wo die Revolution nur Terror bringt und ihre eigenen „Kinder frisst“.

Bis hierhin also kein Happy End – weder bei Brecht noch im Gedicht.

Darum kümmern wir uns selbst um den zweiten Schritt echter Kunst. Wir denken das Gedicht weiter und kommen auf Dürrenmatt und sein Stück „Die Physiker“.

Dort geht auch alles schief, aber es wird ein Tipp gegeben, woran es liegen könnte.

Die zentrale Figur des Stücks, der geniale Wissenschaftler und ungewollt Verursacher einer Art „Atomknopf“, bekennt:

„MÖBIUS
Ich bin Salomo. Ich bin der arme König Salomo. Einst war ich unermeßlich reich, weise und gottesfürchtig. Ob meiner Macht erzitterten die Gewaltigen. Ich war ein Fürst des Friedens und der Gerechtigkeit. Aber meine Weisheit zerstörte meine Gottesfurcht, und als ich Gott nicht mehr fürchtete, zerstörte meine Weisheit meinen Reichtum. Nun sind die Städte tot, über die ich regierte, mein Reich leer, das mir anvertraut worden war, eine blauschimmernde Wüste, und irgendwo um einen kleinen, gelben, namenlosen Stern kreist, sinnlos, immerzu, die radioaktive Erde. Ich bin Salomo, ich bin Salomo, ich bin der arme König Salomo.
Er geht auf sein Zimmer.“

Aus Dürrenmatt, „Die Physiker“, S. 86 der E-Book-Ausgabe:
Die Physiker: Eine Komödie in zwei Akten von Friedrich Dürrenmatt
https://amzn.eu/3kYSWY

Keine Sorge, wir wollen hier nicht Werbung machen für eine Religion. Das wäre auch kaum im Sinne Dürrenmatts, der wohl ähnlich wie Goethe das Göttliche im Menschen für möglich hielt, ohne sich um die Hintergründe zu kümmern.

Wir verweisen hier gerne auf Albert Schweitzers Konzept der „Ehrfurcht vor dem Leben“
https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/albert-schweitzers-ehrfurcht-vor-dem-leben
und überlassen es jedem selbst, daraus eine Grundhaltung zu entwickeln, die für mehr Menschlichkeit sorgt und auch eine angemessene Achtung vor der Natur und der grundsätzlichen Notwendigkeit ihrer Erhaltung.

Ansonsten bleibt die Hoffnung, dass die Leute am Atomknopf zumindest ein bisschen Verantwortung gegenüber dem blauen Planeten und seinen Lebewesen fühlen und nach anderen Lösungen für den Umgang miteinander suchen.

Und solange das noch gelingt, kann jeder sich – nach dieser Reise  von Krüsand, über Goethe Brecht und Dürrenmatt wieder zu Goethe zurück an dessen Gedicht-Impulse erinnern, auf die wir hier ausführlich eingegangen sind:
https://textaussage.de/goethe-das-goettliche

Denn es ist ein schönes Gefühl, zumindest „im Kleinen“  etwas zu „Großen“ beigetragen zu haben.

Weitere Infos, Tipps und Materialien