Die Frage der Religion in Lessings „Nathan der Weise“ (Mat2401)

Lessing und  die (christliche) Religion

Zu diesem Thema haben wir inzwischen ein Video erstellt.

Das kann man hier anschauen.

Kurz und bündig: Die Frage der Religion in Lessings „Nathan der Weise“

https://youtu.be/v622PdF-lNg

Dazu gibt es auch eine Dokumentation, die man hier herunterladen kann.

Mat2401-Lessing-Nathan-Frage-der-Religion

Stufe 1: Kurzfassung in 5-10 Sätzen

  1. Nathans Drama ist wesentlich durch die Frage nach der wahren Religion bestimmt, wie sich vor allem in der berühmten Ring-Parabel zeigt.
  2. Dort wird eine moralische Lösung präsentiert: Es zählt nicht die Wahrheit, sondern die gute Wirkung einer Religion.
  3. Damit sind die Probleme zwischen den Religionen aber nur scheinbar gelöst, ganz vernünftig und pragmatisch im Sinne der Aufklärung.
  4. Wie groß die Konflikte sogar im Christentum selbst waren, zeigt der Hintergrund des Dramas, der so genannte Fragmenten-Streit.
  5. Dort ging es nicht um Vernunft, sondern um Offenbarung, D.h. letztlich übernatürliche Dinge, die über den menschlichen Verstand hinausgehen. Lessing bekam hier so viel Ärger, dass er schließlich auf die Theaterbühne auswich, um dort seine Ansichten Von Toleranz und Menschlichkeit verkünden zu können.
  • Normalerweise denkt man bei Lessings Drama „Nathan der Weise“ immer zuerst an die so genannte Ring-Parabel und ihren Versuch, den Streit zwischen den drei großen Religionen des (in historischer Reihenfolge) Judentums, des Christentums und des Islam zu schlichten.
  • Interessant ist dabei, dass dieses Drama von dem klugen jüdischen Handelsherrn Nathan eigentlich nur ein Ausweichmanöver Lessings war.
  • Er hatte nämlich als Aufklärer die Gedanken eines Professors (Reimarus) zum Christentum nach dessen Tod veröffentlicht – in Auszügen, deshalb Reimarus- Fragmente. Uund in diesen Fragmenten wurde die christliche Religion so stark angegriffen, dass Lessing von seinem Herzog im Juli 1778 ein Publikationsverbot bekam. Dies führte dann dazu, dass Lessing nach einer Alternative suchte und sie auch fand, wie er dann einer Freundin schrieb:
    „Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört will predigen lassen.“
  • Dabei hatte Lessing selbst überhaupt keine extreme Position, sondern versuchte zwischen den verschiedenen Vorstellungen erstmals im Christentum selbst zu vermitteln.
  • Da gab es zum Beispiel im evangelischen Christentum (Protestantismus) die so genannten orthodoxen Lutheraner. Die hielten ganz extrem fest an dem festen Bibelglauben Martin Luthers mit der Annahme, dass Gott sich in einer einmaligen Offenbarung habe und das nun die alleinige Richtschnur sein müsse.
  • Daneben gab es, bedingt durch die Aufklärung, verschiedene andere Strömungen. Die eine wurde kritisch von den Orthodoxen als Neologismus bezeichnet. Darunter versteht man die Anpassung der christlichen Lehre an die Prinzipien der Aufklärung. Alles was nicht dazu passt, wurde verworfen.
  • Daneben gab es denn so genannten Deismus: Dessen Vertreter gingen durchaus noch von einem Gott als Schöpfer des Universums aus, glaubten aber nicht daran, dass dieser Gott weiter in das Geschehen in der Welt eingreift.
    Das bedeutet zum Beispiel, dass für sie Wunder keine Rolle spielen konnten, denn die sind ja eine Durchbrechung der Gesetze der Welt. Und natürlich kann es auch keine Offenbarung geben, denn die wäre ja auch ein überweltliches Eingreifen Gottes.
  • Noch weiter gingen die Pantheisten, denn die setzten die Natur mit Gott gleich.
  • Lessing selbst vertrat in seiner Schrift „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ eine mittlere Position:
  • Er stellte die Offenbarung in der Bibel nicht infrage,
  • sah sie aber nur als eine Art Durchgangsstadium, solange die Menschen nicht das aus seiner Sicht Entscheidende des Christentums auch mithilfe des Verstandes begriffen hatten.
  • Und was für Lessing entscheidend ist bei allen Religionen, wird ja in „Nathan der Weise“ und besonders in der Ringparabel überdeutlich.
  • Diese Position wird auch im Drama selbst sichtbar:
  • da ist die jüdische Handelsherr, der sich bemüht sozial zu handeln, indem er ein christliches Mädchen aufnimmt und erzieht.
  • interessant ist dabei, dass dieser Nathan Recha ihre wahre Herkunft – vor allem auch in religiöser Sicht – verschweigt und sie dafür im jüdischen Glauben erzieht.
  • Noch problematischer erscheint, dass er sie von allen anderen Gedanken fern hält. Im Gespräch mit der Schwester des Sultans macht Recha deutlich, dass sie alles Wissen und all ihre Kenntnisse eigentlich im Gespräch mit ihrem Vater erworben hat und von Büchern eher fern gehalten worden ist.
  • Lessings aufgeklärte Grundhaltung scheint auch gleich am Anfang bei Nathan durch, als er versucht, Recha von ihrem naiven Wunderglauben abzubringen. Die glaubt ja, von einem Engel gerettet worden zu sein, und Nathan muss ihr erstmal den Tempelherrn schmackhaft machen.
  • Die wichtigsten Aussagen zur Religion finden sich dann im Gespräch mit dem Sultan:
  • Nathan macht ganz klar und deutlich, dass die unterschiedlichen Religionen bei den Menschen vor allem etwas zu tun haben mit ihrer Herkunft und dem, was man ihnen beigebracht hat.
  • Die Zufälligkeiten der Geschichte spielen also für die Wahl der Religion durch den einzelnen Menschen eine entscheidende Rolle.
  • Das ist schon mal eine erhebliche Einschränkung der Wahrheitsfrage, wenn jeder verständlicherweise zunächst einmal bei der eigenen Religion bleibt und so etwas wie Missionierung entweder gar nicht stattfindet (im Judentum) oder in der Geschichte des Christentums vor allem mit Gewalt verbunden ist, wie besonders die Christianisierung Lateinamerikas zeigt.
  • In der Ringparabel selbst setzt Lessing über die Figur des Nathan dann einen ganz klaren Hinweis, woran man die Wahrheit einer Religion erkennen kann, nämlich in guten Taten. Da ist dann ja auch ein deutlicher Appell des Richters, sich entsprechend zu verhalten.
  • Dazu passt das Gespräch zwischen Nathan und dem Klosterbruder, in dem es um Nathans gute Tat der Aufnahme Rechas geht. Hier versichern sich beide der Gleichartigkeit der Religionen unter dem Gesetz der Menschlichkeit (3065ff)
  • „KLOSTERBRUDER.
  • Nathan! Nathan!
  • Ihr seid ein Christ! – Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
  • Ein bessrer Christ war nie!
  • NATHAN.
  • Wohl uns! Denn was
  • Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir
  • Zum Juden! –“
  • Was seine eigene Schuld angeht, so ist die für Nathan mit der Übergabe des Gebetbuches durch den Klosterbruder, das alle Abstammungsfragen klärt, anscheinend erledigt: (3328)
  • „Gott! wie leicht /
  • Mir wird, dass ich nun weiter auf der Welt
  • Nichts zu verbergen habe! dass ich vor
  • Den Menschen nun so frei kann wandeln, als
  • Vor dir, der du allein den Menschen nicht
  • Nach seinen Taten brauchst zu richten, die
  • So selten seine Taten sind, o Gott! –“
  • Das ist natürlich auch eine sehr aufgeklärte Sicht der Religion, die die Schuld des Menschen abhängig macht von den konkreten Gegebenheiten und damit auch „Not-Wendigkeiten“ – und nicht von ein für allemal feststehenden Geboten.
  • Was nicht kritisch befragt wird,
  • ist eben das, was alle Religionen wirklich unter Wahrheit verstehen.
  • Und diese Wahrheit richtet sich in der Regel nicht nach dem, was Menschen mehr oder weniger überzeugend unter Menschlichkeit verstehen.
  • Das kann im Einzelnen ja auch sehr unterschiedlich aussehen.
  • Sondern das Wesen einer Religion wird eben bestimmt durch eine zum Teil schriftliche Grundlage wie in den drei großen Weltreligionen
  • und dann in der Geschichte der Auslegung und Praxis.
  • Fragen der Ethik spielen dabei in der Regel eine nachrangige Rolle, auch wenn sie nicht unwichtig sind.
  • Bezeichnend ist, was der Tempelherr in IV,1 gegenüber dem Klosterbruder erklärt: „ich seh nun wohl, / Religion ist auch Partei.“ (2432)
  • Der Lackmustest ist dann immer die Frage der Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen und Kritik von außen.
    Und hier gibt es schon im Drama selbst einige Stellen, die nachdenklich machen:
  • Am stärksten zeigt sich, dass Religionsfragen nicht einfach mit moralischen Appellen gelöst werden können in der Figur des Patriarchen. Dort wird die Kombination von Macht und Religion sehr deutlich.
  • Aber auch Sittah hat einiges am Christentum zu kritisieren, was weit über Moral hinausgeht:
    Zunächst macht der Sultan deutlich (853)
    „Ich hätte gern den Stillestand aufs neue
    Verlängert; hätte meiner Sittah gern,
    Gern einen guten Mann zugleich verschafft.“
  • Dann wird Sittah deutlich (865ff)
    „Hab‘ ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
    Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
    Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn
    Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,
    Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt,
    Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
    Weils Christus lehrt; weils Christus hat getan. –
    Wohl ihnen, daß er ein so guter Mensch
    Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend
    Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch
    Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name
    Soll überall verbreitet werden; soll
    Die Namen aller guten Menschen schänden,
    Verschlingen. Um den Namen, um den Namen
    Ist ihnen nur zu tun.“
  • Aber auch Recha äußert sich recht kritisch gegenüber den Bemühungen Dajas, sie ins christliche Abendland zu entführen (1550ff)
    Daja erklärt:
    „Sperre dich, so viel du willst!
    ‚Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.
    Und wenn es nun dein Retter selber wäre,
    Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in
    Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,
    Für welche du geboren wurdest?“
  • Recha daraufhin:
    „Daja!
    Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja!
    Du hast doch wahrlich deine sonderbaren
    Begriffe! »Sein, sein Gott! für den er kämpft!«
    Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott,
    Der einem Menschen eignet? der für sich
    Muss kämpfen lassen? –“
  • Dann muss man natürlich auch den Mord an der Frau und den Söhnen Nathans im Rahmen eines Pogroms heranziehen. Nathan kann persönlich gerne den Tätern verzeihen und in der Erziehung Rechas einen Ausweg aus seinem Leid suchen. Das ändert nichts daran, dass es offensichtlich Pogrome gibt, die hier im Werk angesprochen werden und in der Wirklichkeit auch existieren.
  • All das macht deutlich, dass die Ringparabel eine schöne Idee ist und einen hehren Anspruch verkündet, der mit der Wirklichkeit aber wenig zu tun hat.
  • Damit taucht die spannende Frage auf, wie man denn auf andere oder bessere Weise religiöse Konflikte möglichst verhindern kann.

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