Nietzsches „Zarathustra“ – Entstehung und Wesenskern – Auswertung des Kapitels 12 aus Rüdiger Safranskis Nietzsche-Biografie (Mat7491)

Rüdiger Safranskis Sicht auf Nietzsches „Zarathustra“

Im Folgenden zeigen wir, wie wertvoll das 12. Kapitel aus Rüdiger Safranskis Nietzsche-Biografie sein kann – wenn man ein Referat über den „Zarathustra“ des Philosophen halten möchte.

Einzelne Elemente lassen wir Mia aus der Sicht einer Schülerin kommentieren.

Infos zum Buch, wie sie der Datensatz der Deutschen Nationalbibliothek präsentiert:

ISBN: 978-3-446-26836-4

https://d-nb.info/1214604374

Rüdiger Safranski, Nietzsche : Biographie seines Denkens, Carl Hanser Verlag, München 2020

Wichtige Elemente aus Kapitel 12 für ein Referat über Nietzsche
  1. Nietzsche und das Androgyne: Der Heilige Sanctus Januarius

    • Nietzsche widmet das vierte Buch der Fröhlichen Wissenschaft dem Märtyrer Sanctus Januarius, der in Neapel als San Gennaro verehrt wird.
      • Mia: Interessant, wie sich auch im Leben und Werk eines Philosophen Biografisches und Werksubstanz verbinden.
    • Der Heilige wird als androgyn dargestellt – ein Mann mit weiblichen Zügen, dessen Blut mit Menstruationssymbolik aufgeladen ist.
    • Einige Interpreten sehen darin ein indirektes Eingeständnis von Nietzsches homoerotischen Neigungen.
    • Safranski zeigt, dass solche Deutungen Nietzsche zu stark auf seine Sexualität reduzieren, während er selbst das Triebgeschehen als vielfältig und polytheistisch verstand.

  2. Nietzsches Jugend und die Legende der sexuellen „Urszene“ mit Ernst Ortlepp

    • Der verwahrloste Dichter Ernst Ortlepp, der in Nietzsches Schulzeit verehrt wurde, war berüchtigt für seine Blasphemie und wurde päderastischer Neigungen verdächtigt.
    • Es gibt Spekulationen, dass Nietzsche durch ihn eine frühe „dionysische“ Erfahrung gemacht habe – möglicherweise sogar eine traumatische.
      • Mia: Auch hier wieder eine Information, die man nicht kennen muss, um das „Dionysische“ bei Nietzsche zu verstehen – aber auch hier wird die enge Verflechtung von Leben und Werk deutlich.
    • Nietzsche selbst sprach in Ecce Homo von einer „schauerlichen Tiefe“, aus der seine Erkenntnisse kamen, was zu diesen Vermutungen beitrug.
    • Safranski betont jedoch, dass solche biographischen Reduktionen gefährlich sind, da sie Nietzsches gesamte Philosophie auf eine einzelne psychologische Deutung verkürzen.
      • Mia: Ein ganz wichtiger Hinweis, der die Gedankenwelt zu einer allgemeinen Quelle der Erkenntnis macht und nicht auf Biografisches beschränkt.

  3. Die Geschichte mit Lou Andreas-Salomé und ihr Einfluss auf Nietzsche

    • Lou Andreas-Salomé beeindruckte Nietzsche durch ihre Intelligenz und ihr philosophisches Denken.
    • Nietzsche machte ihr überstürzt Heiratsanträge (erst durch seinen Freund Paul Rée vermittelt, dann direkt), die Lou ablehnte.
    • Stattdessen schlug Lou einen intellektuellen Dreierbund mit Nietzsche und Rée vor, der jedoch scheiterte.
      • Mia: Hier ist die Unterscheidung von partnerschaftlicher und geistiger Beziehung interessant. Nietzsche hat das nicht genug getrennt.
    • Die Abweisung und der anschließende Konflikt mit Lou (verstärkt durch seine Schwester Elisabeth) kränkten Nietzsche tief.
    • Diese Erfahrung stürzte ihn in eine persönliche Krise und trug zur Entstehung von Also sprach Zarathustra bei – das Werk diente ihm als „Bollwerk gegen das Unerträglichste“.
      • Mia: Hier wird es besonders spannend – weil es jetzt um ein Kernelement des Werkes von Nietzsche ist.
      • Dessen Grundlagen und damit auch die Bedeutung kann dadurch natürlich relativiert werden, d.h. ihre Allgemeingültigkeit verlieren.
      • Ein spannendes Thema besonders für den Philosophie-Unterricht. Denn das, was als Grundposition eines großen Geistes präsentiert wird, hat ja häufig die Schwachstelle, dass sie nur aus einem begrifflichen Gerüst gebildet wird. Das ist in sich stimmig – doch die Begriffe sind bei weitem nicht so eindeutig, wie auch die genaueste Definition vorgibt.
        Der Philosoph Husserl war es, der darauf hingewiesen hat, wie sehr ein Begriff seine volle Bedeutung erst bekommt durch die Konnotationen der individuellen Lebenswelt.
        https://schnell-durchblicken.de/der-philosoph-husserl-und-seine-lebenswelt-theorie-die-jede-begriffs-definition-subjektiv-erweitert
      • Das bedeutet eine enorme Einschränkung der Bedeutung einer Gedankenpyramide, die letztlich im wesentlichen Begriffe als Bausteine hat.

  4. Der Übermensch: Selbstgestaltung oder biologistisches Ideal?

    • Der Übermensch ist ursprünglich als Idee der Selbstüberwindung gedacht – ein Individuum, das seine Tugenden bewusst formt.
      Mia: Letztlich knüpft das an das Denken von 
      Goethe, „Das Göttliche“
      und
      Schiller, Idee der schönen Seele
      an – wogegen nichts einzuwenden ist.
    • Im Zarathustra wird er jedoch auch mit biologistischen Elementen verknüpft: Der Mensch sei ein Übergang zwischen Affe und Übermensch.
      Mia: Hier wird es gefährlich, denn dann ist man nicht mehr weit von der mörderischen Rassenideologie der Nazis entfernt.
    • Nietzsche kritisierte Darwin zwar, übernahm aber doch zentrale Gedanken aus der Evolutionstheorie, etwa die Idee einer Höherentwicklung.
      Mia: Das ist eine wichtige Einschränkung der Nähe zu den Nazis.
    • Er distanzierte sich später vom Heroenkult Carlyles und von einer romantischen Verklärung des Genies.
      Mia: Das müsste genauer untersucht werden, macht aber deutlich, wie wenig bei Nietzsche von einem geschlossenen Lebenswerk ausgegangen werden kann.
    • Safranski zeigt, dass der Übermensch in Nietzsches Spätwerk immer mehr zum „amoralischen Spieler“ wird, der mit Werten experimentiert.
      Mia: Das wiederum zeigt, dass bei Nietzsche ja gerade das ausgeklammert wird, was für menschliches Zusammenleben wichtig ist – nämlich klare moralische Wertvorstellungen.

  5. Nietzsche und die gefährlichen Konsequenzen seiner Philosophie

    • Nietzsche entwickelt im Zarathustra und späteren Schriften eine zunehmend radikale Vorstellung von menschlicher „Höherzüchtung“.
      Mia: siehe oben
    • Er spricht von einer „Vernichtung des Entarteten und Parasitischen“ und träumt von einer Elite, die über die Masse herrscht.
      Mia: Hier merkt man deutlich, wie gefährlich philosophische Äußerungen sind, bei denen entweder zu wenig sprachliche Verantwortung im Spiel ist – oder sogar eine ausreichende moralische Basis fehlt.
    • Diese Passagen wurden später von totalitären Ideologien missbraucht – obwohl Nietzsche selbst nicht in diesen Kategorien dachte.
      Mia: Aber es gibt eben Grauzonen – und die Denker waren oft die Inspirationsquelle für Täter.
    • Safranski stellt heraus, dass Nietzsche in seinen Notizen sogar von der „Vernichtung von Millionen Missrathener“ spricht.
      Mia: Spätestens hier wird die monströse Seite des Denkens dieses Philosophen deutlich. Es schaudert einen geradezu, wenn man an die Millionen realen Opfer der Hitler-Diktatur denkt.

      Er zeigt aber auch, dass Nietzsche mit diesen Gedanken haderte und sie selbst oft in Frage stellte.
      Mia: Das befreit ihn aber nicht von einer Gesamtverantwortung. Er hätte sich ja später erklären können.

  6. Nietzsche zwischen Distanz und Kränkung: Die persönliche Dimension der Übermenschen-Idee

    • Nietzsche fühlte sich von seiner Umgebung nicht anerkannt und von gewöhnlichen Menschen missverstanden.
    • In seinen Briefen zeigt sich eine wachsende Distanz zu seinen Mitmenschen, aber auch ein tiefes Bedürfnis nach Anerkennung.
    • Der Zarathustra spiegelt diese Ambivalenz wider: Der Prophet will lehren, wird aber missverstanden und verlacht.
    • Nietzsche entwickelt dabei eine Mischung aus Selbstüberhöhung und Rachsucht gegen die „Viel zu Vielen“, die seine Ideen nicht begreifen.
    • Safranski macht deutlich, dass der Übermensch nicht nur eine philosophische Vision, sondern auch eine Projektion von Nietzsches persönlichen Verletzungen war.
      • Mia: Hier wird noch mal ganz deutlich, wie problematisch eine Absolut-Setzung philosophischer Theoriegebäude ist.
      • Sie sind nämlich auch ein Element der Lebenswelt im Sinne Husserl – können also trotz scheinbar klar definierter Begriffe nicht so einfach verallgemeinert werden.

  7. Der Übermensch als Antwort auf den Tod Gottes

    • Nietzsche formuliert den Gedanken des Übermenschen als Alternative zur Religion: Da Gott tot ist, muss der Mensch selbst zur schöpferischen Macht werden.
      Mia: Hier dürfte man sich als Mensch wohl übernehmen.
    • Er greift dieses Motiv bereits in der Fröhlichen Wissenschaft auf, wo der „tolle Mensch“ ausruft: „Wir haben ihn getötet!“.
    • Ohne Gott droht der Mensch zu verflachen und in die Banalität des „letzten Menschen“ zu fallen.
    • Der Übermensch soll verhindern, dass der Mensch nach dem Tod Gottes in Nihilismus oder Mittelmäßigkeit versinkt.
    • Safranski zeigt, dass dieser Gedanke Nietzsche auch persönlich motivierte: Er wollte eine Lebensform jenseits von Religion und Resignation entwerfen.
      Mia: Daraus scheint nicht viel geworden zu sein, wenn man an die Barbarei der Zeit nach Nietzsches Tod im Jahr 1900 denkt.

  8. Die innere Zerrissenheit Nietzsches und sein Scheitern an seinen eigenen Idealen

    • Nietzsche fordert im Zarathustra, dass seine Schüler ihn verlassen sollen, sobald sie ihn verstanden haben – doch er selbst kann Lou Andreas-Salomé nicht loslassen.
    • Er propagiert einen souveränen Übermenschen, ist aber selbst tief verwundet durch Ablehnung und Missachtung.
    • Safranski hebt hervor, dass Nietzsche oft von seinen eigenen Ideen überwältigt wurde und mit deren Konsequenzen rang.
    • In seinen letzten Jahren wird er immer radikaler – spricht von grausamen „Ja-Sagern zum Leben“ und der Notwendigkeit einer neuen Elite.
    • Doch gleichzeitig wünscht er sich, dass „ihm jemand seine Wahrheiten unglaubwürdig macht“ – ein Zeichen seiner inneren Unsicherheit.

      • Mia: Hier wird deutlich, wie sehr Nietzsche persönlich scheiterte.
        Was bleibt dann von seiner Theorie.
        Sollte man sich nicht lieber wieder an Goethe und Schiller halten?

Fazit: Warum ist dieses Kapitel besonders nützlich für ein Referat?
  • Es verbindet biographische und philosophische Aspekte von Nietzsche auf spannende Weise.
  • Es zeigt, wie persönliche Erlebnisse (Lou Salomé, Kränkungen, Einsamkeit) Nietzsches Denken beeinflusst haben.
  • Es macht verständlich, warum die Übermenschen-Idee so ambivalent ist – zwischen Selbstgestaltung und gefährlichem Elitismus.
  • Es beleuchtet, wie Nietzsche mit den Konsequenzen seiner eigenen Philosophie rang.
  • Es hilft, Missverständnisse zu Nietzsche (z. B. als Darwinist oder Proto-Faschist) zu vermeiden und ihn differenziert zu betrachten.
  • Mia: Vor allem wird indirekt mit Blick auf Husserl deutlich, wie wenig übertragbare Substanz eine bestimmte persönliche Philosophie haben kann.

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