Worum es hier geht:
Vorgestellt wird das Kapitel, in dem der Tuchfabrikant und seine Familie vorgestellt wird – mit einem schlimmen Ende für die, die zu lange in Deutschland geblieben sind oder bleiben mussten.
Das Besondere an diesem Kapitel ist das ständige Hin und Her zwischen Orten und Zeiten, das man sich mühsam über entsprechende Signale erschließen muss.
Wir wählen deshalb einen anderen Weg der Vorstellung – nämlich eine Kombination von möglichen Fragen der Lehrkraft – und möglichst guten Antworten.
Frage 1: Worum geht es in dem Kapitel?
- Es geht um eine jüdische Familie.
- Die Eltern, wohl ehemalige Tuchhändler, leben am Märkischen See in dem Haus, um das es in dem Roman vor allem geht.
- Der Sohn Ludwig ist nach Südafrika ausgewandert.
- Es geht dann um Erlebnisse bei Besuchen der Eltern dort und den immer wieder eingebauten Erinnerungen an die alte Heimat.
- Im Schlussteil ändert sich dann die Erzählweise: Dort wird auf erschreckende Weise nüchtern berichtet, wie die in Deutschland verbliebenen Familienmitglieder dem Massenmord an Juden in Deutschland zum Opfer fallen.
Frage 2a: Welche Textstellen zeigen besonders gut, worum es in diesem Kapitel geht (Teil 1: Anfangsbereich)
- Die mehrfach wiederholte Auflistung der Familienmitglieder:
(EB40/46/49)- Hermine und Arthur, seine Eltern.
- Er selbst, Ludwig, der Erstgeborene.
- Seine Schwester Elisabeth, verheiratet mit Ernst.
- Die Tochter der beiden, seine Nichte, die Doris.
- Dann seine Frau Anna.
- Und nun die Kinder: Elliot und die kleine Elisabeth, genannt nach seiner Schwester.
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- Diese Wiederholung passt auch zu den mehrfachen Hinweisen auf die Besuchssituation
- „Zwei Wochen später fahren sie wieder heim.“ (EB40)
- Dann auch noch auf EB41, EB42, Eb43: nur noch „anderthalb Wochen“, noch mal auf EB50,
- Am Anfang ist der Leser verwundert, dass er mehrfach über etwas informiert wird, was er doch schon weiß.
- Dann begreift er, dass es hier nicht um ihn geht, sondern – typisch für menschliches Denken – einfach etwas eingeblendet wird, woran man gerade denkt.
- So geht es jedem, der zum Beispiel eine Klausur vor sich hat. An die denkt er auch immer wieder. Ihn interessiert nicht, dass er das schon mal gedacht hat.
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- Gleich am Anfang das Nebeneinander von Rosen, die es auch in Deutschland gibt, und dem „dem tieferen Rot eines Bougainvillea-Strauchs, der an der Hauswand wächst und das Wohnzimmerfenster mit seinen Blüten überwölbt.“ (EB40).
— - Dann ein kurzer Hinweis auf eine Fahrt mit einem Auto („Adler, „deutsche Wertarbeit“),
- dann der Rückblick auf ein „weißes Kostüm“, das Ludwigs Frau Anna „zum Zwecke der Auswanderung angeschafft“ und jetzt extra für den Besuch angezogen hat – mit genauen Erinnerungen an das Geschäft und den Preis. (E40/41).
- Dann der Wechsel zum „Heim“ mit „Nachbargrund“ am Märkischen See, wo der „Bauherr, ein Architekt aus Berlin“ zeitgemäß und entsprechenden Nazi-Regeln mit „Heil“ grüßt.
— - Dann ohne Überleitung: Ludwig in Deutschland
- „Komm, ich heb dich rauf, sagt Ludwig, der Onkel, zu Doris, seiner Nichte. Die Kiefer hat, etwa in Höhe seiner Schultern, einen hölzernen Buckel, dorthinauf hebt er das Kind. Und, was siehst du, fragt er. Einen Kirchturm, sagt Doris, und zeigt auf den See.“
- Offensichtlich wird hier etwas aus der Zeit eingeblendet, als Ludwig noch in Deutschland war oder die Eltern dort besucht hat. Dafür sprechen „Kiefer“ und „Kirchturm„. Man sieht hier sehr schön, wie man auf die spärlichen Signale achten muss, die der Roman enthält.
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- „Komm, ich heb dich rauf, sagt Ludwig, der Onkel, zu Doris, seiner Nichte. Die Kiefer hat, etwa in Höhe seiner Schultern, einen hölzernen Buckel, dorthinauf hebt er das Kind. Und, was siehst du, fragt er. Einen Kirchturm, sagt Doris, und zeigt auf den See.“
- Dann wieder zurück zur Autofahrt im südafrikanischen Paradies
„Ach, sagt der Senior, was für ein Anblick. Paradiesisch, sagt Hermine, die Mutter. Arthur und Hermine, Ludwigs Eltern, sind zu Besuch.“
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- Deutsch-englische Sprachübergänge
- Zunächst der Beweis, dass das jüngste Kind schon englisch denkt und spricht:
„I don’t want anymore, sagt die kleine Elisabeth, und rennt ins Haus. “ (EB41) - Dann ein Sprachgemisch aus deutsch und englisch:
- Zunächst wieder Elisabeth auf Englisch:
„Why does Lametta hang on the tree, fragt ihn die kleine Elisabeth. - Dann Ludwig noch mit einer Vermischung beider Sprachen mit entsprechender Nachfrage bei deutschen Wörtern durch das Kind.
It is supposed to look as if der Baum in einem verschneiten Winterwald stünde, sagt er, Ludwig, ihr Vater. What is a verschneiter Winterwald, fragt die Kleine, Elisabeth. A deep forest, sagt er, in which the ground and all bran-ches mit dickem Schnee bedeckt sind, und von den Ästen hängen Eiszapfen herunter.“
- Zunächst wieder Elisabeth auf Englisch:
- Zunächst der Beweis, dass das jüngste Kind schon englisch denkt und spricht:
- Dazu passt die kuriose Verbindung von europäischen Traditionen und südafrikanischer Klima-Realität:
„Das Haus ist jetzt, mitten im Sommer, so aufgeheizt, daß die Kerzen am Weihnachtsbaum sich schon wieder verbiegen.“ (EB41)
— - Verbindung von Am-Wasser-Situationen
Kurze Zeit später wird eine Situation am Strand des Indischen Meeres mit einem Erlebnis mit der Rennjolle zu Hause am See:
„Die Hosen hochgekrempelt im Indischen Ozean.“ (EB42).
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Frage 2b: Welche Textstellen im weiteren Verlauf des Kapitels zeigen besonders gut, worum es hier geht (Teil 2: Anfangsbereich)
- Vergleich von Bäumen in Deutschland mit Euktalyptusbäumen
„Die Eukalyptusbäume rauschen lauter als alle anderen Bäume, die Ludwig jemals rauschen gehört hat, rauschen lauter als Buchen, Linden oder Bir-ken, rauschen lauter als Kiefern, Eichen und Erlen. Ludwig liebt dieses Rauschen und macht deshalb, wann immer sich die Gelegenheit bietet, mit Anna und den Kindern Rast im Schatten dieser gewaltigen, grindigen Bäume, einfach nur um zu hören, wie sich in ihren Milliarden von silbrigen Blättern der Wind fängt.“ (EB43)
— - Das Einpflanzen einer wohl deutschen Weide im südafrikanischen Garten
- „Wenn die Weide schon groß ist und mit ihren Haaren die Fische kitzelt, wirst du immer noch hier zu Besuch sein, bei deinen Cousins oder Cousi-nen, und dich daran erinnern, daß du geholfen hast, sie zu pflanzen, sagt die Großmutter Hermine zur kleinen Doris. “ (EB45)
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- „Wenn die Weide schon groß ist und mit ihren Haaren die Fische kitzelt, wirst du immer noch hier zu Besuch sein, bei deinen Cousins oder Cousi-nen, und dich daran erinnern, daß du geholfen hast, sie zu pflanzen, sagt die Großmutter Hermine zur kleinen Doris. “ (EB45)
- Berufliche und kulturelle Unterschiede – mit verstecktem Hinweis auf die Apartheid in Südafrika (guter Anlass für ein Referat):
- „Daheim hat er gern Klavier gespielt. Daheim war er Tuchmacher, wie sein Vater. Hier hat er eine Autowerkstatt eröffnet und sich spezialisiert auf Kupplungen und Bremsen.
- Hier muß sich sein Gärtner von einem Beamten einen Bleistift ins krause Haar stecken lassen. Der Bleistift hält.
- Daraufhin bekommt der Gärtner ein C in seinen Paß gestempelt, und ihm wird der Eintritt in öffentliche Parks verboten.
- Seit er, Ludwig, hier ist, hat er noch kein Klavier wieder angerührt.
- Die kleine Elisabeth spielt hier sein Spielen, sie nimmt Unterricht und lernt schnell, als habe sie, noch bevor sie geboren war, immerhin das von daheim mitnehmen können, was kein Gewicht hat: die Musik.„ (EB46)
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- Skatkarten mit halbem König – Ludwig wirft das Bild eines Automonteurs nach Deutschland zurück, wo er mal wie sein Vater Tuchmacher gewesen ist:
- „Auf den Skatkarten von Ludwigs Eltern, Arthur und Hermine, gab es immer einen halben König auf der einen Seite der Linie, und einen zweiten halben auf der anderen. So ähnlich, könnte man meinen, spiegelt sich er, Ludwig, der wie sein Vater Tuchmacher war, nun am Äquator und wirft von hier aus das Bild eines Automonteurs zurück. “ (EB48)
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- „Auf den Skatkarten von Ludwigs Eltern, Arthur und Hermine, gab es immer einen halben König auf der einen Seite der Linie, und einen zweiten halben auf der anderen. So ähnlich, könnte man meinen, spiegelt sich er, Ludwig, der wie sein Vater Tuchmacher war, nun am Äquator und wirft von hier aus das Bild eines Automonteurs zurück. “ (EB48)
- Genetische Verbindung, weist auf Familienzusammenhänge zurück:
- „Elisabeth hat Ludwig die Kleine genannt, nach seiner eigenen Schwester.
Als sei seine Schwester so tief in die Erde gerutscht, daß sie auf der anderen Seite wieder herausgekommen ist, durch die Erde gerutscht und im selben Jahr auf der andern Seite der Welt von seiner Frau wieder geboren. „ - „Elisabeth aber sieht Elisabeth sogar ähnlich.“ (EB48)
- „Elisabeth hat Ludwig die Kleine genannt, nach seiner eigenen Schwester.
Frage 3: Was ist das Besondere am Schlussteil des Kapitels?
- Ab EB49 hört dieser Wechsel der Erlebnisse und Erinnerungen auf.
- Stattdessen kommen jetzt die harten Infos:
- „1937 sind seine Eltern für zwei Wochen bei ihnen zu Besuch, die Mutter sagt, schön habt ihr es hier, und fährt zurück. Sein Vater sagt, aber schad um dein Erbe, und fährt mit der Mutter zurück. Die kleine Elisabeth ist noch lang nicht geboren, auch Elliot noch nicht …“
- „Als Arthur und Hermine sich 1939 doch noch um eine Ausreise bemühen, verkaufen sie Ludwigs Grundstück mit Steg und Badehaus für die Hälfte des Verkehrswertes an den benachbarten Architekten.
- Der Architekt zahlt um des Vorteils willen, den er aus dem Handel hat, ans Finanzamt eine Entjudungsgewinnabgabe in Höhe von 6%.
- Der Erlös, von dem die Eltern, Arthur und Hermine, auf Ludwigs dringende Bitte hin die Überfahrt bezahlen sollen, muß, bis die Pässe da sind, auf ein Sperrkonto überwiesen werden.
- Um diese Zeit etwa wird ihnen der Eintritt in öffentliche Parks verboten. „
- Und dann zu Beginn des II. Weltkrieges 1939/1940
„Als Holland in den Krieg eintritt, sind die Pässe für Ludwigs Eltern da, aber die Überweisung des Geldes an die Schiffahrtsgesellschaft ist nicht mehr möglich.“
Frage 4: Was macht der Schluss deutlich?
- Hier merkt man, mit welcher seltsamen Distanz, fast Empathielosigkeit der grausame Tod der Eltern in entsetzlichen Einzelheiten geschildert wird – mit Hinweisen auch auf das Ende anderer Familienmitglieder: direkt oder indirekt durch den rassischen Terrorwahn der Nazis:
- Zwei Monate nachdem Arthur und Hermine in Kulmhof bei Litzmannstadt den Gaswagen bestiegen haben,
- nachdem Arthurs Augen aus ihren Höhlen getreten sind, während er erstickte,
- und Hermine im Todeskampf einer Frau, die sie nie vorher gesehen hat, auf die Füße geschissen hat,
- wird ihrer beider und ihres ausgewanderten Sohnes Ludwig in Deutschland zurückgebliebenes Vermögen eingezogen,
- werden sämtliche Sperrkonten aufgelöst und der Hausrat versteigert.
- Der gesamte Besitz von Arthur und Hermine, darunter auch der Erlös aus dem Verkauf des Grundstücks am See, bebaut mit 1 Badehaus und 1 Steg, fällt an das Deutsche Reich, vertreten durch den Reichsfinanzminister.
- Mutterstadt wird die Stadt auch genannt, moederstad, mother city.
- Kurz vor Weihnachten steckt sich Ernst, Ludwigs Schwager, der Vater von Doris, bei der Zwangsarbeit auf der Autobahnbaustelle mit Fleckfieber an und stirbt wenige Tage darauf.
- Am Ostermontag müssen sich auch Elisabeth und Doris auf den Weg machen. Es soll nur eine kurze Reise sein, schreibt Elisabeth ihm, Ludwig, ihrem Bruder, noch aus dem Zug. 1 Brieföffner, Ebenholz mit Knauf aus Zinn, gekauft 1927, Mk. 2, Pf. 30.
- Ludwigs Antwortbrief von Kapstadt nach Warschau geht sechs Wochen hin, sechs Wochen her, er kommt ungeöffnet zurück.
- Drei Monate später wird die kleine Elisabeth geboren. In der Mutterstadt, am schönsten Ende der Welt.“
Frage 5: Was ist unklar? Worüber könnte man sprechen? Was könnte man tun?
- Warum wird hier so seltsam erzählt, mit ständigen Montagen verschiedener Situationen, Erlebnisse und Gedanken?
- Wie könnte ein persönliches Beispiel aussehen (natürlich gerne fiktiv aus Datenschutzgründen), in dem auf ähnliche Weise erzählt wird.
Vielleicht nicht ganz so drastisch, was den Verzicht auf Übergänge angeht, also zum Beispiel so:- Wenn es Herbst und dann sogar Winter wurde, dachte er fast jeden Tag an die schöne Zeit in Südfrankreich.
- Typisch für Claude, einen der wenigen Leute, die ihr kleines Lavendelfeld hatten retten können, dass er sich morgens schweigend auf die Feldarbeit vorbereitete.
- Dann aber abends die Geschichten von dem, was er erlebt hatte. Jede Kleinigkeit war ihm wichtig.
- Er selbst fühlte sich unwohl, wenn es in Gemeinschaft ans Erzählen ging. Ihm fiel einfach nichts ein, was die anderen interessieren konnte.
- Am schlimmsten: „Na, du Langweiler, sollen wir dich heute mal wieder überspringen?“
- Gab es überhaupt so etwas wie grundsätzliche Veränderungen des Verhaltens – oder blieb man mehr oder weniger so, wie man aus dem Ei gekrochen war.
- Zumindest im Grundsätzlichen.
- Am schönsten diese Geschichte mit dem Salamander …
- Was steckt hinter den Maßnahmen des südafrikanischen Beamten gegenüber dem Gärtner? (Stichwort und Referat-Möglichkeit: „Apartheid“)
- Was erfährt man hier über die Rassenpolitik in Nazi-Deutschland?
- Was hat es mit diesem „Gaswagen“ auf sich – normalerweise wird von „Gaskammern“ beim Massenmord an Juden gesprochen.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Infos, Tipps und Materialien zum Roman „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck
https://schnell-durchblicken.de/themenseite-heimsuchung
— - Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos
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