Die Frage der Wahrheit: Von Platons Höhlengleichnis über Lessing zu Schiller (Mat8644)

Worum es hier geht:

  • Nehmen wir einmal an, das Thema im Unterricht ist die Wahrheit.
  • Spannend wird es immer, wenn man dann verschiedene Quellen verwendet, um einen jeweils besonderen Blick auf das Thema zu werfen.
  • Wir haben damit zugleich einen Fall von „Intertextualität“, wenn Texte in einem Zusammenhang zu anderen stehen.
  • Man könnte bei Lessing und Schiller jeweils eine Passage einbauen, die den Zusammenhang direkt sichtbar macht.
Platons Höhlengleichnis
oder die Frage: Wollen die Menschen die Wahrheit überhaupt?
  • Wenn man sich ein bisschen in Philosophie auskennt, dann fällt einem sicher Platons „Höhlengleichnis“ ein.
    • Ein Gleichnis bzw. in diesem Falle eine Gleichnisgeschichte, also eine Parabel, dient ja dazu, etwas deutlich zu machen – häufig auf einem Umweg.
    • Das heißt: Man sagt nicht klar heraus, worum es geht, sondern erzählt erst mal eine Geschichte, lässt sie wirken
    • Und wenn dann eine Erkenntnis entstanden ist, überträgt man sie auf den Bereich, um den es eigentlich geht.
    • Der antike Philosoph Platon wollte seinen Zeitgenossen deutlich machen, dass wir Menschen
      • erstens in einer Scheinwelt leben
      • und zweitens, dass es gefährlich werden kann für die, die das durchschauen und versuchen, auch die anderen davon zu überzeugen.
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    • Nun also zu Platons Höhlengleichnis:
      • Platon fordert seine Zuhörer auf, sich eine Höhle vorzustellen, in der Menschen so gefesselt sind, dass sie nur nach vorne auf eine Wand schauen können.
      • Hinter ihnen ist die Höhle offen, und es ist ein Feuer so angezündet, das von dem, was auf einem Weg vorbeigetragen wird, nur entsprechende Schatten auf die Wand vor den Gefangenen wirft.
      • Sie sehen also durchaus, dass da etwas abläuft, erkennen auch die Formen der Menschen und Gegenstände, glauben aber, dass die Schatten die Wirklichkeit sind.
      • Nun gelingt es einem der Gefangenen, sich zu befreien, er arbeitet sich mühsam in die wirkliche Welt hinauf.
      • Anschließend will er seinen Leidensgenossen vor der Schattenwand von der echten Wirklichkeit erzählen.
      • Dabei passiert nun etwas, was man sich in diesem Zusammenhang erst mal wahrscheinlich nicht vorstellt:
      • Die anderen Gefangenen halten den Botschafter der echten Realität für krank oder gehen im Extremfall sogar soweit, ihn als verrückten Störenfried zu töten.
      • Platon nutzt diese Beispielgeschichte, um seine Zuhörer für eine Welt der Ideen zu sensibilisieren, die mehr sind als die direkte Realität, die wir wahrnehmen.
      • Spannend für uns wird das, wenn man es auf die vielen Fälle überträgt, wo jemand feststellt, dass die Vorstellung von der Welt um einen herum nicht die ganze Wahrheit deutlich macht oder vielleicht sogar Wesentliches ausblendet.
      • Hier kann sich jeder jetzt mal selbst Beispiele ausdenken, in denen jemand etwas herausbekommen hat, was sich für die anderen weit außerhalb ihres aktuellen Paradigmas befindet. Darunter versteht man eine aktuelle Vorstellung, die man für wahr hält und über die man nur schwer hinausdenken kann oder will.
      • Und damit ist man auch beim zweiten Übertragungspunkt, nämlich dem landläufigen Abwehrverhalten, das die Mehrheit zeigt, wenn jemand mit einer neuen Idee kommt, die erst einmal abwegig erscheint.
        Vielleicht ist dann auch wieder eine Beispielgeschichte notwendig, die die Wahrheit deutlich macht, ohne dass man gleich sein aktuelles Paradigma ändern muss. Das ist nämlich für fast jeden Menschen schmerzhaft und er wird sich erst mal dagegen wehren.
Lessing – oder der Verzicht auf endgültige Wahrheiten
  •  Nun wollen wir ja Beziehungen herstellen zwischen dieser Vorstellung von der Wahrheit und anderen. So etwas nennt man „Intertextualität“ – d.h. da werden verschiedene Texte in eine Beziehung zueinander gebracht.
  • Uns fällt hier ein Auszug aus einem Brief des Aufklärers Lessing ein, in dem er sich vorstellt, er stehe vor Gott und könne zwischen zwei Geschenk-Varianten wählen.
    https://schnell-durchblicken.de/lessing-ueber-die-wahrheit

    • In der einen Hand hält Gott die endgültige Wahrheit, die bis jetzt nur er kennt.
    • In der anderen Hand liegt das unendliche Streben nach Wahrheit – mit immer neuen Irrtümern bzw. vorläufigen Erkenntnissen.
    • Wir ahnen schon, worauf das hinausläuft: Lessing stellt sich vor, wie er auf die Knie fällt und Gott händeringend bittet, ihm nur das Streben nach Wahrheit zu geben – die Wahrheit selbst sei nur für Gott bestimmt.
Exkurs: Faust will die endgültige Wahrheit und muss aus Schuld gerettet werden
  •  Hier wird man übrigens an Goethes Faust erinnert, der wissen will, was die Welt „im Innersten zusammenhält“.
  • Der Rest des Dramas ist ständiges Streben mit vielen Irrtümern, ja sogar Situationen, in denen Faust Schuld auf sich lädt.
  • Am Ende wird er zwar genauso gerettet wie das Gretchen, das zum Opfer ihrer Liebe geworden ist.
  • Aber die Zuschauer im Theater sehen am Ende des 2. Teils von Faust nur, wie er nach seinem Tod in eine höhere Welt aufgehoben wird.
  • Dort gibt es vielleicht endgültige Wahrheiten – aber dann sicher nicht mehr für Wesen, die wie Lessing ticken.
  • Denn der wollte ja nur das Streben nach Wahrheit – wahrscheinlich hat er sich vor dem Himmelstor kurz informiert und dann zu Petrus, dem Türhüter zum Paradies entschuldigend gesagt: „Ich glaub, ich dreh noch eine Runde.“
Schillers Warnung vor dem gefährlichen Griff nach endgültigen Wahrheiten
  • Kommen wir zu unserem letzten Beispiel, der Ballade „Das verschleierte Bild zu Sais“ von Schiller. Auf dieser Seite sind wir genauer darauf eingegangen:
    https://schnell-durchblicken.de/schiller-das-verschleierte-bild-zu-sais
    Hier nun das, was mit unserem Thema was zu tun hat.

    • Ein junger Mann will unbedingt alles wissen, was man nur wissen kann.
    • In Ägypten kommt er zu einem Tempel, in dem eine verschleierte Statue steht.
    • Wenn man das Tuch entfernt, wird man die volle Wahrheit sehen.
    • Der junge Mann wird aber gewarnt, dass die dahinterstehende Gottheit sich selbst das Recht vorbehalten hat, das Tuch zum richtigen Zeitpunkt zu entfernen.
    • Nach langem inneren Kampf erliegt der junge Mann der Versuchung
    • und wird am nächsten Morgen fast tot aufgefunden.
    • Er hat auch nicht mehr viel Lebenszeit vor sich
    • und entgegnet allen neugierigen Fragern nur:
      »Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld,
      Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein.«

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