Eichendorff – Gedichte Teil 3-2 – „Die zwei Gesellen“ (Mat2675-2)

Worum es hier geht:

Wir stellen hier von Eichendorff  vier weitere Gedicht vor, die wir allerdings auf mehrere Seiten verteilen:

  1. „Der Wegelagerer“
    https://schnell-durchblicken.de/eichendorff-gedichte-teil-3-1
  2. „Die zwei Gesellen“
  3. https://schnell-durchblicken.de/eichendorff-gedichte-teil-3-2
  4. „Abschied“
    https://schnell-durchblicken.de/eichendorff-gedichte-teil-3-3
  5. „Zwielicht“
    https://schnell-durchblicken.de/eichendorff-gedichte-teil-3-4
Rückblick auf die beiden anderen Videos mit Gedichten Eichendorffs
Systematischer “Spickzettel” –  zu den Kennzeichen der Romantik

Den haben wir auch der Übersichtlichkeit halber ausgelagert:
https://schnell-durchblicken.de/eichendorff-gedichte-teil-3-0

Nun das Gedicht, um das es hier geht:

Die zwei Gesellen

  • Der Titel ist im Zusammenhang unserer Betrachtung von Gedichten Eichendorffs insofern interessant, als hier erstmals die Rede von Gemeinschaft ist.
  • Wir kennen den Begriff Gesellen heute eigentlich nur noch aus dem Bereich des Handwerks.
  • Er hängt aber auch zusammen mit dem Wort Gesellschaft und das macht ja deutlich, dass der Mensch eben ein Gemeinschaftswesen ist, in enger Verbindung und manchmal auch Abhängigkeit zu anderen.
  • Wenn es um Romantik geht, dann fragt man sich auch, ob hier vielleicht der Freundschaftsaspekt dann im Gedicht eine Rolle spielt. Der war für die Romantiker ja sehr wichtig.

  • Es zogen zwei rüst’ge Gesellen
  • Zum erstenmal von Haus,
  • So jubelnd recht in die hellen,
  • Klingenden, singenden Wellen
  • Des vollen Frühlings hinaus.

    Anmerkungen dazu:

    • Der Begriff der Gesellen wird am Anfang des Gedichtes noch etwas erläutert und zwar wird er mit dem Wort rüstig verbunden, wir kennen dieses Wort von der Rüstung her
    • Gemeint ist also, diese beiden Menschen haben alles dabei, was sie für den Lebenskampf beziehungsweise allgemein ihre Aufgaben brauchen. Man kann auch sagen: Sie sind gesund und stark.
    • In den nächsten drei Zeilen kommt dann noch die innere Stimmungslage hinzu: Diese beiden Gesellen freuen sich auch auf das, was sie erwartet, wenn sie von zu Hause aufgebrochen sind.
    • Wenn man auf die anderen Gedichte zurückblickt, die wir bereits behandelt haben, so fällt neben dem Jubel auf, dass hier wie in „Frische Fahrt“ auch wieder das Bild des Wassers auftaucht.
    • Und natürlich ist es auch wieder der Frühling, der auf besondere Art und Weise mit dem Aufbruch verbunden ist.
    • Nicht übersehen sollte man, dass auch der Aspekt der Musik wieder mit einbezogen wird und zwar sogar bezogen auf die Natur.
  • Die strebten nach hohen Dingen,
  • Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
  • Was Rechts in der Welt vollbringen,
  • Und wem sie vorübergingen,
  • Dem lachten Sinnen und Herz. –
  • Die dritte Strophe macht dann deutlich, dass diese beiden Gesellen sich hohe Ziele gesetzt haben.
  • Interessant ist der Hinweis, dass diese beiden Gesellen diese hohen Ziele trotz Lust und Schmerz anstreben.
  • Dass hohe Ziele auch nicht Schmerzen verbunden sein können, das weiß jeder Sportler.
  • Wieso aber auch Lust jemanden von hohen Zielen abhalten könnte, ist nicht sofort ganz klar.
  • Gemeint ist aber wohl, dass man hohe Ziele nicht erreicht, wenn man gewissermaßen nach Lust und Laune lebt. D.h.: man muss manchmal auch schöne Ablenkungsangebote ausschlagen, wenn man hohe Ziel erreichen will.
  • Anmerkung: Für die, die später Germanistik studieren oder ihren Deutschlehrer überraschen wollen: Man könnte auf einen Versroman von Hartmann von Aue aus dem Mittelalter verweisen. Dort folgt ein Ritter nicht mehr seinen ritterlichen Pflichten, also: unterwegs für Recht und Ordnung zu sorgen. Sondern er „verligt“ sich, bleibt also zu lange bei seiner frisch angetrauten Frau „liegen“.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Erec
    Nach der Hochzeit zieht Erec mit seiner Frau zum „Hof seines Vaters (der zugunsten Erecks auf die Herrschaft verzichtet). Dort vernachlässigt Ereck seine Herrscherpflichten, weil er aus Liebe zu Enite die Tage mit ihr im Bett verbringt (in der Literaturwissenschaft wird dieses Vergehen Erecks meist als verligen bezeichnet, ein Begriff, der unmittelbar Vers 3963 – alte Zählung: V. 2971 – untz daz Er sich so gar verlag entnommen ist).“
  • Die dritte Zeile geht wohl in die Richtung, dass diese beiden jungen Männer etwas Richtiges vollbringen wollen, also nicht irgendetwas, sondern zum Beispiel etwas was auch für die Gemeinschaft gut ist. Hier taucht ein moralischer Aspekt auf, den wir gleich bei dem Gedicht „Abschied“ noch genauer beleuchten werden.
  • Die letzten beiden Zeilen machen dann deutlich, dass die ganze Art, die Einstellung, das Verhalten dieser beiden Gesellen auch Auswirkungen auf andere hat, denen sie begegnen. Die werden zumindest kurzzeitig mitgerissen. Auch dies hier ist wieder ein Hinweis auf die Bedeutung der Gemeinschaft beziehungsweise der Gesellschaft.
  • Der erste, der fand ein Liebchen,
  • Die Schwieger kauft’ Hof und Haus;
  • Der wiegte gar bald ein Bübchen,
  • Und sah aus heimlichem Stübchen
  • Behaglich ins Feld hinaus.
  • Diese Strophe macht deutlich, dass es mit der gemeinsamen Reise dieser beiden Gesellen wohl bald zu Ende ist. Denn einer von beiden verliebt sich und wächst auch gleich in die Familie seiner Frau hinein.
  • Dazu kommt die Verantwortung für ein Kind.
  • Offen bleibt am Ende die Bewertung seines Verhaltens am Fenster. Das erinnert ja das Gedicht „Sehnsucht“ und könnte von daher zumindest teilweise kritisch negativ gemeint sein.
  • Interessant, dass hier auch das Wort „heimlich“ auftaucht. Das hat aber wohl nichts zu tun mit dem „heimlich“ aus dem Gedicht „Sehnsucht“, es bezieht sich auf das Heim, also das Zuhause und das familiäre Umfeld dieses Gesellen.
  • Offen bleibt die Frage, wie das Wort „behaglich“ zu verstehen ist. Hier wird deutlich, dass man ein Gedicht natürlich besser versteht, wenn man den Wortgebrauch des Autos auch von anderen Texten her kennt. Ähnliches gilt aber natürlich auch für Nicht-Schriftsteller. Wenn man Leute etwas besser kennt, dann ahnt man eben schon, was genau mit einem Wort gemeint ist. Hier geht es ja um Konnotationen, also die individuell mit schwingenden Bedeutungsnuancen von Wörtern.
  • Auf jeden Fall deuten „heimlich“ und „behaglich“ die Gegenwelt zu Aufbruch und Reise an.
  • Dem zweiten sangen und logen
  • Die tausend Stimmen im Grund,
  • Verlockend’ Sirenen, und zogen
  • Ihn in der buhlenden Wogen
  • Farbig klingenden Schlund.
  • Ab dieser Strophe wendet sich dann das Gedicht dem zweiten Gesellen zu.
  • Erstaunlich ist hier, dass der Gesang sofort mit etwas Negativem, nämlich der Lüge verbunden wird.
  • Dazu kommt das Moment der Verlockung, wie man es aus der griechischen Sage um Odysseus herum kennt. Da werden Seefahrer nämlich von schön singenden Frauengestalten in den Untergang hineingelockt.
  • Am Ende taucht das Wort „buhlen“ auf und das ist in früheren Zeiten immer verbunden gewesen mit einer negativen Vorstellung. Gemeint war nämlich in der Regel eine nicht-ordentliche Liebe, also eine, die nicht durch eine Ehe sanktioniert war – auch wenn sie meist mehr Leidenschaft mit sich brachte.
  • Interessant ist auch, dass die Farbigkeit in diesem Gedicht offensichtlich negativ gesehen wird. Das erweitert die Vorstellung von dem, was wir in dem Gedicht „Frische Fahrt“ kennengelernt haben. Denn dort waren ja die schönen Farben des Stromes noch eindeutig positiv zu verstehen, wenn auch schon die Frage eines guten oder nicht so guten Endes am Schluss offen gelassen wurde.
  • Hier nun sind sowohl das Singen als auch die Vielfarbigkeit eindeutig etwas negativ Verlockendes.
  • Und wie er auftaucht’ vom Schlunde,
  • Da war er müde und alt,
  • Sein Schifflein das lag im Grunde,
  • So still war’s rings in die Runde,
  • Und über die Wasser weht’s kalt.
  • Erstaunlicherweise gibt es für den zweiten Gesellen noch ein Auftauchen – im Unterschied zu den Seeleuten, die in der Antike den Sirenen zum Opfer fielen.
  • Aber das ist dann bereits mit zwei negativen Attributen verbunden, nämlich „müde“ und „alt“ (natürlich hier in gleicher Richtung gemeint). Dieser Geselle hat also sein Leben ganz offensichtlich falsch genutzt und ist möglicherweise dadurch auch noch früher gealtert.
  • Es folgt dann das Bild des Lebensschiffleins, das im Grunde liegt, also nicht mehr fahrbereit ist, auch nicht mehr tragfähig.
  • Am Ende dann noch zwei negative Aspekte: Zum einen ist es um diesen Gesellen still geworden, also weder Menschen noch Tierwelt können ihn erheitern. Außerdem trifft ihn über den Wassern, also auf seinem Lebensstrom, ein kalter Wind.
  • Es singen und klingen die Wellen
  • Des Frühlings wohl über mir;
  • Und seh ich so kecke Gesellen,
  • Die Tränen im Auge mir schwellen –
  • Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!
  • In der letzten Strophe meldet sich jetzt das lyrische Ich zu Wort. Es gibt an, in der gleichen Situation des Frühlings zu sein.
  • Es folgt der Hinweis darauf, dass solche Menschen wie diese beiden Gesellen ihn beunruhigen, ja traurig stimmen.
  • Die Schlusszeile zeigt dann den Ausweg aus der Situation, wie er typisch für Eichendorff ist: Er wendet sich an Gott und bittet ihn darum, ihm zu helfen, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Ziel ist dabei: am Ende bei Gott anzukommen.
  1. Das Gedicht ist insofern etwas Besonderes, als es zwei Lebenswege zeigt. Bei dem ersten hat man vor allem nach dem Gedicht aus dem „Taugenichts“ sofort den Eindruck, dass hier etwas verurteilt wird. Das ist aber gar nicht das Thema dieses Gedichtes, sondern der Hinweis auf die Gefahren, die mit einem völlig anderen Leben verbunden sind.
  2. Das heißt: Das, was in „Frische Fahrt“ nur angedeutet und letztlich offen gelassen worden ist, wird hier negativ ausgestaltet.
  3. Am Ende steht dann eine Lebenseinstellung, wie man sie aus der Barockzeit kennt: Auch dort geht es ja darum, dass der Mensch durch ein schwieriges Leben hindurch am Ende zu Gott geführt wird.
  4. Auf jeden Fall hat sich auf besonders deutliche Weise gezeigt, welche Vorteile es hat, auch noch andere Gedichte eines Dichters zu kennen. Dann fallen einem nämlich vielfältige Querbeziehungen auf, die vorläufige Einschätzung präzisieren, erweitern oder auch korrigieren.

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