Erwartungshorizont zur Klausur zur Kurzgeschichte „Abschied“ von Mia Tivag mit Vergleich zum Roman „Heimsuchung“ (Mat8630-kga-ewh)

Zur Klausur

Die Klausur mit ihrer Aufgabenstellung ist hier zu finden:
https://schnell-durchblicken.de/kurzgeschichte-abschied-von-mia-tivag-vergleich-mit-roman-heimsuchung

Hier nun Hinweise zur Lösung.
Dies ist allerdings eine vorläufige Arbeitsfassung, die für die schnelle Hilfe gedacht ist, aber noch im Einzelnen geprüft und optimiert werden muss.

Aufgabe 1: Analyse der Kurzgeschichte „Abschied“ (Mia Tivag)

  • a) Gattung und Thematik:

    • Gattung: Kurzgeschichte. Erkennbar an typischen Merkmalen: kurze Erzählung ohne ausführliche Einleitung, konzentriert auf einen entscheidenden Moment (hier der Abschied am Morgen), mit offenem Schluss.

    • Thematik: Abschied von der Heimat bzw. dem Elternhaus und damit verbundene Gefühle. Zentrale Themen sind Loslassen und Aufbruch: Die Protagonistin Anna verabschiedet sich von ihrem vertrauten Zuhause und ihrer Kindheit (Erinnerungsstücke wie der Tisch, „an dem sie lesen gelernt hatte“​
      während ungewiss bleibt, was die Zukunft bringt. Es geht um die Wehmut des Abschieds (Vergangenheit/Heimat) und zugleich die leise Hoffnung auf Neues.

  • b) Intention (Aussageabsicht):

    • Die Kurzgeschichte vermittelt die Ambivalenz des Abschieds: Einerseits Schmerz über das Verlassen des Vertrauten, andererseits Hoffnung auf den Neuanfang. Annas Gefühle beim Abschied sind zwiespältig – ein „Gefühl des Aufbruchs ins Neue“ verbindet sich mit dem Bewusstsein einer „Unwiederbringlichkeit“ des Vergangenen​

    • Trost durch Erinnerung: Die Erzählerin macht deutlich, dass die wertvollen Erinnerungen und Erfahrungen nicht verloren gehen. Marlenes zentraler Satz fasst die Intention zusammen: „Das Schöne bleibt nicht hier. Du nimmst es mit.“

      – Alles Gute, was Anna in ihrer Heimat erlebt hat, trägt sie in sich und nimmt es mit in ihr zukünftiges Leben.

    • Beständigkeit von Freundschaft: Selbst im Abschied gibt es etwas Bleibendes. Annas Gedanke „Vielleicht war Freundschaft ja wenigstens etwas, das blieb“
      unterstreicht die Aussage, dass menschliche Beziehungen und Erinnerungen Dauer haben können, während Orte und Lebensabschnitte sich ändern. Die Geschichte will zeigen, dass Abschiede zum Leben gehören, man Vergangenes im Herzen bewahren kann und gestärkt in die Zukunft gehen soll.

  • c) Sprachliche, strukturelle und rhetorische Mittel:

    • Erzählperspektive und Ton: Erzählung in personaler 3. Person aus Annas Sicht – erlaubt Einblick in ihre Gefühlswelt (innere Monologe wie die Reflexion über die Freundschaft​

    • Der Ton ist ruhig, melancholisch und einfühlsam, was die intime Atmosphäre des Abschiednehmens unterstützt.

    • Bildhafte Sprache: Zahlreiche sprachliche Bilder und Sinneseindrücke machen Annas Erinnerungen lebendig. Gleich der Einstieg personifiziert den Morgen: „Der Morgen tastete sich grau und still in die Küche.“

      – das Morgengrauen „tastet“ sich voran, was die gedämpfte Stimmung fühlbar macht. Ebenso wird die Stille der leeren Umgebung greifbar („Die alte Scheune war still, als hielte sie den Atem an.“​

    • Visuelle Bilder verstärken die Stimmung, z. B. der Frost, der „das Gras silbern überzogen“ hat​

    • oder das „milchige Licht“ über dem Apfelbaum am Abschiedsmorgen​

    • Beschreibung vertrauter Details: Konkrete Dinge als Erinnerungsanker: Das Haus und die Gegenstände werden detailreich dargestellt (z. B. „vertrauter Geruch: ein Gemisch aus Holz, Staub und den Jahren“ im Flur​

    • Solche Details rufen Annas Kindheit in Erinnerung – etwa der Riss im alten Spiegel („der Riss war neu, der Rahmen alt“

    • und die Kommode mit den Briefen der Mutter

    • Sie symbolisieren Vergangenes; der Satz „Manche Dinge ließen sich nicht reparieren, nur behalten.“
      ist sowohl wörtlich auf den Spiegel als auch metaphorisch auf Erinnerungen zu beziehen (man kann Vergangenes nicht rückgängig machen, nur im Gedächtnis bewahren).

    • Kontrast und Stimmung: Sprachlich werden Gegensätze herausgearbeitet, um Annas innere Gefühlsmischung darzustellen: Etwa das Bild vom Aufbruch„das an sonnigen Tagen nach draußen drängte“ – steht im Satz direkt neben der „Empfindung von Unwiederbringlichkeit“

    • Diese Gegenüberstellung von Vorfreude und Verlust verstärkt die bittersüße Stimmung.

    • Struktur: Der Aufbau folgt Annas Abschiedsschritt: chronologisch vom Aufwachen bis zum Verlassen des Hauses. Durch die Wiederholung „Zimmer für Zimmer nahm sie Abschied“

    • wird ihr systematisches Durchschreiten des Hauses betont – ein stiller Abschiedsritus. Große Ereignisse fehlen; stattdessen liegt der Schwerpunkt auf den leisen Momenten und Beobachtungen. Die Dialoge sind reduziert auf das Nötigste (erst am Ende spricht Marlene beruhigend zu Anna​
      wodurch Annas Stille und Nachdenklichkeit im Mittelpunkt stehen.

    • Rhetorische Mittel: Die Sprache verzichtet auf pathetische Ausrufe oder rhetorische Fragen, wirkt dadurch authentisch und nüchtern. Stilmittel wie Ellipsen oder unausgesprochene Gedanken in der wörtlichen Rede („Ich wollte noch einmal… na ja, du weißt schon.“
      zeigen die Emotionalität zwischen den Zeilen. Insgesamt unterstreichen die sprachlichen Mittel die Atmosphäre von Abschied, Erinnerung und leise hoffnungsvollem Neubeginn.

  • d) Deutung des offenen Schlusses – Weiterführungsidee:

    • Offener Schluss: Die Geschichte endet unmittelbar nach dem Abschiedsmoment: „Ein letzter Blick über den Hof – dann gingen sie.“

    • Was aus Anna in der neuen Umgebung wird, bleibt offen. Sie reagiert nicht mit Worten, aber „sie atmete tiefer“
      ein Zeichen von Erleichterung oder neuer Entschlossenheit. Diese Offenheit spiegelt ein Merkmal der Kurzgeschichte und lädt dazu ein, Annas weiteres Schicksal zu imaginieren.

    • Deutung: Der offene Schluss kann so gedeutet werden, dass Anna nun innerlich bereit ist für den nächsten Lebensabschnitt. Marlenes Zuspruch zeigt Wirkung (Annas tiefer Atemzug signalisiert Erleichterung), weshalb man annimmt, dass Anna den Abschied akzeptiert hat und hoffnungsvoller nach vorn blickt. Zwar ist der Verlust der Heimat endgültig („Unwiederbringlichkeit“, doch die Erkenntnis, dass sie „das Schöne“ mitnimmt, gibt Zuversicht.

    • Weiterführung (begründete Idee): Wahrscheinliche Fortsetzung: Anna wird mit Marlenes Hilfe zum Bahnhof fahren und in ihr neues Leben aufbrechen. In den ersten Tagen wird sie die vertraute Umgebung vermissen, doch allmählich merkt sie – wie Marlene angekündigt hat – dass die schönen Erinnerungen und Werte aus ihrer Heimat in ihr weiterleben. Vielleicht bleibt die Freundschaft zu Marlene bestehen (sie hat Anna ja beim Abschied begleitet), was Anna den Einstieg in der Fremde erleichtert. Möglich ist auch, dass Anna später an ihren Heimatort zurückkehrt, um festzustellen, dass sich vieles verändert hat, sie selbst aber gereift ist. Begründung: Diese Weiterführung passt zur Aussageabsicht des Textes: Anna wird die Vergangenheit im Herzen tragen, während sie sich in der Zukunft zurechtfindet. Ihr „Aufbruch ins Neue“ geschieht mit der inneren Gewissheit, dass sie ihre Herkunft und Erinnerungen nicht verliert, sondern als Teil von sich mitnimmt. Die letzte Szene des Originals – Annas erleichtertes Aufatmen – deutet bereits an, dass sie den Mut fasst weiterzugehen, was sich in einer möglichen Fortsetzung durch einen gelungenen Neuanfang zeigen könnte.

Aufgabe 2: Vergleich „Abschied“„Die unberechtigte Eigenbesitzerin“ (Jenny Erpenbeck)

  • Gemeinsamkeit (Thema Abschied von der Heimat): Beide Texte stellen einen Abschied von einem langjährigen Zuhause dar. In „Abschied“ verlässt eine junge Frau (Anna) freiwillig ihr Elternhaus, in „Die unberechtigte Eigenbesitzerin“ muss eine ältere Frau ihr Haus zwangsweise räumen. In beiden Fällen werden die Emotionalität des Loslassens und der Wert der Erinnerungen deutlich: Sowohl Anna als auch Erpenbecks namenlose Figur hängen an jedem Raum ihres Hauses und nehmen Zimmer für Zimmer Abschied (Anna indem sie innehält und schaut​ die Eigenbesitzerin indem sie alles säubert und ordnet). Das eigene Zuhause fungiert in beiden Texten als Träger der Vergangenheit und Identität, was den Abschied jeweils schwer macht.

  • Umgang mit dem Abschied: Die Art und Weise, wie Abschied genommen wird, unterscheidet sich stark:

    • Anna (Tivag): Ihr Abschied ist ruhig, bewusst und kurz. Sie geht in der Frühe alleine durchs Haus, nimmt innerlich Abschied von vertrauten Dingen, und verlässt noch am selben Morgen das Elternhaus. Sie wahrt dabei Fassung – es fließen keine Tränen, stattdessen „ließ [sie] den Blick wandern, verweilte, spürte“

    • Die Präsenz ihrer Freundin Marlene gibt Halt: Anna kann sich verabschieden, weil jemand sie auffängt (Marlene wartet auf sie und spricht ihr Mut zu​Insgesamt akzeptiert Anna den Abschied als notwendigen Schritt und geht ihn trotz Wehmut zielstrebig an (sie schließt das Gartentor und geht).

    • Die „unberechtigte Eigenbesitzerin“ (Erpenbeck): Ihr Abschied ist langwierig, schmerzhaft und von Widerstand geprägt. Sie will das Haus nicht hergeben – statt zügig zu gehen, bleibt sie heimlich wochenlang im bereits geräumten Haus. Sie verzögert den Abschied, indem sie jeden Raum noch einmal gründlich putzt, Möbel zurück an ihren Platz stellt und sogar im leeren Haus übernachtet. Dieses Verhalten zeigt, wie unfähig loszulassen sie ist: Sie versteckt sich im Wandschrank, wenn die Maklerin mit Kaufinteressenten durchs Haus geht​

      , um nicht entdeckt zu werden. Anders als Anna hat sie keine Unterstützung im Abschied – im Gegenteil, ihr Mann meint nur nüchtern: „Was willst du – du hast deine Zeit dort gehabt.“ (d.h. es ist vorbei). Sie ist in ihrem Abschied völlig allein und klammert sich an jeden vertrauten Gegenstand (z. B. hängt sie die alten Türen wieder ein, stellt den Tisch zurück an seinen alten Platz​

    • Der Abschied wird bei Erpenbeck als quälender Prozess dargestellt, bei dem die Figur gegen die endgültige Trennung ankämpft, während Anna ihn im Vergleich still vollzieht.

  • Rolle der Zukunft:

    • In „Abschied“ spielt die Zukunft eine spürbare Rolle als Hoffnung und Antrieb. Anna empfindet einen „Aufbruch ins Neue“

    • Trotz aller Wehmut gibt es einen Ausblick darauf, dass etwas Neues beginnt (sie fährt zum Bahnhof, Symbol für Aufbruch in ein unbekanntes Morgen). Marlenes Zuspruch („Du nimmst es mit“​ richtet den Blick ausdrücklich nach vorn: Er impliziert, dass Anna die schönen Erinnerungen mitnimmt, um in Zukunft darauf aufzubauen. Die letzte Szene zeigt Anna im Moment des Gehens, was auf einen offenen, aber vorhandenen Zukunftsraum hindeutet. Man kann annehmen, dass Anna zumindest eine Perspektive hat (Studium, neue Stadt o. Ä.), auch wenn diese im Text nicht ausgeführt wird. Wichtig ist: Anna akzeptiert die Unsicherheit der Zukunft („wusste nicht, was daraus werden würde“​ und bricht dennoch auf. Die Zukunft bedeutet für sie Möglichkeit und Veränderung.

    • In „Die unberechtigte Eigenbesitzerin“ steht die Zukunft der Hauptfigur dagegen nicht im Mittelpunkt – vielmehr wird deren Fehlen schmerzhaft fühlbar. Für die alte Bewohnerin gibt es keine Zukunft in ihrem Zuhause: „als sich abzeichnete, dass sie in diesem Haus nicht alt werden würde“ beginnt ihre Vergangenheit sie zu überwältigen. Ihre einst „sehr schöne Kindheit“ wird plötzlich zum „sehr schönen Gefängnis“, weil sie keine fortdauernde Lebensperspektive mehr an diesem Ort hat. Dieser Satz aus dem Roman verdeutlicht, dass das Ausbleiben der Zukunft (kein Altwerden im eigenen Haus) die Vergangenheit zur Last werden lässt. Die Figur klammert sich ans Vergangene und vermeidet es, an eine Zukunft anderswo zu denken – sie wüsste gar nicht „wohin“ ohne das Haus. Im Text wird keine neue Perspektive für sie geschildert: Sie verlässt am Ende das Grundstück, aber wir erfahren nicht, was aus ihr wird. Die Zukunft bleibt leer bzw. außerhalb des Erzählfokus. Statt Hoffnung gibt es bei Erpenbeck resignative Endgültigkeit: Die Frau schließt die Tür ab, steckt den alten Schlüssel ein, „auch wenn der bald nur noch dazu da sein wird, Luft aufzuschließen“
      ein Bild dafür, dass ihr für die Zukunft nichts Greifbares bleibt außer Erinnerungen. Die Zukunft spielt hier also insofern eine Rolle, als ihr Fehlen die Tragik ausmacht: Die Protagonistin hat buchstäblich keinen Ort in der Zukunft, was ihren Abschied so verzweifelt macht.

  • Fazit des Vergleichs: Beide Texte behandeln das Thema Abschied von der Heimat, jedoch wird er unterschiedlich bewältigt. Anna (Tivag) nimmt Abschied als unvermeidlichen Teil des Lebens und wendet sich einer unbekannten Zukunft zu – mit Wehmut, aber auch mit Zuversicht und dem Wissen, dass sie ihre Heimat im Herzen bewahren wird. Erpenbecks Eigenbesitzerin hingegen erlebt den Abschied als Verlust ohne Neuanfang: Sie verharrt in der Vergangenheit, da ihr keine Zukunft in ihrem Zuhause bleibt. Während Anna im Abschied einen Übergang in die Zukunft sieht, bedeutet er für die ältere Frau ein Ende – ihre Vergangenheit wird zum Gefängnis, und die Zukunft bleibt unbestimmt. Dieser Gegensatz zeigt sich deutlich im Umgang mit dem Abschied: Loslassen und nach vorn schauen auf der einen Seite, Festhalten und zurückschauen auf der anderen.

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