Julie Zeh, „Corpus delicti“: Fragen zum Roman

Worum es hier geht:

  • Es gibt viele Arten von Fragen. Im allgemeinen beginnt man mit rein inhaltlichen, an denen man testen kann, wie gut man sich in der Lektüre auskennt.
  • Darüber hinaus sind aber auch Fragen interessant, die sich genauer auch mit einzelnen Stellen sowie den Kernaussagen des Romans beschäftigen.

Eine Übersicht über den Inhalt mit Schlüssel-Textstellen und Interpretationsansätzen findet sich hier:

https://www.einfach-gezeigt.de/corpus-delicti-inhalt-zitate-interpretation


Fragen zum Text – zunächst als Ergebnis der Lektüre:

Vorab ein wichtiger Hinweis:
Jedes Zitat ist mehr oder weniger abhängig von seinem Kontext. Deshalb wird auch das Umfeld entsprechend einbezogen und für die Klärung des Verständnisses genutzt.

Welche Bedeutung hat die Gesundheit, so wie sich Heinrich Kramer das im fiktiven „Vorwort“ zu seinem Buch vorstellt?

  • Es geht um körperliche, geistige und soziale Vollkommenheit.
  • Sie wird als Basis staatlicher „Legitimation“ gesehen
  • und bezieht sich sowohl auf den Einzelnen
  • wie auch auf die Gesellschaft.
  • Wer nicht „nach Gesundheit strebt, wird nicht krank, sondern ist es schon.“
  • Bleibt nur noch die Frage, was man mit solchen Menschen macht.

Wieso ergänzt das Kapitel „Das Urteil“ das Vorwort von Heinrich Kramer?

  • Es macht deutlich, was der Staat zum angeblichen Nutzen der Gesellschaft dem Einzelnen alles abverlangt,
  • und zeigt auch, bis zu welchem Ende die entsprechende Repression noch gehen kann, nämlich bis zum „Einfrieren auf unbestimmte Zeit“.

26:

Was ist damit gemeint, wenn Kramer zu Mia sagt:
„Das System ist menschlich, das haben Sie eben selbst festgestellt. Natürlich weist es Lücken auf. Das Menschliche als ein nachtschwarzer Raum, in dem wir herumkriechen, blind und taub wie Neugeborene. Man kann nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, dass wir uns beim Kriechen möglichst selten die Köpfe stoßen. Das ist alles.“ (26)

  • Kramer geht es hier darum, die METHODE auf eine besondere Weise in Schutz zu nehmen.
  • Die Lücken liegen für ihn letztlich nicht im System, sondern sind darin begründet, dass Menschen es betreiben.
  • Hier zeigt sich eine absolut negative Sicht des Menschlichen, besonders auch der Bedeutung der Gefühle.
  • Dazu kommt die Ablehnung alles Störenden. Das ein Anstoßen irgendwo auch ein Lernprozess sein kann, wird nicht gesehen.
  • Dass in Krisen auch Entwicklungschancen liegen, ist in diesem System nicht vorgesehen.
  • Es ist die perfekte Planwirtschaft von oben – was auch zum totalitären Ansatz passt.

32:
Was meint Moritz, wenn er sagt: „Das Leben … ist ein Angebot, das man auch ablehnen kann.“ (32)

  • Zunächst einmal bedeutet das, dass jedem Menschen ein letzter Ausweg bleibt. Wenn das Angebot also zu schwer wird oder zu sehr schmerzt, kann man es ablehnen. Allerdings bedeutet das jeden Verzicht auf Zukunft, was Moritz hier in seiner scheinbaren Heldenhaftigkeit nicht sieht oder nicht sehen will. Er glaubt, dass die „Geliebte“ ein Ersatz ist für Nähe und Entwicklung. Bezeichnend ist ja, dass Mia später die Geliebte nur nutzt, um den letzten Entwicklungsstand ihres Bruders zu nutzen.
  • Man muss diese Äußerung auch in dem Zusammenhang der Seite 80 sehen, wo sich Moritz aufgebracht mit dem Hinweis verteidigt:
    „Ja, ich kann mich umbringen. Nur wenn ich mich auch für den Tod entscheiden kann, besitzt die Entscheidung zu Gunsten des Lebens einen Wert.“
    Das ist natürlich ein anderer Ansatz, eher theoretisch im Sinne der Abgrenzung zur Schärfung des Bewusstseins.

S. 46: „Weil Mia sich wehrte und die Fersen in den Boden stemmte, nahm Moritz die zweite Hand zu Hilfe und schleifte seine Schwester ein Stück  hinter sich her, bis sie von selbst zu laufen begann.“

– Moritz wendet hier Gewalt an – vielleicht zu einem guten Zweck, aber der heiligt nicht die Mittel.

– Man wird an eine Szene aus „Der Club der toten Dichter“ erinnert, wo der doch so tolle Lehrer einen Schüler zwingt, ein Gedicht vorzutragen.

80: Was meint Moritz, wenn er seiner Schwester vorwirft:

„Nicht weil du die Menschen liebst, wünscht du ihnen  Sicherheit sondern weil du sie verachtest“.

  • Hier haben wir wieder die beiden gegensätzlichene Konzepte von Freiheit und Sicherheit.
  • Mia ist hier noch im Denken der METHODE befangen und will eben maximale Sicherheit – vor allem in Fragen der Gesundheit.
  • Moritz dagegen vertritt eine romantische Sicht des Menschen – und es bedeutet für ihn Verachtung, wenn man den Menschen nicht ihre ganz eigene, individuelle Entscheidung überlässt.

80:
Und was ist damit gemeint, wenn Mia  daraufhin antwortet:

„Kann sein … Aber du redest von Freiheit und von Höherem weil du dich selbst hast. Weil du es nicht ertragen kannst, auf der Welt zu sein, ohne dir ein mythisches Mäntelchen umzuhängen. Um diesen Hass  vor dir selbst zu verbergen, richtest du ihn gegen das System. Du hasst dich so sehr, dass dir sogar der Gedanke Spaß macht, dich zu töten.

  • Hier muss man in besonderer Weise den Kontext berücksichtigen. Mia kann und will noch nicht begreifen, dass Moritz ein sehr berechtigtes alternatives Modell des Umgangs mit dem Leben vertritt. Letztlich weicht sie hier aus, überträgt ihre eigenen Gedanken und Wertvorstellung auf ihren Bruder. Es sind reine Behauptungen, die sie hier vertritt und die Moritz nicht gerecht werden. Später wird sie diese Gedanken übernehmen.

S. 130:

Welche Bedeutung hat der Vergleich mit einer Hexe?

  • Die ideale Geliebte hat ein sehr konkretes Modell des Widerstands für Mia entwickelt, das bei ihr Angst auslöst.
  • Sie erkennt aber an, dass hier jemand „auf gewaltige Weise recht hat“, was interessanterweise bei ihr eine „geradezu himmlische Ruhe“ auslöst.
  • In ihr Schweigen hinein legt die Geliebte nach, indem sie das Bild der Hexe auf ihre Situation anwendet. Für sie ist eine Hexe ein „Heckengeist“, „auf der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis. Zwischen Diesseits und Jenseits, Leben und Tod, Körper und Geist. Zwischen Ja und Nein, Glaube und Atheismus. Sie weiß nicht, zu welcher Seite sie gehört. Ihr Reich ist das Dazwischen.“
  • „Wer keine Seite wählt … ist ein Außenseiter. Und Außenseiter leben gefährlich. Von Zeit zu Zeit braucht die Macht ein Exempel, um ihre Stärke unter Beweis zu stellen. Besonders, wenn im Inneren der Glaube wackelt. Außenseiter eignen sich, weil sie nicht wissen, was sie wollen. Sie sind Fallobst.“
  • Im weiteren Verlauf macht die Geliebte Mia deutlich, dass sie zu viel Distanz zu anderen Menschen hält und darin mit Moritz auf einer – sehr gefährlichen Linie – liegt.
  • Wie Moritz auch, findet sie es genauso unerfreulich, ein Täter zu sein wie ein Opfer.
  • Letztlich ist das wohl so zu verstehen, dass man mit anderen zusammen rechtzeitig und auf intelligente Weise gegen das System kämpfen muss, wenn man nicht reduziert werden will auf ein Rädchen im Getriebe und damit seine Menschlichkeit verliert.

S. 134:

„Man muss flackern. Subjektiv, objektiv. Subjektiv, objektiv. Anpassung. Widerstand. An, aus. Der freie Mensch gleicht einer defekten  Lampe.“

  • Eine erste Verständnishypothese ergibt sich hier aus dem unmittelbaren Zusammenhang. Das dritte Wort „flackern“ passt schon zu der „defekten Lampe.“
  • Als nächstes kommt man sicher auf den Gedanken, dass der „freie Mensch“ eben nicht einfach funktionieren soll bzw. kann oder will.
  • Dann muss man noch die Gegensätze einbeziehen:
  • „Subjektiv, objektiv.“ Wenn man das jetzt mal ernst nimmt und nicht nur als Beispiel, dann bedeutet das, dass man eben mal so sein soll, bzw. kann oder will – und mal so. Im Bereich der Axiome, also der nicht hintergehbaren Grundsätze eines Menschen, muss man eben auch so was sagen wie: „So bin ich – und so bleibe ich.“ In anderen Situationen kommt es dagegen auf Objektivität an – und das heißt eben auch Kompromisse machen, Dinge anerkennen.
  • „Anpassung. Widerstand.“
    Das passt zu dem, was eben schon entwickelt worden ist.
  • „An, aus.“
    Das heißt eben: Mal spielt man mit, mal eben auch nicht.
  • Dann schaut man nach dem weiteren Kontext:
  • Das beginnt schon damit, dass Moritz weder Täter noch Opfer sein will. Das kann man noch verstehen, aber es macht schon deutlich, dass er sich nicht einordnen (lassen) will.
  • Dann wird subjektiv und objektiv auf sehr originelle Weise erklärt: Leben ist subjektiv, Geburt und Tod sind objektiv.
  • Dann wird immer deutlicher, wie sehr Moritz Individualist ist.
  • Und wie sehr er spontan dem Augenblick leben will, zum Beispiel, wenn er einen Zug besteigt.
  • Kritische Anmerkung: Hier wird es übrigens schon ziemlich schräg. Nicht jeder kann im Zug sein eigenes Lied laut singen – und nicht jede Frau mit vielen Einkaufstüten will plötzlich von einem Wildfremden geküsst werden.
  • Und wenn man sich keiner Gruppe anschließen will, verringert man seine Einflussmöglichkeiten.
  • Letztlich ist Moritz ein Träumer, eigentlich auch harmlos und unschuldig – und doch holt ihn gleich nach diesem Spruch mit der „defekten Lampe“ die Polizei und seine letzte Reise beginnt.
  • Letztlich bedeutet der Spruch den Anspruch an Individualität und Freiheit, möglicherweise auch Anarchie, Ablehnung jeder Herrschaft über einen selbst.
  • Das bringt aber auch große Probleme mit sich, die Moritz hier weitgehend ausklammert.
  • Deshalb müsste man letztlich sein gesamtes Leben, so wie es im Roman präsentiert wird, prüfen, inwieweit es dem Lampen-Motto entspricht.
  • Zumindest die Art und Weise, wie er Mia mit körperlichem Zwang über die Grenze des Hygienegebietes zwingt, ist problematisch und zeigt diese individualistische und subjektive Willkür und den Verzicht nicht nur auf Einordnung, sondern auch die Berücksichtigung der Freiheit anderer.

S. 146:
Was ist damit gemeint, wenn Mia dem Staatsanwalt entgegenhält:
„Die Vernunft macht mich zu einem Grenzfall, zu einem Wesen des Dazwischen. Zu einer Instanz ohne jede Entscheidungsmöglichkeit. Ich bin absolut ungefährlich.“

  • Hier nutzt Mia das, was die Geliebte ihr auf S. 130 vorgeworfen hat, zur Verteidigung.
  • Allerdings ist dies nutzlos, weil sie längst als Opfer ausersehen ist.

S. 168:

Was meint Kramer, wenn er sagt:

„Fortschrittsdrang … ist eine Mischung aus gesellschaftlicher Selbstüberschätzung und individuellem Geltungsbedürfnis?

  • Auch hier muss man das mit einbeziehen, was Kramer vorher gesagt hat.
  • Er bezweifelt nämlich Sinn und Möglichkeiten des Widerstands, wenn der nicht aufs Ganze geht.
  • Vor allem sieht er ein hohes Maß an Korrumpierbarkeit des Freiheitsdrangs, wenn man ihm ein bisschen entgegenkommt.
  • Letztlich versteht Kramer den Menschen als von „Eigenliebe“ getrieben und nur daran interessiert, für sich das Beste herauszuholen.
  • Letztlich geht es nicht um den Willen und die Fähigkeit zur Veränderung, sondern eben um Egoismus – in gesellschaftlicher wie individueller Hinsicht.
  • Das kann man sehr gut auf Kramer selbst übertragen, der sich mit  seiner besonderen Art der Zugehörigkeit zur METHODE und einem gewissen Grad an Grenzüberschreitung eine besondere Machtposition verschafft hat.
  • Spannend ist die Frage, ob er am Ende Sieger oder Verlierer ist, wenn Mia letztlich genauso ausgeschaltet wird wie Winston im Roman „1984“, der letztlich das Ergebnis der Umerziehung zeigt, die Mia noch bevorsteht.

S. 172:

„Ich entziehe einer Gesellschaft das Vertrauen, die aus Menschen besteht und trotzdem auf der Angst vor dem Menschlichen gründet.“

  • Mia verweist hier auf das Paradoxon, den Widerspruch  in der Konzeption dieser Methoden-Gesellschaft. Das besteht darin, dass Menschen glauben, sich über die Menschen bzw. das Menschliche erheben oder auch sich vor ihm absichern zu können, obwohl sie doch selbst Menschen  sind.
  • Das heißt: Sie können sich irren – und auch in dem Punkt, dass sie glauben, sich nicht irren zu können.
  • Moritz hat Recht: Diesen Leuten fehlt das Menschliche im Sinne der kaputten Lampe. Sie entwickeln eine Idee und halten an ihr mit aller Gewalt fest – und das im wortwörtlichen Sinne.
  • Vielleicht hätte Moritz auch gesagt: „Wenn immer Menschen sich zu Übermenschen erheben oder gar zu so etwas wie Gott, sind sie zu Teufeln geworden. Das Glück muss jeder Mensch für sich selbst definieren und versuchen zu erreichen – kein anderer kann das für ihn tun oder entscheiden.“

S. 204:

„Ich stehe für das, was Sie in Wahrheit denken! […] Ich stehe für das, was alle denken! Ich bin das Corpus Delicti, Würmer. Wiederholen Sie Ihre Lügen und sehen Sie mir dabei ins Gesicht.“

Die Erklärung des Zitats haben wir wegen des Umfangs ausgelagert:
https://www.einfach-gezeigt.de/corpus-delicti-mia-selbstbeschreibung

Übergreifende Frage: Was hat es mit der „METHODE“ auf sich?

Zum Schaubild:

  1. Die Methode ist sowohl das Ziel wie auch das Instrument und vor allem die Basis dieser Gesundheitsdiktatur.
  2. Es geht um die Überwindung der Vergangenheit, die nur negativ gesehen wird. Das gesamte abendländische Menschenbild wird abgelehnt bzw. zur Disposition gestellt, d.h. einem angeblich höheren Ziel untergeordnet.
  3. Der alten Konzeption eines Lebens in Fülle – sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne – wird durch ein angeblich schönes, schmerzloses Leben, aber sehr eingeengtes Leben ersetzt.
  4. Die staatlichen Organe und vor allem die Gerichte werden scheinbar normal genutzt, in Wirklichkeit sind sie aber durchsetzt von Vorgaben und Maßnahmen der METHODE, die sich einen eigenen Geheimdienst leistet.
  5. Der Einzelne kann einigermaßen vor sich hin leben, wenn er sich an die Spielregeln hält.
  6. Tut er das nicht, wird er zunächst freundlich ermahnt, dann zunehmend mit Maßnahmen eingeschränkt und gelenkt und schlimmstenfalls auch durch Einfrieren ausgeschaltet. Selbst hier scheut sich dieses System vor Todesurteilen und ersetzt sie durch eine Maßnahme, die im Prinzip fast auf das Gleiche hinausläuft.
  7. Wie sich am Ende zeigt, kann es sich hier auch um eine Schein-Maßnahme handeln, die am Ende doch durch eine intensive Betreuung ersetzt wird, die wohl mit einer Art Gehirnwäsche verbunden ist, wie sie auch Wilson am Ende des Romans „1984“ durchleidet bzw. erfährt.

Inwieweit zeigen sich im Roman Aspekte von „Propaganda“ und „Zersetzung“?

  • „Propaganda“ kommt von einem lateinischen Wort, das zunächst nichts anderes heißt als eine Meinung zu „verbreiten“.
  • In der katholischen Kirche trug die für die Verkündigung der christlichen Lehre deshalb diesen Namen („Congregatio de Propaganda Fide“).
  • Gekennzeichnet ist Propaganda im negativen Sinne durch drei Dinge:
  • Hervorhebung der eigenen Position
  • Diffamierung anderer Positionen
  • Verschweigen, Ausblenden problematischer Punkte, die die eigene Position in Frage stellen (könnten).
  • Propaganda wird dann zum Problem, wenn Gegenmeinungen nicht mehr zugelassen werden.
  • „Zersetzung“ war eine von der Stasi eingesetzte Methode, mit der reale oder vermeintliche Gegner mit allen Mitteln bekämpft werden sollten. Offene Gewalt sollte möglichst vermieden werden – aber Repression kann eben auch darin bestehen, dass man falsche Informationen über jemanden verbreitet und damit seine sozialen Beziehungen zerstört.
  • Bei Kramer bzw. seinen Hintermännern liegen beide Elemente vor.
  • „Propaganda“ kann man in seinen Gesprächen mit Mia aufspüren.
  • „Zersetzung“ wird vor allem im Kapitel „Bedrohung verlangt Wachsamkeit“ sichtbar. Dort werden Behauptungen aufgestellt, die weder belegt werden noch der Realität entsprechen. Ein Beispiel für „Verschweigen“ ist der Hinweis darauf, dass die „konkreten Inhalte der jüngsten Drohung“ einer angeblichen Widerstandsgruppe, „aus methodenschutzrechtlichen Gründen nach wie vor einer Informationssperre“ unterliegen (124).

Wie ist der Schluss des Romans zu bewerten?

  • Letztlich hat das Regime gesiegt.
  • Wieso ist die Begnadigung gut für das Regime?
  • Wenn das Regime Mia eingefroren hätte, hätte es ja damit deutlich gemacht, dass es Angst vor dieser Frau und ihren Gedanken hat. Auch wäre sicherlich Mitleid im Spiel gewesen.
  • Die Begnadigung dagegen löst erst mal eine gewisse Dankbarkeit aus.
  • Das ist wie bei Geiseln: Wenn die nach schlechter Behandlung etwas Erleichterung bekommen oder sogar freigelassen werden, überwiegt die Dankbarkeit.
  • Wieso ist die Resozialisierung schlecht für Mia?
  • Sie läuft doch auf Gehirnwäsche hinaus.
  • Das Gleiche ist doch am Ende mit Winston im Roman 1984 gelaufen – man hat ihn gebrochen und dann umgedreht.
  • Wieso wäre das Einfrieren ein Sieg für Mia und die Oppositione gewesen?
  • Eine Märtyrerin wäre Mia für all die gewesen, die in der Schlussveranstaltung des Prozesses protestiert haben oder all für all die, für die sie ein „Corpus delicti“ gewesen wäre – von Kramer zwar verachtet, wegen der Grundhaltung aber gefürchtet.
  • Kramer hat am Ende seine Schwäche zugeben müssen (Menschen haben kein natürliches Immunsystem mehr) und nur mit Lügen und Betrügen haben seine Bosse Mia besiegt.

Erzählweise des Romans

Wegen des Umfangs haben wir diesen Aspekt auf einer eigenen Seite behandelt:

https://www.einfach-gezeigt.de/corpus-delicti-erz%C3%A4hlweise


„Corpus delicti“ als moderner Roman


Aufbau des Romans – Ähnlichkeit mit einer klassischen Tragödie?


Nihilismus und andere „Ismen“

 

  • Mia kann man insofern als Nihilistin bezeichnen, als sie keine höhere Ordnung wie etwa einen Gott oder Ähnliches anerkennt und somit letztlich alles entsprechend dem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand relativiert.
  • Kramer dagegen ist insofern weitergegangen, als er nicht nur keine höhere Ordnung anerkennt, sondern sich auch der unterwirft, die für ihn am nützlichsten ist. Er ist also ein Opportunist, auch eine Form von Nihilismus.
  • Carpe Diem und ähnliches
  • Diese Lebenseinstellung ist ja vor allen Dingen auch von der Angst vor dem Ende des Lebens bestimmt und passt deshalb so hervorragend zum Barock.
  • Moritz hat aber keine Angst vor dem Tod beziehungsweise behauptet es zumindest einigermaßen überzeugend.
  • Man könnte jetzt mal prüfen, ob er in dieser Hinsicht ein Stoiker ist,
  • in anderer Hinsicht aber eben auch ein Epikuräer, also einer, der das Leben in vollen Zügen genießen will, aber auf eine sehr eigene Weise.
  • Ein bisschen hat Moritz auch etwas von einem Anarchisten, gerade weil er so eine Freude hat an der Verletzung von Regeln, die er nicht einsieht und deshalb auch nicht akzeptiert.
  • Man könnte auch prüfen, inwieweit er ein Liberaler ist, also jemand, der andere auch so sein lässt, wie sie sind, solange sie seine eigene Freiheit nicht gefährden.

Gibt es Berührungspunkte zwischen dem Roman „Corpus delicti“ und den Parabeln Franz Kafkas?

  • In Corpus Delicti ist man auch einem System ausgesetzt, ja ausgeliefert.
  • Der Unterschied liegt darin, dass in dem Roman ja zumindest teilweise Gedanken präsentiert werden, die man nachvollziehen kann.
  • Aber besonders bei der Zusammenstellung von angeblichen Untaten von Mia zeigen sich schon die Zügel einer absurden Realität.
  • Das hätte Kafka sicherlich auch in einer kleinen Erzählung auf seine Art und Weise verarbeiten können.
  • Dabei muss natürlich beachtet werden, dass Kafka Bildgeschichten schreibt, die man dann auf die Situation des Menschen übertragen kann. „Corpus delicti“ ist dagegen eine Dystopie, d.h. ein negativer Zukunftsentwurf, der nicht auf etwas anderes übertragen wird, sondern den man nur als Warnung begreifen kann – in der Hoffnung, dass so etwas oder auch nur etwas Ähnliches wie diese Gesundheitsdiktatur nie Wirklichkeit wird.
  • Auf jeden Fall lohnt es sich, über diese Frage weiter nachzudenken – wir werden es tun 🙂

Bitte etwas Geduld. Wir setzen das bald fort 🙂

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