Lars Krüsand, „Der Trostautomat“ – oder: auch eine Grenze der Künstlichen Intelligenz

Worum es hier geht:

Die folgende Kurzgeschichte ist entstanden, als wir mal wieder über das Verhältnis von KI und MIA (menschlicher Intelligenz in Aktion) nachdachten.

Und wir finden, man kann gut über sie und das dahinterstehende Problem diskutieren.

Auf jeden Fall ist das mal eine andere Herangehensweise an ein sehr aktuelles Thema.

„Ein kleiner Schritt mit dem Krückstock – ein großer für die Menschlichkeit.“ 😉

Lars Krüsand

Der Trostautomat

 

Es war ein Tag wie viele andere. Er hatte mit einem neuen Gedicht angefangen – aber es hakte noch ziemlich mit der poetischen Schönheit. Also nichts wie raus in die freie Natur. Dort war die Chance auf einen klaren Kopf am größten. Der naheliegende Friedhof war für ihn ein Ort der Inspiration. Keine Autos, kaum Menschen, viel Ruhe. Und alle paar Meter eine Bank. Ideal für eine langsam gewordene Lunge und ungeduldige Gedanken.

Gerade hatte er sich auf eine dieser Bänke gesetzt, als er hinter sich eine metallische Stimme vernahm. Nicht laut, aber deutlich:

„Ich sehe, dass Sie Tränen in den Augen haben. Sind das Tränen der Freude oder des Leids?“

Er drehte sich überrascht um. Etwas abseits, hinter einer niedrigen Hecke, saß eine ältere Frau. Vor ihr stand – tatsächlich – ein Roboter. Er war etwa mannshoch, hellgrau und sah aus wie eine Mischung aus Telefonzelle und Haushaltshelfer. Eine dieser neuen Entwicklungen, über die er neulich erst etwas in der Zeitung gelesen hatte: sogenannte Trostroboter. Ein Pilotprojekt auf städtischen Friedhöfen, angeblich auf Wunsch vieler Angehöriger.

„Ja“, sagte die Frau leise, „mein Mann liegt da vorne. Ich vermisse ihn sehr.“

Der Roboter neigte seinen Kopf.

„Das tut mir leid“, sagte er, routiniert. „In der Regel dauert eine intensive Trauerphase nicht länger als ein Jahr. Deshalb nennt man das auch Trauerjahr. Möchten Sie, dass ich Ihnen Vorschläge mache, wie Sie diese Zeit sinnvoll gestalten können?“

Was dann geschah, konnte der Spaziergänger nicht genau sehen – aber er hörte es: ein empörter Laut, ein schepperndes Geräusch, dann ein leises Klirren. Als er aufstand und einen Blick über die Hecke warf, sah er den Roboter auf dem Kies liegen, schräg zur Seite gekippt. Die Frau stand mit erhobenem Krückstock daneben. Offensichtlich hatte sie den richtigen Punkt getroffen.

Sie wirkte erregt, aber auch – wie soll man sagen – befreit. Mit festen Schritten ging sie zum Ausgang.

Der Mann auf der Bank blieb sitzen, sah ihr nach und dachte bei sich:

„Mal sehen, was die Zeitung morgen dazu schreibt.“

Dann fing es an in ihm zu arbeiten: Daraus konnte man doch als Schriftsteller  etwas machen. Er sah schon einen Friedhof vor sich – mit einer eigenen Abteilung für gescheiterte Trostroboter – jene, die es nie über den Status eines Automaten hinausgeschafft hatten.

Entnommen:
Durchblicke bis auf Widerruf – Online-Zeitschrift für Schule und Studium 6/2025

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