Der Nachteil von viel Wissen
Auf der Seite
https://schnell-durchblicken.de/goethe-natur-und-kunst
haben wir das Gedicht
„Natur und Kunst“ von Goethe vorgestellt und es der Klassik zugeordnet.
Nun sind wir von einem Nutzer gefragt worden, ob man das Gedicht nicht auch der Klassik zuordnen könnte.
Schauen wir uns nur auf diesen Aspekt das Gedicht noch mal genauer an:
Goethe
Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen …
- Schon die Überschrift, die der ersten Zeile entspricht deutet Harmonie an.
- Jetzt kommt es darauf an, ob Goethe die beiden Begriffe im Sinne des Sturm und Drang versteht.
- Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
- Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;
- Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
- Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
- Hier wird deutlich, dass Natur und Kunst sich offensichtlich auf das lyrische Ich beziehen, also auf den einzelnen Menschen.
- Es handelt sich also bei der Natur wohl nicht um die tendenziell gottgleiche Natur des Sturm und Drang.
- Und die Kunst ist nichts Allgemeines, sondern etwas Persönliches.
- Man kann hier gut an Goethes eigene Erfahrungen mit der Kunst, also mit Zeichnen und vor allem mit der Schriftstellerei denken.
- Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
- Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
- Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
- Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
- Hier wird immer klar, dass der Naturbegriff hier kaum etwas mit dem der Stürmer und Dränger zu tun hat.
- Denn die hielten nicht viel von Bemühen, denn sie verstanden sich ja als Genies.
- Und wie Thomas Mann jeden Tag einen festen Zeitraum für das Schreiben eines Romans verpflichtend festzulegen – ein Albtraum für den SuD.
- So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:
- Vergebens werden ungebundne Geister
- Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
- Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;
- In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
- Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
- „Ungebundne Geister“, also letztlich auch Genies, die sich die Regeln selbst setzen
vgl. (Möglicher Zusatzpunkt, wenn man das Gedicht zufällig kennt)
https://schnell-durchblicken.de/muendliche-abiturpruefung-thema-lessing-zwischen-aufklaerung-und-sturm-und-drang-lessing-marpurg
werden von Goethe also abgelehnt. - Und dann „Vollendung“, auch wieder ein klares Ziel der Klassik, die Stürmer und Dränger waren ein bisschen schon Romantiker, mehr an der Sehnsucht interessiert und dem Kampf als am Ziel.
- Und „Beschränkung“ und „Gesetz“ – das waren doch alles Dinge, die die Stürmer und Dränger ablehnten.
- Man sieht hier, wie sehr Goethe sich von seinen jungen Jahren (man denke an „Prometheus“ entfernt hat.
https://schnell-durchblicken.de/prometheus-und-das-goettliche-goethe-zwischen-sturm-und-drang-und-klassik
- „Ungebundne Geister“, also letztlich auch Genies, die sich die Regeln selbst setzen
Fazit und die goldenen Regeln des Verstehens von Gedichten
- Vorsicht bei scheinbar sicheren Begriffen.
- Die wahre Bedeutung eines Begriffes in einem Text hängt vom „Kontext“, also dem ab, was drumrum steht und den Begriff näher erklärt.
- Und hier geht es bei „Natur“ nicht um die fast schon göttliche Natur, sondern um das natürliche Talent eines Menschen, seinen Willen, etwas auszuprobieren, was in ihm gewissermaßen „brennt“.
- Vielmehr soll der Mensch als Künstler seine Natur in einen Ausgleich mit den Regeln und Gesetzmäßigkeiten der Kunst bringen – und da wurde natürlich vor allem an die Vorbilder der Antike gedacht.
- Auf jeden Fall ist der Künstler in diesem Gedicht weit von dem „alter deus“ des Sturm und Drang entfernt. Dort fühlten sich die Menschen in der Kunst als Auch-Götter, die aus sich heraus – ohne Beachtung von Regeln – eine künstlerische Schöpfung hervorbringen konnten.
In Goethes „Werther“ heißt es noch:
„Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen, ungefähr was man zum Lobe der bürgerlichen Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln läßt, nie ein unerträglicher Nachbar, nie ein merkwürdiger Bösewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerstören!“
http://www.zeno.org/nid/20004853385
Quelle des Gedichtes von Goethe:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 89-90,121-122.
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