„Nathan der Weise“ – Bausteine für Klausuren und mündliche Prüfungen (Mat8517)

Worum es hier geht:

  • Wir präsentieren hier etwas, was wir uns ursprünglich als „Bausteine für das Abitur“ ausgedacht haben.
  • Es geht darum, zu wichtigen Aspekten von Themen so viel „Content“ zur Verfügung zu stellen, dass man damit möglichst viel erreicht.
  • Wir präsentieren das hier wie in einer mündlichen Prüfung, weil wir damit viel Erfahrung haben.
  • Aber man kann natürlich die inhaltlichen Elemente problemlos auch in Klausuren oder bei der Beantwortung von Lehrerfragen verwenden.
Hinweis auf die Audio-Dateien:

Die folgenden „Bausteine“ werden auch in Audio-Dateien vorgestellt.
Zu finden sind sie auf dieser Seite:
https://schnell-durchblicken.de/audio8517

Bausteine zu Lessings Theaterstück „Nathan der Weise“
  1. Man beginnt meistens allgemein:
    „Worum geht es im Theaterstück Nathan der Weise?“
    Hier eine kurze Antwort:
    Mehr gibt es auf der folgenden Seite:
    https://schnell-durchblicken.de/baustein-lessen-nathan-thema

  2. Ggf. Nebenspur:
    Was versteht man unter dem „Fragmentenstreit“?
    Näheres dazu hier:
    https://schnell-durchblicken.de/baustein-fragmentenstreit-und-nathan-der-weise

    • Nathan = fiktive Variante einer verbotenen Veröffentlichung
    • Lessing = Aufklärer, nutzt „Fragmente“ seines Freundes Reimarus
    • Ziel: Vorherrschaft der Vernunft gegenüber Bibel/Offenbarung
    • Infragestellung der Wunder bis hin zur Gottessohnschaft Christi
    • Führt zu Streit mit Hamburger Hautpastor Goeze -> Publikationsverbot
    • Fazit: Offenbarung interessiert Lessing in „Nathan der Weise“ nicht, nur die Frage, wie man aus Vernunftgründen religiöse Streitigkeiten vermeiden kann.
  3. [Bei einer guten Prüfung, nimmt die Lehrkraft etwas aus der Antwort auf und fragt entsprechend weiter nach.]
    Wie hat Lessing denn dann seine Ansichten in Religionsfragen auf die Bühne gebracht?

    • Er hat sich mit Nathan einen weisen Juden ausgedacht,
    • Dem vom muslimischen Herrscher über Jerusalem in der Zeit der Kreuzzüge die Frage gestellt wird, welche der drei großen Religionen ihn am meisten überzeugt hat.
    • Nathan antwortet die heikle Frage mit einer Parabel, also einer ausgedachten Geschichte, bei der man gewissermaßen hintenrum etwas klarmacht.
    • Und zwar soll sie klarmachen, dass die einzig wahre Religion sich nicht ermitteln lässt, darum sollen alle sich anstrengen, gewissermaßen die Wahrheit ihrer Religion zu zeigen.
    • Konkret bedeutet das, sich „angenehm“ zu machen vor Gott und vor den anderen Menschen.
  4. [Hier könnte die Lehrkraft genauer nachfragen und dann zum Problem der Ring-Geschichte überleiten]
    Was zeigt die Geschichte denn im Einzelnen?

    • Es geht um einen Wunderring, der vor Gott und den Menschen angenehm macht, wenn man fest daran glaubt.
    • Er wird immer an den Sohn vererbt, der dem Vater am liebsten ist.
    • Das Problem entsteht, als ein Vater jedem seiner drei Söhne einen Ring (darunter natürlich dann zwei Kopien) gibt.
    • Sie geraten nach dem Tod des Vaters in Streit und müssen sich von einem Richter anhören, sie sollten sich anstrengen, dann würde sich herausstellen, welcher der Ringe am meisten Gutes bewirkt.
    • Der Sultan ist sehr zufrieden, wahrscheinlich weil er so eine Möglichkeit sieht, die zum Teil kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Religionen verschwinden zu lassen. Stattdessen verhalten sich alle Untertanen anständiger – für jeden Herrscher eine angenehme Vorstellung.
    • Verzweigungsmöglichkeit
      „Der Richter verweist ja die drei Söhne auf die Notwendigkeit eines Tests der Ringe, auch wenn er tausend Jahre dauert – inwieweit passt das zu Lessings Wahrheitsbegriff?“

      • Antwort: In einem berühmten Zitat spricht Lessing davon, dass er von Gott keine endgültigen Wahrheiten haben möchte.
      • Wichtiger ist ihm das ständige Streben danach,
      • selbst wenn am Ende Erfolglosigkeit steht.
      • Denn nur so werde der Mensch vor Trägheit und Stolz bewahrt.
      • In gewisser Weise ist das die 2. Stufe von Kants Antwort auf die Frage: „Was ist Aufklärung?“
        Kant = Wahrheitssuche ohne fremde Anleitung
        Lessing = immer auf der Suche bleiben, also das Gefundene infragestellen.
        Näheres dazu findet sich hier:
        https://schnell-durchblicken.de/lessing-ueber-die-wahrheit
  5. [Hier könnte man den Vergleich mit der Vorlage zur Ringparabel einschieben:]
    Nun gibt es ja zur Ringparabel auch eine alte Vorlage. Was fällt beim Vergleich auf?

    • Es gibt eine Art Ober-Erzählerin, die wie viele andere eine Geschichte zur Unterhaltung beiträgt.
    • Erst dann ist die Rede von dem Juden, der von Saladin eine ähnlich heikle Frage gestellt bekommt wie Nathan.
    • Der hat dann gleich die Idee mit der Ring-Geschichte, also keine Bedenkzeit, kein Monolog.
    • Dem Ring fehlt die Wunderwirkung, er ist nur eine Art Testament-Ersatz: Wer den Ring hat, ist das neue Oberhaupt der Familie.
    • Nur am Rande werden notwendige Qualifikationen erwähnt.
    • Statt den Sultan selbst drauf kommen zu lassen
    • und dann noch den Richter einzubauen,
    • gibt es in der alten Variante nur die Selbsterklärung des Juden.
    • Der Rest ist dann identisch.
    • Insgesamt hat Lessing die Geschichte ausgebaut,
      • vor allem im Hinblick auf Wunderwirkung und die entsprechende Zuversicht.
      • Und er hat den Sultan selbst drauf kommen lassen und
      • durch die Richtergeschichte die Wirkung stark erhöht.
  6. [Jetzt liegt es nahe nachzufragen, inwieweit die Hoffnung des Sultans größer ist als die Realisierungschance.]
    Wie ist denn nun diese Hoffnung des Sultans einzuschätzen?

    • Die Idee ist grundsätzlich natürlich gut, dass jeder Religionsangehörige sich darum bemüht, seine eigene Religion besonders positiv aussehen zu lassen.
    • Das zentrale Problem besteht allerdings darin, dass die eigentlich wichtigste Wirkung des Wunderrings nicht diskutiert wird, nämlich angenehm vor Gott zu werden.
    • Lessing musste als evangelischer Christ eigentlich wissen, dass Luther aus lauter Verzweiflung den Prozess hin zur Reformation eingeleitet hat. Ihm ging es nur um die Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ – Das ist seine Vorstellung von: sich Gott angenehm zu machen.
    • In dieser Frage unterscheiden sich die drei großen Religionen natürlich fundamental – entsprechend ihren jeweiligen Heiligen Schriften und den Glaubensbekenntnissen.
  7. [An dieser Stelle könnte die Lehrkraft dazu übergehen, das Stück als wertvolle Schullektüre zu retten.]
    Hat Lessings Theaterstück denn nun überhaupt nichts zu bieten, was für ein besseres Verhältnis der Religionen zueinander sorgen kann?

    • Durchaus, aber das wird zu wenig beachtet, weil es von Lessing zwischen den beiden Erzählerabschnitten der Ringparabel eingeschoben wird.
    • Da unterhalten sich nämlich der Sultan und Lessing darüber, ob es nicht ganz natürlich sei, dass jeder in der Religion bleibt, in die er hineingeboren und in der er aufgewachsen ist.
    • Diese Stelle passt übrigens auch zu der fünften Szene des zweiten Aktes. Dort ist der Tempelherr bereit, seine ganze Abneigung und seine Vorurteile gegenüber einem Juden aufzugeben.
    • Die gemeinsame Basis ist auch hier, dass keiner der beiden etwas dafür kann, in eine bestimmte Religion hineingeboren worden zu sein. Es komme allein darauf an, dass man zu den guten Menschen gehöre, die es überall gebe.
    • Und das könnte natürlich eine Basis sein, mit der die Angehörigen der verschiedenen Religionen leben können.
  8. [Eine gute Lehrkraft fragt hier natürlich noch mal nach]
    Gibt es denn da auch Probleme?

    • Wer sich mit dem Christentum auskennt, der weiß, dass es da ursprünglich ein sogenanntes Missionsgebot gab.
    • D.h. die Christen werden im Neuen Testament aufgefordert, alle Menschen in der Welt zu bekehren
    • Das ist bedauerlicherweise vor allen Dingen im Mittelalter und der frühen Neuzeit auch mit Gewalt gemacht worden, man denke an die Spanier im späteren Lateinamerika.
    • Heute gibt es diese offensive Missionierung im Christentum eigentlich kaum noch.
    • Auf der Seite des Islam gibt es zwar kein direktes Missionsgebot, aber die Vorstellung, dass die ganze Welt, den einigen (einzigen und alles beherrschenden) Gott anerkennt. Allah soll gewissermaßen über die ganze Welt herrschen, weil ihm das als Schöpfer zukommt.
    • Dementsprechend gibt es ja auch im Islam nur ein eingeschränktes Recht für die Angehörigen der beiden anderen Buchreligionen. Sie werden geduldet, müssen sich aber zurückhalten und eine Zusatzsteuer zahlen.
    • Außerdem besteht immer die Gefahr, dass religiöse Führer wie zum Beispiel der Patriarch im Drama Religionsfragen für Machtfragen nutzen und dann Leute aufhetzen.
  9. [Damit ist die Religionsfrage genügend abgehandelt – jetzt kann die Prüfung zur Aufklärung übergehen.]
    Nathan wird ja im Titel des Theaterstücks als Weise bezeichnet. Inwieweit wird das im Stück auch realisiert oder gibt es da Einwände?

    • Tatsächlich gibt es Einwände, und der erste deutet sich ja bereits gleich am Anfang an:
      Nathan hat das ihm übergebene Christenkind weder über seine Herkunft aufgeklärt noch es in seiner Religion belassen. Das verstößt natürlich gegen die Vorstellung von Menschenrechten in der Aufklärungszeit.
    • Stattdessen ist Recha im jüdischen Glauben aufgezogen worden und außerdem voll auf ihren Vater fixiert.
    • Das zeigt sich so ganz nebenbei an einer Stelle im Gespräch mit Sitha. Dort erzählt Rächer nämlich einfach so, dass ihr Vater, also in dem Falle, Nathan, Bücher nicht so gut fand, sondern alles selbst erzählen wollte.
    • Das ist wahrscheinlich gut gemeint, widerspricht aber natürlich völlig dem, was Kant als Wesen der Aufklärung bezeichnet hat.
    • Außerdem bemüht Nathan sich nicht sehr darum, die Wahrheit und die Realisierung der Ringparabel im Gespräch mit dem Sultans zu überprüfen.
    • Denn wenn er wirklich weise ist, wird es ihm nicht nur darum gehen, aus der Fragenummer irgendwie rauszukommen. Vielmehr wird er versuchen, mit dem Sultan auf die noch offenen Fragen (siehe oben) anzugehen.
  10. [Um zum Schluss dieses Prüfungsteils zu kommen, könnte man eine abschließende Einschätzungsfrage stellen:]
    Wie könnte man denn zusammenfassend die Bedeutung von Lessings Theaterstück beschreiben?

    • Grundsätzlich ist es gut, dass Lessing ein Theaterstück geschrieben und hinterlassen hat, das wegführt von den fundamentalen Auseinandersetzungen über Glaubensbekenntnisse.
    • Stattdessen wird angemahnt, möglichst positive Folgen der eigenen Religionsüberzeugung zu zeigen.
    • Die Frage, wie man als einzelner Mensch dann auch „angenehm“ vor Gott wird, muss sowieso jeder Mensch für sich beantworten.
    • Darüber hinaus bietet das Theaterstück einige Szenenelemente, in denen sehr gut der Zufall der Geburt und der Sozialisation hervorgehoben wird.
    • Die Religionsfrage wird damit rückblickende zu einer Schicksalsfrage, die den einen zum Christen, den anderen zum Muslim oder Juden gemacht hat – oder auch zum Angehörigen einer ganz anderen Religion.
    • Entscheidend ist am Ende, dass man die Gottesfrage im einzelnen für sich selbst löst und ansonsten tolerant ist, d.h. auch andere Überzeugungen „duldet“ und sich auf das gemeinsame Menschsein konzentriert.

Ergänzungen

Was das Drama „Nathan der Weise“ wirklich wertvoll macht
  • 1. Lars Krüsand weist zunächst darauf hin, wie wichtig es ist, die Oberflächen-Aussagen im  Drama zu überprüfen. Er zeigt auf, dass das literarische Werk „Nathan der Weise“ mehr  enthält, als Lessing betonen wollte.
  • 2. Dabei stellt sich heraus, dass die Ringparabel viel zu wenig auf den „Offenbarungscharakter“  der großen Religionen eingeht. Sie beziehen sich auf Bereiche jenseits der menschlichen Vernunft. Der Aspekt „angenehm vor Gott“ wird von allen Religionen sehr unterschiedlich
    ausgelegt.
  • 3. Der scheinbar so wichtige Richter am Schluss beschäftigt sich vor allem mit dem „angenehm  vor Menschen“ werden.
  • 4. Das hilft Nathan, aus der gefährlichen Fragenummer gut rauszukommen – und der Sultan  freut sich sicher auch über eine scheinbar einfache Lösung der Frage seiner Schwester.
  • 5. Neben der Scheinlösung der Ringparabel gibt es aber auch den Mittelteil, der etwas anderes  hervorhebt, nämlich die Einbindung eines jeden Menschen in seinen sozialen und kulturellen
    Erziehungskontext. Der kann auch die Bindung an eine Religion bedeuten – und diese  Schicksals-Konstellation sollte Verständnis und Toleranz ermöglichen.
Die „Dialektik der Aufklärung“ als Erklärung des Scheiterns ihrer Hoffnungen
  • 1. Auf der Flucht vor den Nazis haben die beiden Philosophen Adorno und Horkheimer noch während des II. Weltkrieges auf ein Grundproblem der Aufklärung hingewiesen, das ihr Scheitern erklären kann.

    2. Für sie sorgte die Aufklärung des 18. Jahrhunderts für das Ende der Herrschaft der Natur über den Menschen und ermöglichte in der Industrialisierung dann die Herrschaft über die Natur.

  • 3. Zugleich schuf sie mit ihrer „instrumentellen Vernunft“ nach der Überwindung der alten Mythen neue, nämlich die von Wissenschaft und Technik. Nach der Natur wurden auch die Menschen immer mehr zu Objekten.
  • 4. Damit habe sich ein Selbstzerstörungsprozess der westlichen Zivilisation in Gang gesetzt, der nach Imperialismus und Erstem Weltkrieg schließlich die totalitären Diktaturen von Faschismus und Stalinismus ermöglicht habe – einschließlich der industriellen Vernichtung von Menschenmassen.
  • 5. Die beiden Autoren wollten dem eine kritische Theorie entgegensetzen, die sich vor allem gegen die bürgerliche und schließlich kapitalistische Gesellschaft richtete. Ziel war eine vernünftige Gesellschaft mündiger Bürger. Hier wird deutlich, dass dieser Ansatz die gleichen Probleme bekommt wie die „Erziehung des Menschengeschlechts“ Lessings. Es schließt sich ein Kreis, bei dem die anthropologischen Gegebenheiten der Menschheit nicht berücksichtigt werden (Was hindert die Menschen daran, einfach nur gut zu sein?)

Weitere Infos, Tipps und Materialien