Arno Geiger, „Unter der Drachenwand“ – Kap 27-28 – Analyse und Lektüretipps (Mat2786-27-28)

Arno Geiger, „Unter der Drachenwand“ – Analyse der Kapitel und Lektüretipps

  • 27: EB295: Es sind vom Eichbaumeck
    • Hier wird es für den Leser wieder besonders ärgerlich – denn nicht nur braucht man lange, bis man begreift, dass Margots Mutter mal wieder schreibt.
    • Dazu kommt, dass man das alles eigentlich schon weiß: Darmstadt ist durch Bombenangriffe zerstört, es wird immer schwieriger, sich Lebensmittel zu besorgen – und sie hätte ganz gerne ihre Töchter bei sich.
    • Dass ihr Mann inzwischen seine Gedanken über den Krieg geändert hat, zeigt nur einen Rest an Verstand.
    • Und dass sie ungern zur Kenntnis nimmt, dass ihre Tochter ihren Mann nicht liebt, ist auch nicht verwunderlich, ebenso wenig wie der Ratschlag, sie sollte sich nicht mit einem anderen Mann einlassen.
      Hier zeigt sich doch ein recht großes Problem dieses Romans, nämlich seine geringe Zielstrebigkeit und sein zeitweiliger Verzicht darauf, den Leser wirklich noch zu überraschen.
    • Anregung: Aber vielleicht irren wir uns ja auch mit dieser Einschätzung – dann wäre es doch eine spannende Aufgabe, zu beweisen, dass dieses Kapitel durchaus eine wichtige Funktion hat – für den Leser, denn um den geht es ja.
    • Eine Textstelle, die einen sehr nachdenklich stimmen kann, ist auf EB297 zu finden. Wenn man das einfach nur von der menschlichen Seite her nimmt, ist das ein Beispiel für eine Variante des ungeheuren Leidens, das mit Krieg verbunden ist – ganz gleich, wer ihn gegen wen führt:
    • „Vorgestern hat sich ein Soldat, der eingekesselt war und jetzt aus Russland kam, erschossen.
    • Am Bahnhof habe er sich noch gefreut, dass er mal endlich wieder daheim war, er habe gedacht, bombengeschädigt betreffe nur das Haus.
    • Da hat es ihn hart getroffen, als er erfuhr, dass seine Frau und drei Kinder schon bald acht Wochen begraben sind.“

    28: EB306ff: Die Sache ging sehr rasch

    • Jetzt ist Kurt mal wieder dran und hat seinem Freund Ferdl mehrere geschrieben, eine der Figuren, die wie immer bei diesem Autor nicht näher abgegrenzt und vorgestellt werden.
    • Er ist zum Volkssturm eingezogen worden, in dem sehr junge und schon ziemlich alte Männer auch noch Kriegsdienst tun müssen.
    • Lektüretipp EB308: Wie man beim Militär „geschliffen“ wird:
    • Von EB308: „Und die lassen uns was anschauen“
    • Bis EB308: „Aber fragt mich jemand?“
    • Besonders beeindruckend die beiden Stellen:
    • „Exerzieren! Schnauze in den Dreck! Wie Minensucher fahren wir mit der Nase über den Boden. Wenn da einer kein gutes Herz hat, steht er nicht mehr auf. „
    • „Gestern mussten wir in der einen Stunde Mittagszeit zehn Mal den Dienstplan abschreiben, weil wir ihn nicht genau gekannt hatten. Wie denen zumute ist, die erst von der Front zurückge- kommen sind und in der Ruhestellung liegen, kannst du dir den- ken. Sie sagen, sie hätten noch vor drei Tagen Menschen sterben gesehen, und jetzt würden sie zu derlei Schreibarbeiten genötigt. „
    • Ein schönes Beispiel für poetisches Schreiben findet sich auf EB307
      “ Ein ganz eigenartiges Gefühl überkommt einen, wie man es vor- her nicht gekannt hat: Einmal wieder draußen zu sein, außerhalb des Kasernengeländes, ohne Kommandos brüllende Aufsicht. Die Donau ist sechshundert Meter von der Kaserne entfernt, der Wind kommt hier immer von vorn. An den Hängen des Brauns- berges vergilben die Wälder, und vor der Stadt rosten die Ebenen. Es ist richtig Herbst geworden, und der Wind bläst die Distelsa- men über die Wiesen, und die Donau führt ihr grünes Wasser Richtung Front. Der Himmel ist manchmal wie durchsichtig, das Herbstlicht wie ausgelaugt, so dünn, Ferdl, dass man glaubt, die Vögel fallen herunter. / Und auch die Gedanken ziehen vorüber, und ich blicke hoch. und der Mund steht mir offen. und ich denke, wie kann ich so vor mich hinleben, wenn am Himmel die Gedanken vorbeifahren, und ich weiß nicht, wo Nanni ist.“
    • Wieviel ihm Nanni und der Beginn ihrer Beziehung bedeutet, wird auf EB307 deutlich:
      „Ich weiß nicht mehr, was wir geredet haben, aber ich weiß noch, wie ich mich gefühlt habe, so leicht und glücklich, als wäre ich im Leben angekommen, nicht wie sonst immer, wenn ich mir dachte, das gibt mir ein Vorgefühl auf das Eigentliche.“
    • EB313: Nanni als „freches Mädchen“
      „Einmal habe ich Nanni darauf angesprochen, dass sie ein ziemlich freches Mädchen ist, ich glaube, ich dachte in dem Moment daran, wie sie sich auf der Mariahilferstraße bei mir eingehängt hatte. Daraufhin meinte sie ganz begeistert in ihrer ungestümen Art: Ja, tatsächlich, ich muss mich immer zusammenreißen.“
    • Man wird hier erinnert an den Titel des Buches: „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin. Warum Bravsein uns nicht weiterbringt.“
      Vielleicht lohnt sich hier eine Buchvorstellung.

      Man kann auch eine Verbindung herstellen mit dem Satz auf EB310:
      „Erwachsen sein heißt ja vor allem, dass man gelernt hat, sich zu beherrschen.“
    • Im ersten Brief weiß er noch nicht, dass seine Freundin Nanni tot ist, das ändert sich später und entsprechend verzweifelt ist er.
    • Ansonsten bekommt Kurt auch all die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten in dieser Kriegssituation zu spüren, verstärkt noch durch unnötigen militärischen Drill.
    • EB313: Die Begegnung mit Veit, der ihm Nannis Briefe übergibt, aus der Sicht von Kurt.
    • EB316: Ein Bild des Grauens, was den Krieg angeht, aus der Sicht von Kurt:
      „Seit Tagen tobt in unserem Raum eine furchtbare Schlacht. In der Nacht ist der Himmel blutrot gefärbt. Seit drei Tagen trommelt die Artillerie ununterbrochen. Die armen Leute vorne im Graben. Wir liegen in dem Dorf, in dem sich der Hauptverbandplatz befindet. Zu Fuß, auf Karren und Autos kommen die Verwundeten an. Das geht Tag und Nacht. Ein Bild des Grauens. Diese Bilder werde ich nie vergessen. / Donnerstagvormittag war ich mit einigen anderen vorne in einem Dorf, am Abend saß bereits der Russe drin. Eines der indischen Sprichwörter in Papas Sprichwörterbuch kommt mir jetzt öfters in den Sinn: Wer auf die Jagd nach einem, Tiger geht, muss damit rechnen, auf einen Tiger zu treffen.“
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