Wie findet man passende Gedichte zum Vergleich: Romantik-Expressionismus? (Mat1786)

Worum es hier geht:

Zusammenstellung von Gedichten, die sich für einen Vergleich zwischen Expressionismus und Romantik eignen – dazu grundsätzliche Überlegungen zu der methodischen Herausforderung

Übersicht über die Gedicht-Pärchen (ggf. direkt mit dem Suchfenster „anspringen“
Die Texte finden sich weiter unten.
  1. Oskar Kanehl, Sonnenuntergang
    Ein Abend wird verwendet, um ein apokalyptisches Szenario zu entwerfen.
    Clemens Brentano, Wenn die Sonne weggegangen
    Aus der Vorstellung eines Abends wird eine Klage über das Ende einer Liebe.
    https://textaussage.de/vergleich-kanehl-sonnenuntergang-und-brentano-wenn-die-sonne
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  2. Georg Trakl, Im Winter
    Ein Wintertag wird für eine blutige Jagd genutzt.
    Joseph von Eichendorff, Winternacht
    Das Leiden an der Kälte des Winters wird zur Vorfreude auf den kommenden Frühling.
    https://textaussage.de/vergleich-trakl-im-winter-und-eichendorff-winternacht
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  3. René Schickele, Mondaufgang
    Warten auf einen Mond, der vom falschen Leben des Tages befreit und Klarheit schafft und Zuversicht. Gerade bei diesem Gedicht ist es interessant nach den Gemeinsamkeiten und den Unterschied zur Romantik zu suchen.

    Joseph von Eichendorff,  Mondnacht
    Sehr poetische Beschreibung einer „Mondnacht“, die auch starke Sehnsuchtsgefühle im Lyrischen Ich auslöst.
    https://textaussage.de/vergleich-schickele-mondaufgang-und-eichendorff-mondnacht
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  4. Georg Heym, Die Stadt
    Scheinbar romantische Ausgangsstimmung wird dann großstadtkritisch abgewandelt, ergänzt um ein Gefühl der Sinnlosigkeit in Erwartung existenzieller Bedrohung
    Joseph von Eichendorff, In Danzig
    Gespenstischer Abendeindruck wird durch Mondlicht aufgehellt, endet in Fürbitte für die, die das auf dem von weitem zu hörenden Meer unterwegs sind.
    https://textaussage.de/gedichtvergleich-heym-die-stadt-eichendorff-in-danzig
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  5. Georg Heym, Die Irren
    Negative Darstellung der Situation und Behandlung geistig Kranker, was in einer Bluttat und in einem sehr problematischen abschließenden Tiervergleich endet.
    https://textaussage.de/schnell-durchblicken-heym-die-irren
    Joseph von Eichendorff, Der irre Spielmann
    Selbstkritik des Lyrischen Ichs, das durch Übermut die äußere und innere Heimat verloren hat, gestaltet als Warnung an die nächste Generation.
    http://schnell-durchblicken2.de/eichendorff-der-irre-spielmann
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  6. Ernst Wilhelm Lotz, Hart stoßen sich die Wände in den Straßen (1913)
    Negative Sicht auf die Stadt, Gefühl des Krankseins bei der Jugend, Sehnsucht nach Ferne und Warten auf den richtigen Augenblick
    https://www.schnell-durchblicken2.de/thema-formulierung
    Joseph von Eichendorff, Sehnsucht (1834)
    Typische Situation einer Sehnsucht, die letztlich am Fenster bleibt und sich nur in mögliche Zielorte hineinträumt.
    https://textaussage.de/schnell-durchblicken-eichendorff-sehnsucht
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  7. Jakob van Hoddis, Morgens
    Stark von Industrialisierung geprägte Beschreibung eines Morgens, die dann das aus der Perspektive des Lyrischen Ichs verhinderte Liebesleben der Mädchen beklagt und in einer Sehnsucht nach Natur endet.
    Joseph von Eichendorff, Morgendämmerung
    Beschreibung einer Erwartungssituation sowohl bei der Tierwelt als auch beim Lyrischen Ich.—————————————————————–
  8. Alfred Wolfenstein, Nacht in der Sommerfrische
    Ein fast schon satirisch-selbstkritisch anmutendes Bekenntnis eines Expressionisten zur Großstadt mit all ihren Problemen, nachdem er im Urlaub die Realität des natürlichen Landlebens kennengelernt hat.
    Joseph von Eichendorff, Nachts
    Demgegenüber der Romantiker, der erst in der Nacht und in der Natur richtig auflebt, auch wenn ein „leis Schauern“ und ein „irres Singen“ damit verbunden sind.  Letztlich ist und bleibt es ein „Rufen nur aus Träumen“.
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    Dagegen aber:

    Morgenstern, Christian, „Berlin“
    https://wvm.schnell-durchblicken3.de/morgenstern-christian-berlin/

  9. Else Lasker-Schüler, Weltende
    Eine sich unspektakulär gebende, deshalb aber nicht weniger eindrucksvolle Vorstellung eines Weltendes, das vor allem das Innere der Menschen trifft, sie deshalb auch in enge Gemeinschaft fliehen lässt, die aber die „Sehnsucht“ nicht aufheben kann, „an der wir sterben müssen.“
    Joseph von Eichendorff, Mondnacht
    Demgegenüber die Harmonie von Himmel und Erde als Basis für eine Seele, die sich aufspannen und fliegen kann – zumindest in der Ahnung eines Nach-hause-Kommens.
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  10. Günderrode, Vorzeit und neue Zeit
    Eine Abrechnung mit der Aufklärung und ihren Folgen aus religiöser Sicht.
    Heym, Der Gott der Stadt
    Demgegenüber eine säkularisierte Vorstellung eines Gottes, der nur noch eine Bedrohung darstellt für die Menschen, ganz gleich wieviel Mühe sie sich ihm gegenüber noch geben.
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  11. Paul Zech, „Im Dämmer“, 1911
    Eine typische Industrielandschaft und -atmosphäre, in der Menschen nur noch Arbeitssklaven sind und sich die Jugend höchstens noch mit Alkohol trösten kann.
    Joseph von Eichendorff, Abschied (1837)
    Demgegenüber die Gewissheit des gläubigen Menschen, dass am Ende des Tages der Herr im Himmel schon für eine gute Nacht sorgen wird.
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  12. Alfred Lichtenstein, „Die Dämmerung“
    Eine Ansammlung von Elementen einer unschönen, verrückten Welt, die man endlos so fortsetzen könnte.
    Joseph von Eichendorff, Abschied (1837)
    Demgegenüber die Gewissheit des gläubigen Menschen, dass am Ende des Tages der Herr im Himmel schon für eine gute Nacht sorgen wird.
    Hierzu gibt es auch eine Website mit dem Hinweis auf ein Video:
    https://www.einfach-gezeigt.de/vergleich-lichtenstein-d%C3%A4mmerung-eichendorff-abschied-abendlich
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  13. Paul Boldt, „In der Welt“
    Das Gedicht steht für das, was man als „Ich-Verlust“ bezeichnet, nämlich ein „Gesicht“, das nicht mehr bei sich sein kann – in einer düsteren Umwelt, aus der man sich gewissermaßen selbst zuwinkt. Am Ende besteht das Lyrische Ich nur noch aus Furcht und Weinen.
    Joseph von Eichendorff, „Der Einsiedler“
    Demgegenüber ein Lyrisches Ich, das sich in einem größeren Zusammenhang geborgen fühlen kann. So kann man auch die Einsamkeit genießen und vor allem Ruhe finden.
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  14. Eichendorff, „Das zerbrochene Ringlein“ und Werfel, „Blick-Begegnung“
    Ein eher traditionell im Lied-Stil erzählter Liebesverlust im Vergleich zu einem zunächst wild-ekstatischen, dann aber matt verschwindenden Liebeserlebnis
    https://wvm.schnell-durchblicken3.de/vergleich-eichendorff-ringlein-werfel-blick-begegnung/
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  15. Franz Werfel, „Der rechte Weg“ und Eichendorff, „Nachts“ oder auch Eichendorff, „Nachtzauber“
    https://textaussage.de/franz-werfel-der-rechte-weg
  16. Hier erst mal nur als Tipp:
    Trakl, „Der Wanderer“
    https://www.einfach-gezeigt.de/trakl-wanderer
    und
    Eichendorff, „Der verspätete Wanderer“
    https://www.einfach-gezeigt.de/eichendorff-der-versp%C3%A4tete-wanderer

Oskar Kanehl, Sonnenuntergang
Ein Abend wird verwendet, um ein apokalyptisches Szenario zu entwerfen.
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Oskar Kanehl

Sonnenuntergang

01: Die letzten weißen Wolkenflotten fliehen.
02: Der Tag hat ausgekämpft
03: über dem Meer.
04: Wie eine rote Blutlache liegt es,
05: in der das Land wie Leichen schwimmt.
06: Vom Himmel tropft ein Eiter, Mond.
07: Es wacht kein Gott.
08: In Höhlen ausgestochner Sternenaugen
09: hockt dunkler Tod.
10: Und ist kein Licht.
11: Und alles Tier schreit wie am Jüngsten Tag.
12: Und Menschen brechen um

13: am Ufer.
Hinweise zur Analyse der Gedichte und zum Vergleich gibt es in dem E-Book:

Georg Trakl, Im Winter
Ein Wintertag wird für eine blutige Jagd genutzt.
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Georg Trakl

Im Winter

01: Der Acker leuchtet weiß und kalt.
02: Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
03: Dohlen kreisen über dem Weiher
04: Und Jäger steigen nieder vom Wald.

05: Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
06: Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
07: Bisweilen schnellt sehr fern ein Schlitten
08: Und langsam steigt der graue Mond.

09: Ein Wild verblutet sanft am Rain
10: Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
11: Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.

12: Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

René Schickele „Mondaufgang“

Warten auf einen Mond, der vom falschen Leben des Tages befreit und Klarheit schafft und Zuversicht. Gerade bei diesem Gedicht ist es interessant nach den Gemeinsamkeiten und den Unterschied zur Romantik zu suchen.

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René Schickele

Mondaufgang

01: Verschüttet Herz, du Mond noch nicht im Klaren,
02: brich durch, das letzte Licht erlosch im Abendwind …
03: Bald werden alle meine Gedanken, die Verdammte waren,
04: strahlen, weil sie schwebend und einsam sind.

05: Nie mehr vor fremden Seelen betteln gehn!
06: Nie mehr um die Erfüllung werben!
07: Nicht mehr mit jeder Sehnsucht sterben
08: und falschen Herzens auferstehn.

09: Gefäß der Zuversicht, du Mond im Klaren …
10: Die Welt verlor den Glanz im Abendwind.
11: Es kam die Nacht. Nun strahlen, die erblasste Sklaven waren,
12: die Gedanken, weil sie über Meer und Erde mächtig sind.


Clemens Brentano, Wenn die Sonne weggegangen
Aus der Vorstellung eines Abends wird eine Klage über das Ende einer Liebe.
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Clemens Brentano

Wenn die Sonne weggegangen,

01: Wenn die Sonne weggegangen,
02: Kömmt die Dunkelheit heran,
03: Abendrot hat goldne Wangen,
04: Und die Nacht hat Trauer an.

05: Seit die Liebe weggegangen,
06: Bin ich nun ein Mohrenkind,
07: Und die roten, frohen Wangen,
08: Dunkel und verloren sind.

09: Dunkelheit muss tief verschweigen,
10: Alles Wehe, alle Lust,
11: Aber Mond und Sterne zeigen,
12: Was ihr wohnet in der Brust.

13: Wenn die Lippen dir verschweigen
14: Meines Herzens stille Glut,
15: Müssen Blick und Tränen zeigen,
16: Wie die Liebe nimmer ruht.


Joseph von Eichendorff, Winternacht
Das Leiden an der Kälte des Winters wird zur Vorfreude auf den kommenden Frühling.
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Joseph von Eichendorff

Winternacht

01: Verschneit liegt rings die ganze Welt,
02: ich hab‘ nichts, was mich freuet,
03: verlassen steht der Baum im Feld,
04: hat längst sein Laub verstreuet.

05: Der Wind nur geht bei stiller Nacht
06: und rüttelt an dem Baume,
07: da rührt er seinen Wipfel sacht
08: und redet wie im Traume.

09: Er träumt von künft’ger Frühlingszeit,
10: von Grün und Quellenrauschen,
11: wo er im neuen Blütenkleid

12: zu Gottes Lob wird rauschen.

Joseph von Eichendorff, Mondnacht
Sehr poetische Beschreibung einer „Mondnacht“, die auch starke Sehnsuchtsgefühle im Lyrischen Ich auslöst.
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Joseph von Eichendorff


Mondnacht

01: Es war, als hätt der Himmel
02: Die Erde still geküsst,
03: Dass sie im Blütenschimmer
04: Von ihm nun träumen müsst.

05: Die Luft ging durch die Felder,
06: Die Ähren wogten sacht,
07: Es rauschten leis die Wälder,
08: So sternklar war die Nacht.

09: Und meine Seele spannte
10: Weit ihre Flügel aus,
11: Flog durch die stillen Lande,

12: Als flöge sie nach Haus.

Georg Heym, Die Stadt
Scheinbar romantische Ausgangsstimmung wird dann großstadtkritisch abgewandelt, ergänzt um ein Gefühl der Sinnlosigkeit in Erwartung existenzieller Bedrohung
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Georg Heym

Die Stadt

Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
Zerreißet vor des Mondes Untergang.
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.

Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,

Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
Eintönig kommt heraus in Stille matt.

Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,

Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.

Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,

Die drohn im Weiten mit gezückter Hand

Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.

Joseph von Eichendorff, In Danzig
Gespenstischer Abendeindruck wird durch Mondlicht aufgehellt, endet in Fürbitte für die, die das auf dem von weitem zu hörenden Meer unterwegs sind.
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Joseph von Eichendorff

In Danzig

Dunkle Giebel, hohe Fenster,
Türme wie aus Nebel sehn.
Bleiche Statuen wie Gespenster
Lautlos an den Türen stehn.

Träumerisch der Mond drauf scheinet,
Dem die Stadt gar wohl gefällt,
Als läg‘ zauberhaft versteinet
Drunten eine Märchenwelt.

Ringsher durch das tiefe Lauschen,
Über alle Häuser weit,
Nur des Meeres fernes Rauschen.
Wunderbare Einsamkeit!

Und der Türmer wie vor Jahren
singet ein uraltes Lied:
Wolle Gott den Schiffer wahren,
Der bei Nacht vorüberzieht.


Georg Heym, Die Irren
Negative Darstellung der Situation und Behandlung geistig Kranker, was in einer Bluttat und in einem sehr problematischen abschließenden Tiervergleich endet.
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Georg Heym,
 
Die Irren

01: Der Mond tritt aus der gelben Wolkenwand.
02: Die Irren hängen an den Gitterstäben,
03: Wie große Spinnen, die an Mauern kleben.
04: Entlang den Gartenzaun fährt ihre Hand.

05: In offnen Sälen sieht man Tänzer schweben.
06: Der Ball der Irren ist es. Plötzlich schreit
07: Der Wahnsinn auf. Das Brüllen pflanzt sich weit,
08: Daß alle Mauern von dem Lärme beben.

09: Mit dem er eben über Hume gesprochen,
10: Den Arzt ergreift ein Irrer mit Gewalt.
11: Er liegt im Blut. Sein Schädel ist zebrochen.

12: Der Haufe Irrer schaut vergnügt. Doch bald
13: Enthuschen sie, da fern die Peitsche knallt,

14: Den Mäusen gleich, die in die Erde krochen.

Joseph von Eichendorff, Der irre Spielmann
Selbstkritik des Lyrischen Ichs, das durch Übermut die äußere und innere Heimat verloren hat, gestaltet als Warnung an die nächste Generation.
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Joseph von Eichendorff

Der irre Spielmann

Aus stiller Kindheit unschuldiger Hut
Trieb mich der tolle, frevelnde Mut.
Seit ich da draußen so frei nun bin,
Find ich nicht wieder nach Hause mich hin.

Durchs Leben jag ich manch trügrisch Bild,
Wer ist der Jäger da? Wer ist das Wild?
Es pfeift der Wind mir schneidend durchs Haar,
Ach Welt, wie bist du so kalt und klar!

Du frommes Kindlein im stillen Haus,
Schau nicht so lüstern zum Fenster hinaus!
Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin?
Weiß ich doch selber nicht, wo ich bin!

Von Sünde und Reue zerrissen die Brust,
Wie rasend in verzweifelter Lust,
Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,
Wird doch kein fröhlicher Kranz daraus! –

Ich möcht in den tiefsten Wald wohl hinein,
Recht aus der Brust den Jammer zu schrein,
Ich möchte reiten ans Ende der Welt,
Wo der Mond und die Sonne hinunterfällt.

Wo schwindelnd beginnt die Ewigkeit,
Wie ein Meer, so erschrecklich still und weit,
Da sinken all Ström und Segel hinein,

Da wird es wohl endlich auch ruhig sein.

Ernst Wilhelm Lotz, Hart stoßen sich die Wände in den Straßen (1913)
Negative Sicht auf die Stadt, Gefühl des Krankseins bei der Jugend, Sehnsucht nach Ferne und Warten auf den richtigen Augenblick
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Ernst Wilhelm Lotz

 
Hart stoßen sich die Wände in den Straßen (1913)
01 Hart stoßen sich die Wände in den Straßen,
02 Vom Licht gezerrt, das auf das Pflaster keucht,
03 Und Kaffeehäuser schweben im Geleucht
04 Der Scheiben, hoch gefüllt mit wiehernden Grimassen.
05 Wir sind nach Süden krank, nach Fernen, Wind,
06 Nach Wäldern, fremd von ungekühlten Lüsten,
07 Und Wüstengürteln , die voll Sommer sind,
08 Nach weißen Meeren, brodelnd an besonnte Küsten.
09 Wir sind nach Frauen krank, nach Fleisch und Poren,
10 Es müßten Pantherinnen sein, gefährlich zart,
11 In einem wild gekochten Fieberland geboren.
12 Wir sind versehnt nach Reizen unbekannter Art.
13 Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht kennen.
14 Wir sind sehr jung. Und fiebern noch nach Welt.
15 Wir leuchten leise. – Doch wir könnten brennen.
16 Wir suchen immer Wind, der uns zu Flammen schwellt .
Joseph von Eichendorff, Sehnsucht (1834)
Typische Situation einer Sehnsucht, die letztlich am Fenster bleibt und sich nur in mögliche Zielorte hineinträumt. 
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Joseph von Eichendorff

 
Sehnsucht (1834)
01 Es schienen so golden die Sterne,
02 Am Fenster ich einsam stand
03 Und hörte aus weiter Ferne
04 Ein Posthorn im stillen Land.
05 Das Herz mir im Leib entbrennte,
06 Da hab ich mir heimlich gedacht:
07 Ach, wer da mitreisen könnte
08 In der prächtigen Sommernacht!
09 Zwei junge Gesellen gingen
10 Vorüber am Bergeshang,
11 Ich hörte im Wandern sie singen
12 Die stille Gegend entlang:
13 Von schwindelnden Felsenschlüften ,
14 Wo die Wälder rauschen so sacht,
15 Von Quellen, die von den Klüften
16 Sich stürzen in die Waldesnacht.

Jakob van Hoddis, Morgens
Stark von Industrialisierung geprägte Beschreibung eines Morgens, die dann das aus der Perspektive des Lyrischen Ichs verhinderte Liebesleben der Mädchen beklagt und in einer Sehnsucht nach Natur endet.
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Jakob van Hoddis

Morgens

01 Ein starker Wind sprang empor.
02 Öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.
03 Schlägt an die Türme.
04 Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der Stadt.
05 Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.
06 Durch Wolken pflügen goldne Engelpflüge.
07 Starker Wind über der bleichen Stadt.
08 Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden Strom.
09 Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.
10 Viele Weiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.
11 Im bleichen Licht. Wild von der Nacht. Ihre Röcke wehn.
12 Glieder zur Liebe geschaffen.
13 Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.
14 Sieh in das zärtliche Licht.
15 In der Bäume zärtliches Grün.
16 Horch! Die Spatzen schrein.
17 Und draußen auf wilderen Feldern
18 singen Lerchen.

Joseph von Eichendorff, Morgendämmerung
Beschreibung einer Erwartungssituation sowohl bei der Tierwelt als auch beim Lyrischen Ich.
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Joseph von Eichendorff

Morgendämmerung

Es ist ein still Erwarten in den Bäumen,
Die Nachtigallen in den Büschen schlagen
In irren Klagen, können’s doch nicht sagen,
Die Schmerzen all und Wonne, halb in Träumen.

Die Lerche auch will nicht die Zeit versäumen,
Da solches Schallen bringt die Luft getragen,
Schwingt sich vom Tal, eh’s noch beginnt zu tagen,
Im ersten Strahl die Flügel sich zu säumen.

Ich aber stand schon lange in dem Garten
Und bin ins stille Feld hinausgegangen,
Wo leis die Ähren an zu wogen fingen.

O fromme Vöglein, ihr und ich, wir warten
Aufs frohe Licht, da ist uns vor Verlangen
Bei stiller Nacht erwacht so sehnend Singen.


Wolfenstein, „Nacht in der Sommerfrische“ und Eichendorff, „Nachts“

Anmerkungen zu den beiden Gedichten:

  • Das Gedicht von Wolfenstein ist insofern ungewöhnlich, weil es ein typisch expressionistisches Anliegen, nämlich die Kritik des Lebens in der Großstadt zumindest halbwegs ironisch hinterfragt.
  • Es beginnt nämlich mit dem Leiden eines Großstädters, der in eine ländliche „Sommerfrische“ gefahren ist. Die Konzentration auf die Natur zeigt bald ihre Defizite aus der Sicht des Besuchers, der anderes gewöhnt ist.
  • In leichter Selbstironisierung verteidigt sich das Lyrische Ich dann gegen den Vorwurf, seine Sehnsucht nach dem Großstädtischen in der ländlichen Sommerfrische passe nicht zu seiner sonstigen Haltung – und darauf zieht es sich zurück auf die Verteidigungslinie: Es als das Lyrische Ich habe nichts gegen das Land an sich, wohl aber gegen die Nacht. Die ist halt in der ländlichen Einsamkeit anders als in einer trubeligen Stadt mit ihrem intensiven Nachtleben.
  • Das Gedicht endet mit dem wohl nicht ganz ernstgemeinten Ausdruck von Todesangst – angesichts der Nicht-Nähe anderer Menschen.
  • Kreativer Vorschlag: Vielleicht wäre das ja auch die Lösung – wieder mal ein guter Grund, eine entsprechende Strophe zu ergänzen.
  • Bei Eichendorff ebenfalls eine Einsamkeitssituation nur mit Natur rund herum – alles ist „grau und stille“.
  • Aber dem Lyrischen Ich der Romantik präsentiert sich ein „wunderbarer Nachtgesang“ – der zwar mit „Leis Schauern“ einhergeht, auch klagt es: „Wirrst die Gedanken mir“ und sieht bei sich sogar ein „irres Singen“ – aber es ist eben auch „ein Rufen nur aus Träumen“ – keine reale Gefahr, sondern eher eine schöne Unterbrechung der Abfolge des Täglichen, Alltäglichen.

Alfred Wolfenstein, Nacht in der Sommerfrische
Ein fast schon satirisch-selbstkritisch anmutendes Bekenntnis eines Expressionisten zur Großstadt mit all ihren Problemen, nachdem er im Urlaub die Realität des natürlichen Landlebens kennengelernt hat.
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Alfred Wolfenstein

Nacht in der Sommerfrische

01 Vor der verschlungnen Finsternis stöhnt
02 Stöhnt mein Mund,
03 Ich, an Lärmen unruhig gewöhnt,
04 Starre suchend rund:

05 Berge, von Bäumen behaart, ruhn
06 Schwarz wüst herein,
07 Was ihre Straßen nun tun
08 Äußert kein Schein, kein Schrein.

09 Aber ein wenig sich zu irrn
10 Wünscht, wünscht mein Ohr!
11 Schwänge nur eines Käfers Schwirrn
12 Mir ein Auto vor.

13 Wäre nur ein Fenster drüben bewohnt,
14 Doch im gewölbten Haus
15 Nichts als Sterne und hohlen Mond
16 —Halt ich nicht aus—

17 Halt ich nicht aus, meinem Schlaf allmächtig umstellt!
18 Fremd, fremd und nah—
19 Durch den See noch näher geschwellt,
20 Liegt es lautlos da.

21 Aber glaubt mich nicht schwach,
22 Dass ich,—soeben die Stadt noch gehasst—
23 Nun das Land flieh—: es ist nur die Nacht—
24 Nur auf dich, diese Nacht, war ich nicht gefasst!

25 Wie du tot oder tausendfach unbekannt
26 Mein schwarzes Bett umlangst,
27 Nirgends durchbrochen von menschlicher Hand;
28 Tötet mich die Angst.


Joseph von Eichendorff, Nachts
Demgegenüber der Romantiker, der erst in der Nacht und in der Natur richtig auflebt, auch wenn ein „leis Schauern“ und ein „irres Singen“ damit verbunden sind. Letztlich ist und bleibt es ein „Rufen nur aus Träumen“.
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Joseph von Eichendorff

Nachts

01 Ich wandre durch die stille Nacht,
02 Da schleicht der Mond so heimlich sacht
03 Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
04 Und hin und her im Tal
05 Erwacht die Nachtigall,
06 Dann wieder alles grau und stille.

07 O wunderbarer Nachtgesang:
08 Von fern im Land der Ströme Gang,
09 Leis Schauern in den dunklen Bäumen –
10 Wirrst die Gedanken mir,
11 Mein irres Singen hier

12 Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

Lasker-Schüler, „Weltende“ und Eichendorff, „Mondnacht“

Else Lasker-Schüler, Weltende
Eine sich unspektakulär gebende, deshalb aber nicht weniger eindrucksvolle Vorstellung eines Weltendes, das vor allem das Innere der Menschen trifft, sie deshalb auch in enge Gemeinschaft fliehen lässt, die aber die „Sehnsucht“ nicht aufheben kann, „an der wir sterben müssen.“
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Else Lasker-Schüler
Weltende

Es ist ein Weinen in der Welt,

Als ob der liebe Gott gestorben wär,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns näher verbergen …
Das Leben liegt in aller Herzen
Wie in Särgen.
Du, wir wollen uns tief küssen –
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
An der wir sterben müssen.
Joseph von Eichendorff, Mondnacht
Demgegenüber die Harmonie von Himmel und Erde als Basis für eine Seele, die sich aufspannen und fliegen kann – zumindest in der Ahnung eines Nach-hause-Kommens.
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Joseph von Eichendorff
 
Mondnacht
 
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt‘.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Auf den ersten Blick erscheint diese Gegenüberstellung sehr ungewöhnlich. Aber zu einem Vergleich gehört ggf. auch die Feststellung, dass es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt.

  1. Das linke Gedicht beginnt mit einer negativen Feststellung, das rechte mit einer sehr positiven. Hier wird schon mal deutlich, dass die beiden Gedichte wohl eher auseinandergehen in der Zielrichtung.
  2. Dazu passt auch die zweite Hälfte der ersten Strophe: Links der „bleierne Schatten“, rechts dagegen ein „Blütenschimmer“. Links eine schwere Last, rechts dagegen ein wohl schöner Traum.
  3. In der zweiten Strophe haben wir hier links einen Abgesang auf das leben, rechts dagegen lebendige Natur.
  4. Am Ende bleibt links nur eine Art gemeinsamer Abschiedskuss über, während rechts die Seele sich in größere und höhere Regionen ausspannt.
  5. Links steht am Ende der Tod, rechts dagegen eine Anspielung auf die himmlische Heimat des Menschen, zumindest aber ein Zuhause, in dem man sich offensichtlich wohl fühlt und Ruhe und Frieden findet.
Fazit: Die beiden Gedichte leben vor allem von ihrer Gegensätzlichkeit.

Günderrode, „Vorzeit und neue Zeit“ – und Georg Heym, „Der Gott der Stadt“

Günderrode, Vorzeit und neue Zeit
Eine Abrechnung mit der Aufklärung und ihren Folgen aus religiöser Sicht.
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Karoline von Günderrode
 
Vorzeit und neue Zeit

Ein schmaler rauher Pfad schien sonst die Erde.
Und auf den Bergen glänzt der Himmel über ihr,
Ein Abgrund ihr zur Seite war die Hölle,
Und Pfade führten in den Himmel und zur Hölle.

Doch alles ist ganz anders jetzt geworden,
Der Himmel ist gestürzt, der Abgrund ausgefüllt,
Und mit Vernunft bedeckt, und sehr bequem zum Gehen.

Des Glaubens Höhen sind nun demolieret.
Und auf der flachen Erde schreitet der Verstand,

Und misset alles aus, nach Klafter und nach Schuhen.

Eine entsprechende Klausuraufgabe mit Musterlösung gibt es hier:

 

Heym, Der Gott der Stadt
Demgegenüber eine säkularisierte Vorstellung eines Gottes, der nur noch eine Bedrohung darstellt für die Menschen, ganz gleich wieviel Mühe sie sich ihm gegenüber noch geben.
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Georg Heym
 
Der Gott der Stadt
Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.

Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn.

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
Die großen Städte knieen um ihn her.
Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik
Der Millionen durch die Straßen laut.
Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik
Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.
Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.
Die Stürme flattern, die wie Geier schauen
Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt
Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust
Und frisst sie auf, bis spät der Morgen tagt.


Paul Zech, „Im Dämmer“ und Joseph von Eichendorff, „Abschied“

Das folgende Gedichtpärchen ist besonders interessant, weil es zunächst wenig Gemeinsames zu geben scheint.
Wir werden noch genauer darauf eingehen.
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Paul Zech, „Im Dämmer“, 1911
Eine typische Industrielandschaft und -atmosphäre, in der Menschen nur noch Arbeitssklaven sind und sich die Jugend höchstens noch mit Alkohol trösten kann.
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Paul Zech
 
Im Dämmer
Im schwarzen Spiegel der Kanäle zuckt
die bunte Lichterkette der Fabriken.
Die niedren Straßen sind bis zum Ersticken
mit Rauch geschwängert, den ein Windstoß niederduckt.
Ein Menschentrupp, vom Frohndienst abgehärmt,
schwankt schweigsam in die ärmlichen Kabinen;
indes sich in den qualmigen Kantinen
die tolle Jugend fuselselig lärmt.
Nocheinmal wirft der Drahtseilzug mit Kreischen
Den Schlackenschutt hinunter in die flachen
Gelände, drin der Schwefelsumpf erlischt.
Fern aber gähnen schon, vom Dampf umzischt,
des Walzwerks zwiegespaltne Feuerrachen –
und harrn des Winks den Himmel zu zerfleischen.
(1911)
 
Joseph von Eichendorff, Abschied (1837)
Demgegenüber die Gewissheit des gläubigen Menschen, dass am Ende des Tages der Herr im Himmel schon für eine gute Nacht sorgen wird.
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Joseph von Eichendorff

 

Abschied

Abendlich schon rauscht der Wald
Aus den tiefsten Gründen,
Droben wird der Herr nun bald
An die Sternlein zünden.
Wie so stille in den Schlünden,
Abendlich nur rauscht der Wald.
Alles geht zu seiner Ruh.
Wald und Welt versausen,
Schauernd hört der Wandrer zu,
Sehnt sich recht nach Hause.
Hier in Waldes stiller Klause,
Herz, geh endlich auch zur Ruh.
(1837)
Joseph von Eichendorff
 
Abschied

Im Walde bei Lubowitz

01 O Täler weit, o Höhen,
02 O schöner, grüner Wald,
03 Du meiner Lust und Wehen
04 Andächtger Aufenthalt!
05 Da draußen, stets betrogen,
06 Saust die geschäftge Welt,
07 Schlag noch einmal die Bogen
08 Um mich, du grünes Zelt!

09 Wenn es beginnt zu tagen,
10 Die Erde dampft und blinkt,
11 Die Vögel lustig schlagen,
12 Daß dir dein Herz erklingt:
13 Da mag vergehn, verwehen
14 Das trübe Erdenleid,
15 Da sollst du auferstehen
16 In junger Herrlichkeit!

17 Da steht im Wald geschrieben
18 Ein stilles, ernstes Wort
19 Von rechtem Tun und Lieben,
20 Und was des Menschen Hort.
21 Ich habe treu gelesen
22 Die Worte, schlicht und wahr,
23 Und durch mein ganzes Wesen
24 Wards unaussprechlich klar.

25 Bald werd ich dich verlassen,
26 Fremd in der Fremde gehn,
27 Auf buntbewegten Gassen
28 Des Lebens Schauspiel sehn;
29 Und mitten in dem Leben
30 Wird deines Ernsts Gewalt
31 Mich Einsamen erheben,
32 So wird mein Herz nicht alt.

Joseph von Eichendorff, Abschied (1837)
Demgegenüber die Gewissheit des gläubigen Menschen, dass am Ende des Tages der Herr im Himmel schon für eine gute Nacht sorgen wird.
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Joseph von Eichendorff

 

Abschied

01 Abendlich schon rauscht der Wald
02 Aus den tiefsten Gründen,
03 Droben wird der Herr nun bald
04 An die Sternlein zünden.
05 Wie so stille in den Schlünden,
06 Abendlich nur rauscht der Wald.

07 Alles geht zu seiner Ruh.
08 Wald und Welt versausen,
09 Schauernd hört der Wandrer zu,
10 Sehnt sich recht nach Hause.
11 Hier in Waldes stiller Klause,
12 Herz, geh endlich auch zur Ruh.

(1837)
Vergleich der beiden Gedichte:
Erste Beobachtungen:
  1. Im Gedicht links geht es um den Abschied von der Heimat und den wohl nicht zu vermeidenden Übergang in eine fremde, in  keiner Weise anheimelnde Welt.
  2. Das Gedicht rechts dagegen verbleibt in der vertrauten Welt der Waldheimat. Hier geht es mehr um einen Abschied aus einer vertrauten Welt, um in ein noch schöneres Zuhause zu kommen.
  3. Es spricht einiges dafür, dass das Gedicht letztlich die himmlische Heimat meint, die für Eichendorff eine große Bedeutung hatte.
  4. Insgesamt ist das rechte Gedicht sehr viel mehr von Melancholie geprägt als das linke. Dort ist die irdische Welt des Waldes noch lebendig, jugendfrisch, rechts dagegen „versausen“ „Wald und Welt“ und geht es dazu, in jeder Hinsicht „zur Ruh“ zu kommen.
  5. Man kann wohl davon ausgehen, dass im Gedicht links das Lyrische Ich sich selbst ermahnt, auch bei einem erzwungenen Übertritt in die laute Welt des „Schauspiels“ auf dem rechten Weg zu bleiben, während es im Gedicht rechts ihn schon fast abgeschlossen hat.

Alfred Lichtenstein, „Die Dämmerung“ und Joseph von Eichendorff, „Abschied

Alfred Lichtenstein, „Die Dämmerung“
Eine Ansammlung von Elementen einer unschönen, verrückten Welt, die man endlos so fortsetzen könnte.
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Alfred Lichtenstein,
 
Die Dämmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
Joseph von Eichendorff, Abschied (1837)
Demgegenüber die Gewissheit des gläubigen Menschen, dass am Ende des Tages der Herr im Himmel schon für eine gute Nacht sorgen wird.
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Joseph von Eichendorff
Abschied
Abendlich schon rauscht der Wald
Aus den tiefsten Gründen,
Droben wird der Herr nun bald
An die Sternlein zünden.
Wie so stille in den Schlünden,
Abendlich nur rauscht der Wald.
Alles geht zu seiner Ruh.
Wald und Welt versausen,
Schauernd hört der Wandrer zu,
Sehnt sich recht nach Hause.
Hier in Waldes stiller Klause,
Herz, geh endlich auch zur Ruh.
(1837)

Paul Boldt, „In der Welt“  und Joseph von Eichendorff, „Der Einsiedler“

Paul Boldt, „In der Welt“
Das Gedicht steht für das, was man als „Ich-Verlust“ bezeichnet, nämlich ein „Gesicht“, das nicht mehr bei sich sein kann – in einer düsteren Umwelt, aus der man sich gewissermaßen selbst zuwinkt. Am Ende besteht das Lyrische Ich nur noch aus Furcht und Weinen.
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Paul Boldt
In der Welt
Ich lasse mein Gesicht auf Sterne fallen,
die wie getroffen auseinander hinken.
Die Wälder wandern mondwärts, schwarze Quallen,
ins Blaumeer, daraus meine Blicke winken.
Mein Ich ist fort. Es macht die Sternenreise.
Das ist nicht Ich, wovon die Kleider scheinen.
Die Tage sterben weg, die weißen Greise.
Ichlose Nerven sind voll Furcht und weinen.“
Joseph von Eichendorff, „Der Einsiedler“
Demgegenüber ein Lyrisches Ich, das sich in einem größeren Zusammenhang geborgen fühlen kann. So kann man auch die Einsamkeit genießen und vor allem Ruhe finden.
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Joseph von Eichendorff

Der Einsiedler
Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!
Wie steigst Du von den Bergen sacht,
Die Lüfte alle schlafen,
Ein Schiffer nur noch, wandermüd,
Singt übers Meer sein Abendlied
Zu Gottes Lob im Hafen.
Die Jahre wie die Wolken gehn
Und lassen mich hier einsam stehn,
Die Welt hat mich vergessen,
Da tratst Du wunderbar zu mir,
Wenn ich beim Waldesrauschen hier
Gedankenvoll gesessen.
O Trost der Welt, Du stille Nacht!
Der Tag hat mich so müd gemacht,
Das weite Meer schon dunkelt,
Lass ausruhn mich von Lust und Not,
Bis dass das ew’ge Morgenrot
Den stillen Wald durchfunkelt.

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