Wie man ein Gedicht sicher versteht (Mat6301)

Die wichtigsten Tipps, um Gedichte sicher zu verstehen

  • Kein Verständisabsolutismus
    Nicht die Lehrkraft entscheidet, sondern ob die Interpretation dem entspricht, was das Gedicht wirklich zeigt bzw. aussagt.
  • Unklarheiten als typische Phänomene in Gedichten
    Gedichte neigen grundsätzlich zu Unklarheit und Rätselhaftigkeit.  Das hängt mit ihrer häufig verkürzten Darstellungsweise zusammen. Außerdem hat es sich eingebürgert, dass viele Schriftsteller Rätselhaftigkeit als einen Ausweis von Qualität betrachten.
  • Tipps gegen falsches Abbiegen bei Analyse und Interpretation
    Ansonsten sollte man einfach bestimmte Tipps beachten, um gar nicht erst auf eine falsche Spur oder in eine Sackgasse zu geraten:
  • Tipps:
    1. Signale als Schlüssel-Phänomen
      Genau hinschauen und die Signale des Textes aufnehmen. Immer daran denken: Sobald das lyrische Ich den Mund aufmacht, sorry: die erste Zeile „absondert“, verrät es sich schon. Darum sollten vermeintliche Täter immer erst mal schweigen, bis ihr Anwalt kommt. Aber hier äußert sich der Täter gewissermaßen, darüber kann man sich freuen.
    2. Beschreibung als sicherer Ausgangspunkt
      Wenn man das begriffen hat, kann man auch im schwierigsten Gedicht alles „analysieren“, indem man erst mal nur beschreibt, was das lyrische Ich da macht.
      Mit „beschreiben“ ist aber nicht einfache Wiedergabe gemeint.
      Vielmehr geht es darum, aufzuzeigen, von welcher Art das ist, was lyrische Ich da von sich gibt:
      Beschreibung, Erläuterung, Feststellung, Ausdruck von Gefühlen usw.
    3. Vorsicht vor Seitensprüngen ins Ungewisse
      Wenn man darüber hinaus eine Idee hat, worauf das hinauslaufen könnten, dann kann man sich erst mal freuen, aber Vorsicht
      So etwas nur als Hypothese verwenden und schauen, ob sie sich bestätigt oder nicht – wie das auch ein guter Kommissar an einem Tatort oder danach macht.
    4. Das Recht zur begründeten Vermutung (Hypothese)
      Gedichte sind leider häufig lückenhafte Texte, die nur mit Andeutungen arbeiten: Dann überlegen, was gemeint sein könnte – und das wieder nur als Vermutung notieren.
    5. Unklarheiten klären oder anmerken
      Nicht immer hat ein Gedicht eine klare Aussage. Das prüft man und dann spricht man es ganz offen an:
      Beispiel:
      Eichendorff, „Heimweh“
      Variante: „Wer in die Fremde will wandern“
      https://schnell-durchblicken.de/eichendorff-heimweh-an-meinen-bruder
    6. Erst mal bei der Klärung der Aussage des Gedichtes bleiben
      Und bitte nicht gleich mit der Suche nach sprachlichen Mitteln beginnen – die kann man sich gerne am Rand notieren, wenn man was entdeckt.
    7. Den Autor erst mal rauslassen – es geht um das Gedicht
      • Ansonsten geht es erst mal um die Aussage(n) des Gedichtes. Bitte hier nicht den Fehler machen, gleich den Autor einzubeziehen. Der hat sein Gedicht veröffentlicht und dann nur noch das Recht an der Veröffentlichung und Vermarktung.
      • Aus der Interpretation hält sich jeder gute Autor raus, der Standardspruch heißt: Was ich sagen wollte, steht im Gedicht.
      • Wir können nur ergänzen: „Hoffentlich“. Denn wenn immer Menschen etwas aussprechen, ist das nie 100%ig das, was sie aussagen wollen.
      • Wie oft drücken sich Menschen missverständlich aus – das gilt auch für Dichter.
      • Das Schöne ist: Als Leser habe ich gleichen Rechte wie der Autor. Der soll mich verschonen mit: „Damit habe ich sagen wollen.“ Dann soll er einen Zeitungsartikel schreiben, aber kein Gedicht im literarischen Sinne.
      • Um Gedichte zu Omas Geburtstag geht es hier nicht, das sind zwar Gedichte, aber keine zum (literarischen) Interpretieren.
        Natürlich kann der Verfasser eines Geburtstagsgedichtes Anspielungen einbauen – dann handelt es sich aber nicht um Literatur, sondern um einen Sachtext – weil das Gedicht Aussagen macht zu einem Sachverhalt.
    8. Sprachliche Mittel sollten wirklich als Mittel kenntlich gemacht werden.
      • Und wenn man die Aussage(n) geklärt hat, dann schaut man sich seine notierten sprachlichen Mittel an und überlegt, wie sie den Inhalt verdeutlichen, unterstreichen.
      • Wenn sie das nicht tun, dann ab in die Tonne mit der Aufschrift: „Gut gemacht, aber ohne Funktion“.
      • Ansonsten konzentriert man sich lieber auf die allgemeine Frage: Wodurch wird dieses Gedicht auch von der Darstellung her zu etwas Besonderem. Was scheint der Dichter für Einfälle gehabt zu haben.
      • Denn auch hier gilt: Es kann ohne Absicht sich einfach so ergeben haben.
      • P.S: Wir würden vorschlagen, zwischen sprachlichen Mitteln im engeren Sinne (Metapher) und rhetorischen Mitteln zu unterscheiden (z.B. Gegensatz) – denn dazu gehören ja zumindest zwei sprachliche Elemente. Auch geht es bei diesen Mitteln weniger um Schönheit als um Wirkung.
Beispiel für Signalbeschreibung und Bündelung zu Aussagen
Beispiele für Problemstellen, wo man aufpassen muss

Hier ist ein Beispiel, wie man bei einer Abiturprüfung aufpassen musste:
Else Lasker-Schüler, „Ein Lied“ – Abi Bayern 2021

Gefahr von Falschinterpretationen Richtung Krieg und Vorurteile
https://schnell-durchblicken.de/else-lasker-schueler-ein-lied

Weitere Infos, Tipps und Materialien