Die Entstehung des Islam als religiöse und politische Bewegung (Ansary, Kapitel 2) (Mat8441)

Kapitel 2 “Hidschra” (37-51)

Das zweite Kapitel beschreibt zunächst einmal die auf Handel beruhende blühende Wirtschaft Arabiens gegen Ende des sechsten Jahrhunderts, zugleich aber auch den Punkt, an dem später die Kritik Mohammeds ansetzen wird, nämlich den die spezielle Vielgötterei in und um Mekka herum nutzenden religiösen Tourismus.

Anschließend wird das Leben Mohammeds von einfachen Anfängen bis hin zu einem erfolgreichen Kaufmann beschrieben, das schließlich in eine Sinnkrise stürzt, die der junge Mann durch Meditation in einer einsamen Höhle zu bewältigen versucht.

Dort kommt es dann zu dem visionären Erlebnis, das zunächst den jungen Mann, später seine Umgebung und schließlich eine ganze Weltgegend verändern wird.

Sehr gut herausgearbeitet wird dann der Kern der sich herausbildenden religiösen Überzeugung: “Mohammed sah sich als einen Nachfahren Abrahams und kannte dessen kompromisslosen Monotheismus gut. Er glaubte daher auch gar nicht, dass er etwas Neues predigte, sondern war der Überzeugung, er erneuere lediglich die Lehre Abrahams und zahlloser anderer Propheten.” (40) Entscheidend ist aber, dass Mohammed nicht irgendeinen Gott in den Mittelpunkt stellt, sondern einen “anderen und größeren Gott” (40). “Es gab nur einen Gott, und der Rest war Gottes Schöpfung: Das war die Botschaft, die er allen verkündete, die ihm zuhörten.” (40)

Im nächsten Teil geht es dann um den Widerstand der Geschäftsleute in Mekka gegen diesen Angriff auf die an der Vielgötterei verdienende religiöse Tourismuswirtschaft. Dieser wächst sich bis zu einem Mordkomplott aus und zwingt Mohammed zur Flucht in das 400 km nördlich von gelegene Yathrib, wo man einen Schlichter braucht, als der Mohammed sich dann auch im im sogenannten “Pakt von Medina” (so heißt der Ort seitdem) erweist.

Interessant ist die Erklärung dieser “Hidschra” (in Schulbüchern und Lexika auch als “Hedschra” zu finden als “Beginn der islamischen Gemeinschaft, der Umma” (43), was für den Verfasser auch die Nutzung des Datums (622 n. Chr.) als Beginn der islamischen Zeitrechnung legitimiert. Ausgehend von der Bedeutung des Wortes als “Durchtrennen der Bindungen” interpretiert der Verfasser das so: “Die Menschen, die sich den Muslimen in Medina angeschlossen, sagten sich von ihren Sturmesbindungen los und akzeptierten die neue Gruppierung als ihre transzendentale Gemeinschaft.” (43/44)

Wichtig ist die gesellschaftliche und politische Dimension dieser Gemeinschaft: “Dieses gesellschaftliche Projekt […] ist ein entscheidender Bestandteil des Islam. Natürlich ist der Islam eine Religion, doch von Anfang an […] stellt er auch eine politische Einheit dar. Natürlich gibt der Islam Regeln für das moralische Verhalten des Einzelnen und natürlich hofft jeder gläubige Muslim, durch deren Einhaltung ins Paradies zu gelangen. Doch es geht dem Islam weniger um die Erlösung des Einzelnen, sondern er stellt darüber hinaus einen Plan für die Errichtung einer rechtschaffenen Gemeinschaft dar” (44).

Die folgenden Seiten beschäftigen sich dann mit drei weiteren Versuchen der Herren von Mekka, die neue Bewegung zu vernichten. In der ersten Schlacht (von Badr) siegen die Anhänger Mohammeds, was als “Beweis für die Macht Allahs” (45) angesehen wird. Umso schlimmer dann, als man dann die nächste Schlacht (von Uhud) verliert. Allerdings gelingt auch hier eine positive theologische Erklärung: Die Anhänger Mohammeds hatten sich undiszipliniert verhalten und somit eine Lektion erteilt bekommen.

Die dritte und vorerst letzte Schlacht setzt dann einen neuen Akzent: Die Belagerung Medinas löst sich auf Grund innerer Unstimmigkeiten von selbst auf – aber einer von drei jüdischen Stämmen in Medina hatte heimlich mit den Feinden kooperiert. Und nun lässt Mohammed ein Exempel statuieren. Ca. 800 jüdische Männer werden hingerichtet, Frauen und Kinder ins Exil geschickt. Nach Auffassung des Verfassers “demonstrierte” diese Massenexekution “die grimmige Entschlossenheit der Muslime von Medina” (48), was zu einer großen Übertrittsbewegung führt.

Ansary macht an dieser Stelle eine Pause bei der Beschreibung der Entwicklung der Macht des sich formierenden Islam und wendet sich zunächst dem Koran zu. Deutlicht wird, welche Bedeutung die arabische Sprache hat, in der er verfasst ist, und dass keine Übersetzung dem Original gleichkommt.

Ein zweiter Punkt ist die Frage des Krieges. Hier betont der Verfasser, dass die Anhänger Mohammeds Gewalt ablehnten, aber bereit waren, sich mit allen Mitteln zu verteidigen. An dieser Stelle erscheint auch die Unterscheidung zwischen dem Dar al-Islam, dem Haus des Friedens, womit das Gebiet gemeint ist, in dem die Muslime herrschen, und dem jenseits liegenden “Dar al-Harab”, dem Haus des Krieges. Hier hätte man sich eine Erläuterung gewünscht, ob nicht die ganze Erde eigentlich unter den Willen Allahs kommen muss, was dann jede Art von Expansion rechtfertigen würde.

Zugleich wird auch auf den Begriff des “Dschihad” eingegangen, der sich weniger als andere arabische Begriffe auf Krieg beziehe und in erster Linie “Kampf” bedeute. “Der Kampf gilt als gut, wenn er einer gerechten Sache dient, und wenn diese gute Sache einen ‘bewaffneten Kampf’ verlangt, dann ist auch das in Ordnung und durch den Zweck gerechtfertigt.” (50). Auch hier kann man fragen, wer letztlich die Frage der Gerechtigkeit eines Kampfes definiert. Wenn die ganze Welt prinzipiell zum “Haus des Friedens” werden, also unter die Herrschaft des Islam kommen soll, dann ist natürlich auch jede Aktion gerechtfertigt, die das fördert.

Eine ähnliche Klarstellung hätte man sich als Leser gewünscht, wenn der Autor auf S. 50 auf Mohammeds letzte Predigt nach der friedlichen Einnahme Mekkas eingeht: “Er rief die versammelten Gläubigen auf, Leben und Besitz eines jeden Muslims als heilig zu betrachten; die Rechte aller Menschen, auch der Sklaven, zu achten, zu akzeptieren, dass Frauen Rechte über Männer hatten, genau wie Männer Rechte über Frauen hatten …”

Das Kapitel schließt mit Mohammeds Festlegung kurz vor seinem Tod, “er sei der letzte der Gesandten Gottes, und nach ihm würde Gott den Menschen keine Offenbarungen mehr übermitteln.” (51)

Hier die Übersicht über die Teile:

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