Die ersten Kalifen im Islam (Ansary, Kapitel 3) (Mat8442)

Kapitel 3: “Die Geburt des Kalifats”( 10-24 AH/632-644 n.u.Z.)

Im dritten Kapitel geht Ansari der Frag nach, wie die Muslime nach dem Tod des Propheten mit der Frage umgegangen sind, wie es weitergehen sollte.  Dabei ergibt sich für ihn wie für alle anderen Historiker das folgende Problem: „Wir wissen nicht, was wirklich passierte, denn uns liegen keine unverfälschten Augenzeugenberichte aus der Zeit vor. Was wir vor uns haben, ist lediglich die Geschichte einer Geschichte einer Geschichte und das Produkt eines Ausleseprozesses, der die mythische Bedeutung der Ereignisse herausgearbeitet hat.“ (53)

Sehr schön nach der Autor das erste Problem bei der Frage der Nachfolge Mohammeds deutlich, nämlich dass ja überhaupt erst einmal ein völlig neues Amt geschaffen werden musste. Mohammed war als Prophet nach eigenem Bekunden und im Verständnis der Gläubigen schließlich einzigartig.  Das Problem wird schließlich dadurch gelöst, dass man sich für Abu Bakr  entscheidet,  den Schwiegervater Mohammeds. Mehr oder weniger freiwillig tritt der Konkurrent Ali von der Bewerbung um die Nachfolge zurück, obwohl er dem Propheten besonders nahe gestanden hatte.  Abu Bakr  bekommt den neuen Titel eines „Kalifen“, was soviel wie Stellvertreter bedeutet.

Seine wichtigste Leistung besteht darin, die Gemeinschaft der Muslime zusammengehalten zu haben. Einige Stammesführer, die eigene Gemeinschaften gründen wollen, werden zu Verrätern erklärt und entsprechend verfolgt. Ansari beschreibt die sich daraus ergebende Tradition im Islam sehr deutlich: „Jeder Mensch hat das Recht, den Islam anzunehmen oder nicht; doch wer einmal Teil des Islam war, der war es für immer.“ (58)

Während der erste Kalif als Muster an Bescheidenheit und Besonnenheit vorgestellt wird,  ist der zweite, Omar, „berüchtigt für seine Temperamentsausbrüche“ (59), bemüht sich dann aber doch um Mäßigung.  Über die zehn Jahre seine Amtszeit fällt Ansari das Urteil: Omar „formte den Islam als politische Ideologie, gab der islamischen Zivilisation ihre charakteristische Prägung und schuf ein Reich, das selbst Rom überflügelte.“(60)

Der „Befehlshaber der Gläubigen“, so ein weiterer neuer Titel des Kalifen, wird für die Muslime zur „Verkörperung des idealen Herrschers“ (62).

Besonders hervorgehoben wird von Ansari die Verwandlung Omars vom kleinstädtischen Händler zu einem genialen Militärstrategen. Zunächst wird im Jahre 636 eine byzantinische Armee vernichtet, dann gelingt es den Muslimen sogar, das persische Sassanidenreich zu erobern. Von großer symbolischer Bedeutung ist die Eroberung Jerusalems, das nach Mekka und Medina zur dritten heiligen Stadt der Muslime wird.

Im Zusammenhang dieser militärischen Siege werden von Ansari zwei wichtige Elemente herausgearbeitet: Da ist zum einen die Frage der Legitimation eines Krieges, der immer mehr den Charakter der Eroberung annimmt: Hier spielt die Lehre von den beiden Reichen, dem muslimischen Haus des Friedens und dem nichtmuslimischen Haus des Krieges eine entscheidende Rolle. „Der Islam war demnach eine Oase der Brüderlichkeit und des Friedens in einer Welt aus Chaos und Hass. Alles was zur Ausweitung des Dar-al-Islam (Haus des Friedens) beitrug, war ein Akt des Friedens, selbst wenn es Krieg und Blutvergießen beinhaltete, denn das verkleinerte das Reich des Krieges.“ (63)

Das zweite Element ist die Frage des Umgangs mit den Besiegten, wofür die Eroberung Jerusalems zum Modell wird. Die dort lebenden Christen dürfen weiter ihren Glauben leben, müssen nur eine spezielle Steuer zahlen, die sogar niedriger ist als das, was sie dem eigenen christlichen Kaiser in Byzanz hatten zahlen müssen.

Das ist für Ansari auch bereits eine erste Erklärung dafür, warum das Reich der Muslime sich in kurzer Zeit so weit ausgebreitet hat. Als zweites Element wird die religiöse Begeisterung hervorgehoben: „Die ersten Muslime meinten, für etwas apokalyptisch Großes zu kämpfen. Sie hatten das Gefühl, der Kampf für ihre Sache gebe nicht nur ihrem Leben einen Sinn, sondern auch ihrem Tod.“ (66)

Als weiteres Element wird der Idealismus hervorgehoben, der die ersten Generationen der Muslime prägte. Für Ansari ergibt sich hier vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung sogar etwas wie eine „verlorene Utopie“ (66). In diesen Zusammenhang gehört auch das Verbot der Plünderung sowie die bereits angesprochene strikte Trennung von militärischer Eroberung und Bekehrung.

Ein weiterer Aspekt war der Siegeslauf der Muslime, der jeden Widerstand als sinnlos erscheinen ließ. Außerdem gab es für die von der eigenen Obrigkeit unterdrückten Menschen kaum ein Motiv, deren Herrschaft zu verteidigen.

Was die religiöse Seite von Omars Kalifat angeht, so führte er den bis heute gültigen Kalender ein, der im Unterschied zum Christentum nicht von einem Geburtsjahr ausging, sondern – mit der Orientierung am Datum der Hidschra – vom Aufbau eines muslimischen Staates.

Eine zweite wichtige Maßnahme war die Sammlung all dessen, was an Offenbarungen und Aussprüchen Mohammeds überliefert war. Daraus erwuchs die Praxis, alle auftauchenden Fragen möglichst aus dem Koran heraus zu beantworten, wo das nicht möglich war, wurde versucht, mit Hilfe derer, die den Propheten noch kannten, „herauszufinden, was der Prophet in einer ähnlichen Situation gesagt oder getan hatte“ (68).

Auf diesem Weg entstanden auch einige sehr harte Praktiken, zum Beispiel im Hinblick auf Alkoholgenuss und Ehebruch. Ansari stellt in diesem Zusammenhang fest: „Omars Gegner warfen ihm Frauenfeindlichkeit vor und seine Entscheidungen scheinen zu belegen, dass sie die Frauen für das Fehlverhalten der Männer verantwortlich machte. Um die vermeintlich zerstörerischen Kräfte der Sexualität auszuschalten, ergriff Omar Maßnahmen, um die Rollen von Männern und Frauen klar zu definieren und zu trennen. So ordnete er beispielsweise an, Frauen und Männer hätten getrennt zu beten, um zu verhindern, dass sie während des Rituals ans Sex dachten.“ (69)

Andererseits hebt Ansari auch hervor, dass es unter Omars Kalifat eine Schulpflicht für Jungen und Mädchen gab und dass Frauen noch recht gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen durften.

Auch in der Frage der Sklaverei schreibt Ansari dem Kalifen recht menschenfreundliche Ansichten zu, um dann festzustellen: „Ironischerweise wurde Omars Leben durch einen persischen Sklaven beendet, der ihm in einer Moschee ein Messer in den Leib rammte“. (70)

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