Die Figuren im Roman „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck (Mat8630-figuren)

Worum es hier geht:

Eine der großen Herausforderungen des Romans „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck, dass die Autorin sich nicht an die normalen Regeln des Gesprächs hält. Wenn da jemand etwas erzählt, nimmt er die Zuhörer mit, d.h. informiert sie über alles, was sie zu dem Zeitpunkt wissen müssen.

Schriftsteller müssen so nicht vorgehen – und diese Autorin spielt geradezu mit ihren Lesern, kümmert sich nur um das, was ihr gerade für die Erzählung des Romans von Bedeutung ist.

Für die Schule ist das ein bisschen ärgerlich – denn dort muss dieser Roman gelesen werden – und das bedeutet: Man muss den manchmal seltsamen Erzählgängen der Autorin folgen.

Aber wir unterstützen uns ja gegenseitig – und deshalb hier eine knappe Übersicht – alphabetisch aufgebaut, so dass man schnell weiß, worum es geht – und dann der Autorin im entsprechenden Kapitel mit noch größerer Begeisterung folgt.

Architekt
  • Jemand, der sich immer wieder durchmogelt, anpasst,
  • hat Glück, dass die Nazis die Arierfrage nicht zu weit in seine Familienvergangenheit hinein verfolgen,
  • profitiert später von den Notverkäufen von Juden,
  • kann sich am Anfang beruflich in der sozialistisch/kommunistisch ausgerichteten DDR noch halten,
  • bekommt dann aber Probleme, als er Material aus Westberlin besorgt,
  • muss fliehen
  • und leidet auf seine Art und Weise an Heimatverlust.
Besucherin
  • die Großmutter der Schwiegertochter der Schriftstellerin,
  • hat als einfache Bäuerin aus Masuren große Schwierigkeiten in dem Haus am See, bleibt eine Fremde, die konsequent auch von der Familie gesiezt wird.
Frau des Architekten 
  • Eine der interessantesten Figuren des Romans,
  • weil an ihrem Beispiel recht gut gezeigt wird,
    • was aus Kinderträumen wird,
    • wenn sie auf die familiären Zwangsverhältnisse früherer Zeiten treffen.
  • Sie heiratet ihren Arbeitgeber und präsentiert dann später bürgerliche Normalität mit all ihrer gezeigten Langeweile.
  • Immer wieder denkt sie an ihre Begegnung mit dem „Rotarmisten“ zurück, einem russischen Offizier, der sie, als er sie versteckt in einem Schrank entdeckt, nicht vergewaltigt, sondern die vielleicht einzige heiße Liebesnacht schenkt.
Gärtner
  • eine Art Dauerkonstante, der nach jedem Kapitel auftaucht – ohne dass der Zusammenhang mit dem Vorangehenden und dem Folgenden immer ganz deutlich wird.
  • Er steht auch wohl für eines der Grundthemen des Romans, nämlich die Problematik des Verhältnisses von „Natur“ und „Kultur“.
Großbauer
  • Zugleich eine Art Ortsvorsteher, sehr autoritär und traditionsbewusst.
  • Das bedeutet zugleich, dass er für das Ende einer entsprechenden „guten alten Zeit“ steht.
  • Er verkauft – da ohne männlichen Erben – das Grundstück am See und sorgt damit für Vielfalt derer, die später dort leben.
Kinderfreund
  • hat sich als Junge in die Enkelin der Schriftstellerin verliebt,
  • erlebt mit ihr zusammen eine Vergewaltigung
  • bleibt später unverheiratet
  • und ist ohne jeden Tatendrang.
Mädchen
  • die 12jährige Doris
  • Nicht des Tuchfabrikanten (Ludwig)
  • erlebt am See kindliches Glück
  • kommt wohl in ein Ghetto,
  • versteckt sich vor den Nazis, als die auf ihre grausame Art das Ghetto räumen,
  • wird aber entdeckt und auf dem Transport in ein KZ erschossen.
Rotarmist
  • Kommt mit den siegenden Sowjetsoldaten ins deutsche Kernland.
  • Lässt seine Soldaten auf ihre Art und Weise Rache nehmen an der deutschen Normalität,
  • entdeckt die Frau des Architekten versteckt im Schrank – und erlebt mit ihr direkt dort eine heiße Liebesnacht, an die die Frau ein Leben lang zurückdenkt.
Schriftstellerin
  • kommt aus Russland, eigentlich damals Sowjetunion,
  • hat dort die sogenannten, im Prinzip willkürlichen Säuberungen des grausamen Diktators Stalin überlebt,
  • ist als Schriftstellerin im Haus am See tätig.
Tuchfabrikant
  • Jüdischer Unternehmer, der rechtzeitig nach Südafrika auswandert.
  • Die anderen Familienmitglieder schaffen es nicht mehr, nach Brasilien zu emigrieren und werden ermordet.
unberechtigte Eigenbesitzerin
  • ein weiteres sehr interessantes Kapitel
  • es geht um die inzwischen erwachsene Enkelin der Schriftstellerin
  • die die Art und Weise erlebt, wie nach der sogenannten „Wende“ und dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik mit denen umgegangen wird, die dort ihres Besitzes beraubt wurden. Ein interessantes Thema, das eine dunkle Seite der sogenannten „Wiedervereinigung“ zeigt.
  • Beim Lesen interessant: eine besondere Art und Weise, mit einem erzwungenen Abschied von etwas umzugehen, das Teil des eigenen Lebens gewesen ist – die „dritte Haut“, wie der Architekt es nennt.
Unterpächter
  • hat mit einem Freund versucht, schwimmend aus der DDR zu fliehen,
  • das misslingt , kommt ins Gefängnis
  • lässt seine Frau mit der Nachricht allein, dass sie wohl zwangsadoptiert worden ist und erst jetzt erfährt, dass sie eine Schwester hat, die irgendwo anders untergebracht worden ist.  Sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.